Afrika ist kein Land – das sollte uns allen klar sein. Dennoch ertappen wir uns – diejenigen ohne persönlichen Bezug zu dem Kontinent – doch oft dabei, wie wenig wir den Kontinent kennen. Wusstest du zum Beispiel, dass mehr als 3.000 Völker mit verschiedenen Sprachen und Kulturen den Kontinent bewohnen? Oder dass Afrika führend im Plastikverbot ist? In Kenia sind Plastiktüten seit 2017 verboten, seit 2020 darf man in Parks und Wäldern keine Plastikflaschen mehr einführen.
Auch interessant: Tunesien, Marokko, Libyen, Ägypten und Algerien beherbergen zurzeit etwa 26 Prozent der Geflüchteten weltweit. Und in Lesotho kannst du regelmäßig Ski fahren, denn entgegen den gängigen Vorstellungen schneit es in vielen Gebieten Afrikas.
Die Fakten eben haben dich überrascht? Dann lass uns mehr über die unterschiedlichen Länder Afrikas lernen. Zum Glück gibt es die Autorin Jennifer McCann. Sie war lange in Angola, Tansania, Uganda, Kenia, Sambia, Simbabwe, Ruanda, Gabun, Malawi, Mosambik und Madagaskar unterwegs und hat ihre Erlebnisse in einem Buch festgehalten. Darin setzt sie sich auch mit den Spuren des Kolonialismus auseinander und räumt nebenbei mit einer Menge Klischees und Vorurteilen auf. Vor Allem aber nimmt sie uns mit auf eine abenteuerliche Reise. Grund genug für uns, der Autorin mal auf den Zahn zu fühlen:
Global Citizen: Jetzt mal ganz ehrlich: welche Vorurteile und Klischees hattest du über den afrikanischen Kontinent im Kopf, bevor du dorthin gereist bist?
Jennifer McCann: Bei mir waren es vor allem die Klassiker, die in die extrem positive wie negative Richtung gingen. Bei den positiven Bildern waren es vor allem der rotglühende Sonnenuntergang, große Säugetiere und das Gefühl von Freiheit. Bei den negativen Bildern waren vor allem Krieg, Hunger und Kriminalität vorherrschend. Es sind ja auch meistens diese gegensätzlichen Bilder, auf die man sich konzentriert.
Wie sehen deine Bilder jetzt aus?
Sie sind sehr differenzierter geworden. Ich packe das Erfahrene nicht mehr so einfach in Schubladen wie vorher. Auch wenn ich die Vorurteile nicht unbedingt komplett los bin, nur weil ich ein Land bereist habe, ist es mir wichtig, mich damit auseinanderzusetzen und mich zu hinterfragen. Gleichzeitig muss man stark aufpassen, dass man durch die Vorurteile im Kopf nicht damit anfängt, auf der Reise nur selektive Erfahrungen zu machen, die diese Klischees weiter bestätigen.
In deinem Buch schreibst du über das “weltwärts”-Programm, ein Freiwilligendienst für junge Menschen, die die Schule abgeschlossen haben und für einige Monate in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen Tätigkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit ausüben. Du hast deine Zeit in Tansania verbracht. Wie war es für dich, nach deinem Bachelor-Studium und ohne jegliche Berufserfahrung, in dem Bereich Entwicklungszusammenarbeit hinein zu schnuppern?
Ich war ein Jahr lang in Tansania bei einer NGO für HIV-Prävention. In meinem Buch gehe ich auf den Besuch bei den Drogen-Camps ein und wie emotional das für mich gewesen war. Das war schon eine sehr krasse Erfahrung, wobei ich mir vorstellen kann, dass sie ähnlich in Deutschland gewesen sein könnte.
Ich würde es eher als Praktikum beschreiben, bei dem ich die Möglichkeit erhalten habe, viel zu beobachten und zu lernen. Ich finde es schwierig, wenn man mit dem Anspruch reingeht, etwas verändern zu wollen. Es geht eher um Denkanstöße und eine Sensibilisierung für die verschiedenen Verhältnisse und Lebenserfahrungen.
Wieso hast du dich dazu entschieden, bei dem “weltwärts”-Programm mitzumachen?
Durch die Klischees und Vorstellungen, die ich vorher in meinem Kopf hatte, war Afrika die fremdeste Welt, die ich mir bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben vorstellen konnte und wollte sie für einen längeren Zeitraum erkunden.
