Mit ihren 105 Jahren - ja richtig, 105(!) - ist Kunwar Bai auf den ersten Blick vielleicht nicht die Heldin, von der man erwartet, dass sie das Leben von tausenden Menschen verändern könnte. Doch Kunwar Bai beweist: wahre Helden kennen kein Alter.
Und so hat Kunwar Bai positiven Einfluss auf das Leben von über 800.000 Menschen in der Dhamtari Region in Zentralindien genommen. Hier ist ihre Geschichte:
Kunwar Bai lebt mit 18 weiteren Familien in dem kleinen Dorf Kotabharri. Sie führt ein bescheidenes Leben, besitzt weder einen Fernseher, noch ein Handy, geschweige denn einen Computer oder Internetzugang. Sie liest nicht einmal die Zeitung. Deshalb hatte sie auch nichts von der landesweiten Initiative mitbekommen, die versucht, Menschen in ganz Indien davon zu überzeugen, in sanitäre Anlagen zu investieren. Denn noch immer müssen rund 550 Millionen Menschen in Indien ihre Notdurft im Freien verrichten.
Auch Kunwar Bai ist für den Großteil ihres Lebens in das Waldstück hinter ihrem Haus gegangen, um ihre Notdurft dort unter freiem Himmel zu verrichten.
Eines Tages dann tauchten in ihrem kleinen Dorf zwei Regierungsmitarbeiter auf, um mit den Einwohnern über die Initiative für sanitäre Anlagen und über allgemeine Hygienestandards zu sprechen.
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Unter den Zuhörern befand sich auch Kunwar Bai. In der örtlichen Schule sprachen die Mitarbeiter über die Umweltfolgen und die gesundheitlichen Schäden für die Gemeinde. Der Gedanke, der Kunwar Bai allerdings trieb, war weitaus simpler.
Denn in den letzten fünf Jahren ist die alte Dame auf ihrem Weg in den Wald hinter ihrem Haus bereits zweimal schwer gestürzt. Jedes Mal, wenn sie auf Toilette muss, riskiert sie also ihre Gesundheit und ihr Leben.
Wenn sie allerdings eine Toilette in ihrem Haus hätte, könnte sie sich den beschwerlichen Weg nach draußen ersparen.
„Ich habe gedacht, dass mir eine Toilette in meinem Haus viel Leid ersparen könnte”, sagte Kunwar Bai gegenüber BBC.
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Die rüstige Rentnerin besitzt allerdings nicht sehr viel Vermögen. Sich eine Toilette ins Haus zu bauen war nicht mal so eben möglich. Ihr weniger Besitz beschränkt sich auf eine kleine Ziegenherde. Doch Kunwar hatte einen Entschluss gefasst.
Kurzerhand verkaufte sie sieben ihrer insgesamt zwanzig Ziegen und mit etwas weiterer finanzieller Unterstützung ihrer Schwiegertochter konnte sich Kunwar Bai den Bau schließlich leisten.
Der Bau ihrer neuen Toilette dauerte gerade einmal 15 Tage und kostete umgerechnet rund 300 Euro (22.000 Rupien). Danach besaß Kunwar Bai die erste Toilette, die jemals in ihrem Dorf gebaut wurde.
Weil sie so stolz auf ihren neuen „Besitz” war, lud sie nach und nach alle Dorfbewohner ein und erklärte die Vorteile ihrer neuen Toilette. Und das imponierte. So brachte Kunwar mehr und mehr Menschen in Kotabharri dazu, ebenfalls in sanitäre Anlagen zu investieren. Denn wenn selbst eine 105-jährige sich den Vorteilen und dem Luxus einer Toilette bewusst ist, dann konnte der Rest des Dorfes nicht zurückbleiben.
„Kunwar Bai hat es allen gezeigt. Sie ist eine der ärmsten Bewohner des Dorfes. Doch jetzt sagen die Leute: ‚Wenn Kunwar Bai in sanitäre Anlagen investiert, sollten wir das auch tun’”, sagt Johan Singh Yadov, der im Dorf Barari in der Nähe der alten Dame lebt.
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Kunwar Bai hat eine richtige Bewegung ins Rollen gebracht, die begann, sich immer weiter auszubreiten. Soweit, bis die ganze Region - also mehr als 800.000 Menschen - an der Initiative teilnahmen, um in sanitäre Anlagen zu investieren.
Damit ist Dhamtari zur ersten Region in ganz Zentralindien geworden, in der es genügend Sanitäranlagen für alle Einwohner gibt. Und das ist eines der Hauptziele der „Swachh Bharat Abhiyan”-Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2019 ein „sauberes Indien” zu schaffen. Ein Indien also, in dem die Menschen Privatsphäre finden, wenn sie einmal auf Toilette müssen und vor allem ihre Notdurft nicht mehr unter freiem Himmel verrichten müssen.
In Kunwar Bais Heimatdorf wurde sogar inzwischen ein Gesetz eingeführt, dass jeder, der seine Notdurft noch im Freien verrichtet, obwohl genügend Toiletten zur Verfügung stehen, eine Geldstrafe von 500 Rupien zahlen muss.
All das passierte ínnerhalb nur eines Jahres. In dieser Zeit schaffte es eine entschlossene 105-jährige also, die Einstellung von hunderttausenden Menschen zu ändern.
Das blieb zum Glück nicht unbemerkt. Selbst Indiens Premierminister Narendra Modi lobte den starken Einsatz Kunwar Bais und hob hervor, wie sehr sie das Leben aller Menschen in der Dhamtari Region verändert hat. Im Februar dieses Jahres ernannte Modi die 105-jährige daher zur „Shwachh Bharat”-Gallionsfigur.
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Dass es ihm mit seinem Lob wirklich ernst war, bewie Premierminister Modi, indem er bei der dörflichen Zeremonie, in der Kunwar Bai für ihren Einsatz gefeiert wurde, persönlich vorbeischaute und sich bei der 105-jährigen bedankte, in dem er als Geste tiefen Respekts ihre Füße berührte.
„Unser Land verändert sich. Wenn eine alte Dame aus einem abgelegenen Dorf das Leben von so vielen Menschen beeinflussen kann, dann ist sie eine Inspiration für uns alle”, sagte Modi.