Von Bahaar Joya

LONDON, 13. Oktober (Thomson Reuters Foundation) – Direkt nach der Machtübernahme im August letzten Jahres erklärten die Taliban, dass sie die harte Herrschaft ihres letzten Regimes, das 2001 gestürzt wurde, nicht wiederholen würden. Doch inzwischen haben Behörden vor Ort zahlreiche Einschränkungen für das Leben von Frauen angekündigt. So bleiben Mädchenschulen geschlossen und viele berufstätige Frauen wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben.

Als die Taliban am 15. August Afghanistan vollständig einnahmen, haben wir Frauen aus verschiedenen Berufen gebeten, ein Foto ihres möglicherweise letzten Arbeitstages zu machen und uns ihre Gedanken dazu mitzuteilen.

Inzwischen ist einige Zeit vergangen und wir haben uns mit den selben Frauen in Verbindung gesetzt, um sie zu fragen, wie ihr Leben jetzt aussieht. Einige sind aus Afghanistan geflohen, andere geblieben. Doch ganz gleich, wie ihre Geschichten aussehen, sie alle haben dramatische Veränderungen erlebt. 

Das haben die vier Frauen zu berichten:

Mujgan Kaveh, ehemalige Forscherin einer internationalen Organisation

Derzeit halte ich mich mit meiner Familie in Islamabad auf und warte auf meine Ausreise in die USA.

Wir standen auf einer US-Evakuierungsliste, aber die Taliban hielten den Lieferwagen an, der uns zum Flughafen brachte und nahmen drei Männer fest. Danach hatten wir zu viel Angst und kehrten nicht zum Flughafen zurück.

Am 23. September teilte mir meine Organisation schließlich mit, dass ein Auto uns nach Pakistan bringen würde. Wir fuhren um Mitternacht los und erreichten die Grenze am frühen Morgen, doch sie war geschlossen. Wir mussten 13 Stunden mit Tausenden von anderen warten – während die Temperaturen auf 40 Grad Celsius stiegen.

In dem Moment, als ich Pakistan betrat, fühlte ich mich frei und glücklich. Ich habe gelacht und meine Tochter und meinen Mann umarmt.

Als ich mein Kopftuch abnahm, fühlte ich mich lebendig. Meine Tochter fragte: "Mami, werden sie uns nicht schlagen, wenn wir unseren Kopf nicht bedecken?" Ich sagte: "Nein, du bist hier frei, mein Schatz."

Die Ausreise in die USA wird es mir ermöglichen, für mich und meine Kinder, insbesondere meine Tochter, ein neues Leben zu beginnen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie sie unter den Taliban ohne Bildung und Grundrechte aufwächst.

Ich weiß jetzt, was es heißt, sich frei und sicher zu fühlen. In ständiger Angst um sein Leben zu sein, ist etwas, das ich nicht beschreiben kann – die letzten Wochen in Kabul waren die Hölle auf Erden.

Ich habe ständig die Nachrichten verfolgt, nicht geschlafen und hatte Angst vor der Türklingel. Es hätten die Taliban sein können, die uns verhaften oder verletzen wollen. Ich benötige eine Langzeittherapie, denn ich bin nicht mehr derselbe Mensch wie vor zwei Monaten. 

Shabnam Popalzi, ehemalige Journalistin und Moderatorin bei Parliament TV

Ich bin zu Hause in Kabul geblieben. Alle meine Freund*innen sind derzeit in den USA oder in Europa. Deshalb bleibe ich bis in die frühen Morgenstunden auf, um mit ihnen zu sprechen und ebenfalls einen Weg aus dem Land zu finden.

Ich habe mein Haus seit Wochen nicht mehr verlassen, weil ich zu viel Angst habe, auf die Straße zu gehen. Die Taliban haben mir alles genommen, auch den Job, den ich liebe.

Ich glaube nicht, dass es für Frauen wie mich eine Zukunft in Afghanistan gibt. Aber die westlichen Länder werden mir nicht helfen, meine Heimat zu verlassen, weil ich für lokale Medien und nicht für internationale gearbeitet habe.

Ich habe mich immer für die Rechte von Frauen und die Redefreiheit eingesetzt. Wie kann die internationale Gemeinschaft sagen, dass sie mir nicht helfen kann? Ist das der Dank für 20 Jahre unserer Bemühungen, ein modernes Afghanistan aufzubauen?

Es ist nicht fair, dass sie uns ohne Zukunft zurücklassen oder zulassen, dass wir von den Taliban getötet werden.