Wie hat sich das auf dein Leben ausgewirkt?
Definitiv darin, dass ich Bücher über meine Erfahrungen schreibe. Über den Reisedepeschen-Verlag habe ich bereits ein Buch über meine Reisen durch Peru und Bolivien herausgebracht. “Afrika ist kein Land” ist mein zweites Buch.
Gleichzeitig habe ich nach meinem Auslandsjahr meinen Master in Neuere Deutsche Literaturwissenschaften gemacht sowie einen Lehramtsmaster in Deutsch und Biologie und unterrichte diese Fächer nun als Lehrerin. In meiner Arbeit versuche ich, meine Schüler*innen zu sensibilisieren und mich gegen Rassismus und für Nachhaltigkeit stark zu machen. Es macht mir großen Spaß, junge Menschen auf ihrem Werdegang zu begleiten.
Afrika wurde stark vom Kolonialismus geprägt. Inwieweit äußert sich das im alltäglichen Leben in den Ländern, die du bereist hast?
Zum einen fällt es natürlich durch die Sprache auf, denn in den meisten Ländern Afrikas wird noch immer Englisch, Französisch oder Portugiesisch gesprochen. In Gabun und Angola ist mir zudem noch aufgefallen, dass es oft weiße Leute sind, die das Sagen haben und die Ressourcen in den Ländern abbauen. Ressourcenausbeutung ist da nach wie vor sehr präsent und teilweise wird es durch korrupte Politiker*innen begünstigt. Das ganze Geld gelangt dann oftmals nicht an die Bevölkerung, sodass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinandergeht.
Ich selbst hatte das Gefühl, dass ich aufgrund von “White Privilege” zum Teil besser behandelt wurde, jedoch vor allem in Ländern, wo der Tourismus schon weit verbreitet ist. In Angola und Gabun habe ich es nicht so stark wahrgenommen. Generell fand ich es jedoch erstaunlich, wie wenig Ablehnung ich erfahren habe.
Wie kann man als weiße*r Europäer*in mit dem Thema Kolonialismus umgehen? Welche Schritte sind notwendig, damit wir uns dieser Vergangenheit stellen?
Das ist natürlich eine große Frage, zu der ich nicht alle Antworten hab. Ich habe das Gefühl, in Deutschland gibt es sofort einen Shitstorm, sodass wir diese Fehler nicht mehr zugeben können. Dabei kann es immer vorkommen, dass man vorher eine Perspektive nicht kannte und zugeben muss: “Das war nicht gut von mir und ich bin gewillt, das zu ändern.” So wie es aber gerade ist, kommen viele eher in eine Abwehrhaltung, in der sie sich rechtfertigen wollen.
Aber ich finde, wir müssen mit Demut an diesen Teil unserer Geschichte herantreten. Es ist wichtig zuzuhören, sich die Dinge erklären zu lassen und nicht vorschnell zu werten. Und im Endeffekt Fehler zuzugeben.
Mit welchen Vorurteilen wurdest du bei deinen Reisen konfrontiert und wie bist du damit umgegangen?
Als ich alleine durch Tansania und Bolivien reisen wollte, haben einige gesagt, dass es doch zu gefährlich sei, dass ich mich einsam fühlen würde und es kulturell sehr schwierig sei, dort klarzukommen. Ich habe oft mit Trotz gegengehalten, denn ehrlicherweise muss man leider auch in Deutschland als Frau gucken, wo man sich nachts um drei Uhr aufhält.
Es kommt vor, dass ich von einer Reise wiederkomme und sich nur wenige Menschen dafür interessieren. Einerseits ist es wichtig, sich selbst nicht so sehr in den Fokus zu stellen, andererseits möchte ich gern die Vielfalt der Länder zeigen. In Gesprächen erwähne ich immer wieder, wie gut das Reisen funktioniert hat und welche positiven Erfahrungen ich dadurch gewinnen konnte. Da hat mir zum Beispiel Angola sehr die Augen geöffnet. Ich hatte selbst viele Vorurteile – habe einige mit Sicherheit noch immer – und wusste nicht, ob man das Land bereisen kann und dann ging es doch super mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Dieser Aha-Effekt kann die Angst vieler Menschen sehr gut entkräften.
Was hat dich am meisten beeindruckt bei deinen Reisen oder welche prägenden Momente gab es – positiv wie negativ?
