Weibliche Genitalverstümmelung (FGM – female genital mutulation) ist ein weltweites Problem und wenn wir es weiterhin als etwas anderes betrachten, dann können wir uns von dem Globalen Ziel der UN für Geschlechtergleichheit verabschieden.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass, egal wo du diesen Artikel gerade liest, gerade eine Genitalverstümmelung geschehen ist oder irgendwo in deiner Nähe geschieht. Forschungen, die von der Organisation für Geschlechtergleichheit Equality Now durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass dieses Verbrechen in 92 Ländern weltweit geschieht — das sind fast die Hälfte aller Länder der Welt.
Dennoch wird es wegen des hohen Vorkommens in Afrika und Asien weitgehend als "Problem des Globalen Südens" angesehen, obwohl die Praxis auch im Globalen Norden stattfindet.
Jetzt ist es wichtig, dass Vorfälle von weiblicher Genitalverstümmelung im Globalen Süden dokumentiert werden und Aufmerksamkeit auf sie gelenkt wird. Die Bekämpfung mus so ausreichend finanziert werden, um diese Praxis auszurotten. Doch ohne ein allgemein anerkanntes Verständnis, dass weibliche Genitalverstümmelung auch ein Problem des Globalen Nordens ist, werden wir diesem Ziel nicht nahe genug kommen. Alle Menschen, überall, müssen sich darum sorgen, da es auf jedem Kontinent der Erde auftritt, mit Ausnahme der Antarktis.
Wenn die Länder des Nordens das nicht verstehen, dann könnte die Praxis als alleiniges Problem des Südens wahrgenommen werden, was es besonders für diese westlichen Länder so erscheinen lässt, als ob die Geschlechterungleichheit in den sogenannten Entwicklungsländern brutaler ist als die Geschlechterungleichheit und die Praktiken geschlechtsbasierter Gewalt, die in ihrem eigenen Land erlebt werden. Sie könnten dadurch möglicherweise eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Frauen und Mädchen entwickeln, die im Globalen Norden Genitalverstümmelung erleben. Dabei trifft das auf 137.000 Frauen und Mädchen in Großbritannien zu, 125.000 in Frankreich, knapp 95.000 in Kanada, und über 500.000 laufen Gefahr, dies in den USA durchzumachen.
Diese Zahlen zeigen deutlich, dass dies nicht das Problem aufstrebender Nationen allein ist. Wir müssen lauter sein, um weibliche Genitalverstümmelung als das zu bekämpfen, was es ist: ein globales Problem der Geschlechterungleichheit.
Es hat immer eine Geschichte des Andersmachens gegeben, wenn es darum geht, wie weibliche Genitalverstümmelung in westlichen Ländern betrachtet wird. Dies ist etwas, das die Anthropologin, Ellen Gruenbaum, in dem Buch Female Genital Cutting: Global North and South anmerkte.
Als die Praxis in den 1980er Jahren langsam als globale Verletzung der Menschenrechte anerkannt wurde, sahen westliche Nationen sie als ein weit entferntes Problem, wie Gruenbaum schreibt: “...im Globalen Norden wurde die Aufmerksamkeit für weibliche Beschneidung und weibliche Genitalverstümmelung stark auf den Globalen Süden gerichtet. Im Norden war es selten genug, dass Menschen von der Existenz solcher Praktiken wussten, aber wenn sie es taten, ging es um das "die" im Süden.”
Dies ist etwas, das immer noch passiert. Die Aktivistin und Gründerin der Organisation Les Orchidées Rouges, Marie-Claire Kakpotia Moraldo, setzt sich seit fast einem Jahrzehnt für das Ende von weibliche Genitalverstümmelung ein. Auf dem Genfer Gipfeltreffen der UNO für Menschenrechte und Demokratie 2023 sagte sie: “Das eine, was ich immer wieder höre, ist: ‘Oh, das ist nur ein afrikanisches Problem. Eine veraltete Stammespraxis. Das passiert hier in Europa nicht.’ Aber ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Sie sich irren. Weibliche Genitalverstümmelung ist ein weltweites Problem.”