Kabul hat sich drastisch verändert. Die Cafés und Restaurants, die früher voller junger Frauen waren, sind leer – oder haben nur männliche Kunden. Es gibt nur wenige Frauen auf den Straßen und Frauengesichter sind von Werbetafeln verschwunden.

Die meisten Frauen tragen jetzt auf der Straße schwarze Hijabs. Das ist sehr traurig.

Es ist ein Grundrecht, zu wählen, was man trägt. Ich fühle mich in langen Kleidern nicht wohl. Ich bevorzuge Jeans und Hemden. Die Art und Weise, wie wir uns als afghanische Frauen kleiden, ist Teil unseres Kampfes für unsere Rechte.

Amena Barakzai, Direktorin einer Mädchenschule in der Provinz Herat

Als die Taliban kamen, befürchtete ich, dass ich nie wieder unterrichten würde, also gab ich eine symbolische letzte Unterrichtsstunde in einem leeren Klassenzimmer. Doch eine Woche nach der Machtübernahme baten uns die Taliban, wieder zu arbeiten.

Für mich war es wie ein Traum. Als ich hörte, dass wir zurückkehren konnten, packte ich meine Tasche und ging zur Schule. Die letzte Unterrichtsstunde, die ich gegeben hatte, stand noch an der Tafel. Ich weinte, aber gleichzeitig spürte ich Hoffnung, dass diese Generation keinen Rückschritt machen wird.

Wir werden für das Recht der Mädchen auf Bildung kämpfen. Obwohl die Oberschulen für Mädchen noch geschlossen sind, sind die Grundschulen geöffnet.

Meine Kolleg*innen und ich erörtern mit Taliban-Beamt*innen im Bildungsministerium die Bedingungen für die Wiedereröffnung der Oberschulen. Wir sind entschlossen, den Unterricht für alle Mädchen wieder zu öffnen und werden nicht aufgeben, bis dies geschehen ist.

Bei der letzten Machtübernahme der Taliban habe ich in Abu Dhabi gelebt. Ich kam 2002 zurück, um die Kinder meines Heimatlandes zu unterrichten. Ich werde sie nicht ohne Hilfe lassen, besonders wenn so viele Menschen ins Ausland fliehen.

Was wird mit der Zukunft der nächsten Generation geschehen? Wer wird die Nation aufbauen, wenn wir alle gehen? Wir müssen einen Weg finden, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten, um Afghanistan aufzubauen.

Humaira Saqeb, Geschäftsführerin der Afghan Women's News Agency, die nach der Machtübernahme durch die Taliban geschlossen wurde

Ich bin mit meiner Familie nach Kanada geflohen. Nachdem die Taliban die Macht übernommen hatten, tauchte ich in einem sicheren Haus in Kabul unter. Mit Hilfe kanadischer Kontakte gelang uns die Ausreise. Wir sind jetzt seit einigen Wochen hier, aber ich habe das Gefühl, dass mein Leben in Trümmern liegt.

Ich kann nachts nicht schlafen und habe Alpträume darüber, wie ich in einem Augenblick alles verliere, was ich in den letzten 20 Jahren aufgebaut habe. Ich habe mein Zuhause, mein Land, meinen Job verloren.

Das ist der Schmerz, den ich für den Rest meines Lebens ertragen muss – der Schmerz, von allen verraten worden zu sein: von unserer früheren Regierung, von der internationalen Gemeinschaft, von den USA.

Welchen Sinn hatte es, Milliarden von US-Dollar auszugeben und Menschenleben zu opfern, wenn sie einen Deal mit den Terrorist*innen machen und uns an sie verkaufen wollten?

Ich bin eine Frauenrechtsaktivistin, das ist meine Aufgabe. Niemand kann sie mir wegnehmen, nicht einmal die Taliban. Ich werde meine Arbeit von hier aus mit größerer Beharrlichkeit fortsetzen, denn die Frauen in Afghanistan brauchen mich jetzt noch mehr.

Ich werde ihre Stimmen erheben und Druck auf die internationale Gemeinschaft ausüben, die Taliban-Regierung nicht anzuerkennen, solange sie die Rechte der Frauen auf Bildung, Arbeit, politische Teilhabe und Freiheit nicht respektiert.

Wir haben die Pflicht, niemanden zurückzulassen.

(Redaktion: Emma Batha. Bitte die 'Thomson Reuters Foundation' als Quelle angeben, wenn dieser Artikel zitiert / geteilt wird. Die Thomson Reuters Foundation liefert Beiträge über humanitäre Hilfe, Frauenrechte, Menschenhandel, Klimawandel und vieles mehr auf http://news.trust.org.)

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