Ganz gleich, in welchem Land in Afrika ich mich aufgehalten habe, ich konnte einfach immer Menschen ansprechen und mit ihnen reden. Selbst wenn sie mir nicht weiterhelfen konnten, so haben sie mich zu einer anderen Person gebracht, die die Antwort auf meine Frage wusste. Dadurch war ich auch nie alleine und wurde in meinen Reisen nur bestärkt.
Eine Situation, die mich sehr nachdenklich gestimmt hat, war Folgende: Ich befand mich auf Sansibar, einer Touristeninsel, wo viele Menschen – sogenannte “Beachboys” – versuchen, ihre Sachen an die Tourist*innen zu verkaufen. Das ist immer ziemlich nervig. Einer hat uns angesprochen und uns gesagt, dass er Hermann heißt. Er wollte uns seinen tansanischen Namen nicht verraten und im Gegensatz zu den anderen Beachboys kamen wir super ins Gespräch und luden ihn auf ein Bier am Strand ein. Wir erfuhren, dass er sich Deutsch mit Kinderschulbüchern selbst beigebracht hatte und wollte mit uns üben. Das hat uns ziemlich beeindruckt.
Als wir am Abend unterwegs zu unserem Hostel waren, haben wir Hermann wiedergesehen. Er lag auf irgendwelchen Stufen und hat da geschlafen, weil er anscheinend kein Zuhause hatte. Das war für mich ein sehr denkwürdiges Erlebnis, denn ich habe mich gefragt, ob wir es den Menschen verübeln können, wenn sie versuchen, mit Tourist*innen Geld zu machen. Und: Darf ich genervt über sie sein, wenn sie verzweifelt versuchen, auf irgendeine Art und Weise an Geld zu kommen? Durch Hermann hat das Ganze ein individuelles Gesicht bekommen. Hinter all diesen Beachboys stehen Menschen mit persönlichen Geschichten. Ich wünsche mir, dass wir diese Denkmuster in unseren Köpfen offenlegen könnten.
Und dann gibt’s die besonderen Momente, die ein Leben lang anhalten: Als ich damals in Tansania in ein Haus gezogen bin, hat da bereits Julieth mit ihrer Familie gewohnt. Wir haben uns angefreundet und ich habe diese selbstbewusste Powerfrau kennenlernen dürfen, die mich zutiefst beeindruckt hat. Sie ist hochgebildet und musste sich trotzdem mühsam hochkämpfen, um in Tansania zur Mittelschicht gehören zu können. Sie ist eine meiner Bezugspersonen, für die es sich immer wieder lohnt, nach Tansania zurückzukehren. Es ist mir wichtig, die Kontakte mit den Freund*innen zu halten, die mir auf meinen Reisen begegnen.
Welche Tipps würdest du Reisenden geben, die den afrikanischen Kontinent kennenlernen wollen?
Ich würde sagen, dass man auf jeden Fall den Kontakt zu den Menschen suchen sollte. Niedrigschwellig geht das schon mit den Verkäufer*innen im Shop oder mit denjenigen, die Motorradtaxis fahren.
Wir haben auch einmal eine sechstägige Wanderung auf einer Halbinsel in Madagaskar gemacht, die von den Einheimischen geführt wurde, die wir vorher angeschrieben hatten. Da braucht die Vorbereitung für den Trip natürlich etwas mehr Zeit und Geduld, aber man lernt die Menschen kennen, die dort leben.
Diese aus Deutschland gebuchten Touren sorgen da eher noch für Abstand. Ich will sie jedoch gar nicht verteufeln, denn für Menschen, die sich nicht so trauen, sind sie ein guter Weg, um eine Reise in ein afrikanisches Land zu buchen und dann zu merken, dass alles ja doch nicht “so schlimm” ist.
Für mich ist es wichtig, keine Hemmungen zu haben, Fragen zu stellen, sich Hilfe zu suchen und Vertrauen in die Menschen mitzubringen. In Deutschland kommt es immer etwas komisch rüber, wenn uns jemand anspricht und einige gehen auch lieber weiter. Ich finde beim Reisen generell wichtig, über den eigenen Schatten zu springen und die Komfortzone zu verlassen.
Und, ganz wichtig: Die Welt ist ein freundlicher Ort. :)
Vielen Dank für das sehr tolle Gespräch, Jennifer!
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