Sie fuhr fort: “200 Millionen Frauen und Mädchen haben weltweit weibliche Genitalverstümmelung erlebt. In asiatischen Ländern wie Indien, Thailand, Indonesien oder Pakistan. In afrikanischen Ländern wie Senegal, Côte d’Ivoire, Guinea, Somalia und Äthiopien. In arabischen Staaten wie Irak, Jemen und Oman. In Russland. Und in Diaspora-Gemeinschaften weltweit. Also, wenn Sie denken, dass Ihr Land davon betroffen ist, liegen Sie falsch.”
Wenn weibliche Genitalverstümmelung als eine Sache wahrgenommen wird, das nur den Globalen Süden betrifft, ermöglicht das den westlichen Ländern, die Länder des Globalen Südens nur für diese anhaltenden “Probleme” zu bemitleiden. Aber Mitleid löst keine Probleme. Es ermöglicht eine Machtdynamik, die für alle unvorteilhaft ist, einschließlich der Menschen, die diese Form der Gewalt in den Ländern erleben, die das Mitleid empfinden. Man könnte sogar argumentieren, dass Mitleid das Potential hat, eine gemeinsame Anstrengung zur Durchsetzung globaler, langfristiger Lösungen zur Ausrottung weiblicher Genitalverstümmelung ein für alle mal zu verzögern.
Laut Fiona Coyle, Direktorin des End FGM European Network, beinhalten diese Lösungen, “... erhöhten politischen Willen, stärkere Gesetze, erhöhtes Engagement in der Community und erhöhte Investitionen, um diese Praxis wirklich zu beenden.”
Wenn der Globale Norden weibliche Genitalverstümmelung auch als sein eigenes Problem erkennt, wird diese Menschenrechtsverletzung hoch auf der globalen Agenda bleiben und wir werden mehr Gesetze dagegen und eine verstärkte Investition in die Beseitigung sehen.
Der Kampf gegen diese Praxis benötigt sofortige Investitionen, wenn wir sie rechtzeitig beenden wollen, um die Globalen Ziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Schon jetzt schätzt die WHO, dass die Behandlung von gesundheitlichen Komplikationen im Zusammenhang mit weiblicher Genitalverstümmelung die Gesundheitssysteme derzeit rund 1,4 Milliarden Dollar pro Jahr kostet. Diese Zahl wird voraussichtlich steigen, solange die Praxis existiert UNFPA schätzt, dass es insgesamt 3,3 Milliarden Dollar kosten könnte, das Ziel der UNO zu erreichen, weibliche Genitalverstümmelung bis 2030 durch Präventions- und Betreuungsprogramme zu beseitigen.
Trotzdem ist der globale Kampf gegen diese Form der Gewalt unterfinanziert, und die globale Finanzierung für Programme zur Ausrottung weiblicher Genitalverstümmelung geht, laut UNFPA zurück. Im Globalen Norden – dort wo die reichsten Ländern mit den größten globalen Hilfsbudgets angesiedelt sind – braucht es deutlich mehr Lärm. Führende Politiker*innen und Finanzierungsentscheider*innen müssen dieses Verbrechen priorisieren, weil es Menschen auf fast jedem Kontinent betrifft.
Diejenigen, die vor Ort in den westlichen Ländern gegen dieses Menschrechtsverbrechen ankämpfen, werden mehr, denn es gibt immer mehr Basisorganisationen, die sich der Aufklärung über weibliche Genitalverstümmelung und ihrem Ende widmen. Gleiches gilt für diejenigen in aufstrebenden Ländern, wo die Praxis noch am häufigsten vorkommt. Ihre Arbeit ist essentiell im Kampf, aber sie muss durch Gesetzgebung gestärkt und durch nachhaltige Finanzierung unterstützt werden.