Kaum eine andere Bezeichnung ist in den vergangenen Jahren politisch so umstritten gewesen wie “Flüchtling“ oder “Geflüchteter“. Im Zuge gravierender globaler Krisen und Konflikte mussten Millionen Menschen weltweit ihre Heimat verlassen. Viele Länder reagieren auf die Schutzsuchenden mit einer Verschärfung ihrer Grenzpolitik.
Was im politischen Diskurs dabei oft untergeht, sind die individuellen Geschichten der betroffenen Menschen. Während Länder über Flüchtlingsquoten und Kontrollmechanismen debattieren, müssen vertriebene Familien und Individuen auf ungewisse Zeit in menschenunwürdigen Situationen ausharren.
Der in Großbritannien lebende Fotograf Aubrey Wade ist überzeugt, dass die Politisierung von Geflüchteten eine der vielen Tragödien darstellt, die zu dem geführt haben, was als die größte “Flüchtlingskrise“ der Welt bekannt geworden ist.
Wade glaubt, dass diese Begriffe nicht widerspiegeln, wie sich der Großteil der Menschen fühlt – vor allem diejenigen, die tatsächlich mit geflüchteten Menschen in Berührung gekommen sind.
In seiner internationalen Ausstellung “No Stranger Place“ dokumentiert Wade das Leben von Familien aus Großbritannien, Deutschland, Schweden, Frankreich und Österreich. Das verbindende Element: Sie alle haben Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, bei sich Zuhause aufgenommen.
“Die mediale Berichterstattung fokussiert sich oft auf die schrecklichen Zustände, die [Geflüchtete] zur Flucht gezwungen haben“, sagt Wade gegenüber Global Citizen. “Geflüchtete werden als Opfer dargestellt. Das führt zu einem sehr eindimensionalen Bild.“
“In vielen Ländern trifft man auf viele aufgeschlossene und positive Menschen“, sagt Wade. “Menschen, die über das Vorgehen ihrer Regierungen frustriert sind, wenn diese versuchen, es Schutzsuchenden durch harte Grenzen zusätzlich schwer zu machen.“
Die Fotografien von Wade zeigen Mütter und Väter, Pärchen und Freunde sowie ganze Familien, die vertriebene Menschen aus Ländern wie Syrien, dem Sudan und Eritrea in ihrer Mitte aufgenommen haben. Und sie zeigen, wie diese Menschen zu neuen Familienmitgliedern wurden.
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Wades Fotos strahlen eine ungezwungene Wärme aus und veranschaulichen, wie Menschen, die einst Fremde waren, ihre kulturellen und sprachlichen Barrieren überwunden haben und schließlich zu Freunden wurden. Und bilden damit ein Gegengewicht zu dem Bild, das Politiker*innen weltweit zeichnen, wenn sie lautstark weitere Restriktionen gegen Menschen auf der Flucht fordern.
“Die Fotografien zeigen ganz deutlich, was möglich wird, sobald Menschen offen und neugierig aufeinander zugehen, vor allem auf Menschen, die ihnen zuvor fremd waren“, sagt Wade.
“Wenn wir den Willen entwickeln können, Beziehungen zu Menschen aufzubauen, die uns fremd sind, können aus einst fremden Personen familiäre Menschen werden, denen wir vertrauen“, fügt er hinzu.
Wades Ausstellung kam in Kooperation mit UNHCR, der Organisation für Flüchtlingsschutz der Vereinten Nationen, zustande. Für die Zukunft plant er, “No Stranger Place“ auch an weiteren Orten der Welt zu zeigen.
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Wade ist überzeugt: Wenn Menschen Vertriebene in den eigenen vier Wänden willkommen heißen, kann das ganze Gesellschaften voranbringen.
“Diese Beziehungen hören nicht einfach im Wohnzimmer oder in der Küche der Familien auf, sie gehen weit darüber hinaus“, sagt er. “Diese [Freundschaften] erlauben es auch anderen Menschen in der Gemeinde, mit Geflüchteten in Kontakt zu kommen.“
Wade hofft, dass seine Fotografien Menschen dazu bringen können, ihre Vorurteile zu hinterfragen und sie dazu inspirieren, ihre Hilfe anzubieten – entweder, indem sie geflüchtete Menschen bei sich aufnehmen oder Freiwilligenarbeit leisten.
“Ich finde, es wäre großartig, wenn Menschen sagen würden: ‘Hey, ich möchte auch gerne jemanden aufnehmen‘“, sagt Wade. “Die daraus entstehenden Freundschaften sind langlebig und gehen weit über die drängende Frage, ob dieser Mensch sonst eine Nacht auf der Straße verbringen muss oder nicht, hinaus.“