Könnte der Impfstoff für die nächste Pandemie in weniger als 100 Tagen entwickelt werden?

Autor: Jacky Habib

Alice Zoo for Global Citizen

Warum das wichtig ist 
Das Global Goal 3 der Vereinten Nationen (UN) zielt darauf ab, dass jeder Mensch, überall, Zugang zu guter Gesundheitsversorgung hat. COVID-19 hat weltweit zum Tod von über drei Millionen Menschen geführt, kann aber unter anderem durch Impfstoffe verhindert werden. Forscher*innen benötigen die Möglichkeit, Impfstoffe schnell und sicher entwickeln zu können. Genauso wichtig ist es, den am meisten gefährdeten Menschen auf der Welt Zugang zu verschaffen. Schließe dich Global Citizen an und werde hier zu diesem und anderen Themen aktiv. 

Als der von Pfizer und dem Biotechnologieunternehmen BioNTech entwickelte COVID-19-Impfstoff im Dezember 2020 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration für den Notfalleinsatz zugelassen wurde, war seine schnelle Entwicklung und Zulassung anders als alles andere davor.

Zuvor hatte die schnellste Entwicklung und Zulassung eines Impfstoffs vier Jahre gedauert. Aufgrund der bestehenden Forschung an anderen Coronaviren und der Möglichkeit, auf der bereits existierenden mRNA-Technologie aufzubauen, konnten die Forscher*innen jedoch mehrere COVID-19-Impfstoffe in Rekordgeschwindigkeit entwickeln und testen. 

Mit finanzieller Unterstützung von Regierungen, Pharmaunternehmen, philanthropischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen wurden Forscher*innen weltweit mit Mitteln ausgestattet und konnten die Bekämpfung von COVID-19 beschleunigen. 

Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), in der sich die Gruppen zusammengeschlossen haben, unterstützt die schnelle COVID-19-Impfstoffentwicklung seit Anfang 2020 massiv. Dieser Zusammenschluss hat es sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung von Impfstoffen gegen neu auftretende Infektionskrankheiten zu beschleunigen und einen gerechten Zugang zu Impfstoffen bei Ausbrüchen zu ermöglichen. CEPI ist Gründungsmitglied des Access to COVID-19 Tools Accelerator (ACT), der daran arbeitet, innovative COVID-19-Impfstoffe, -Behandlungsmethoden und -Therapeutika zu identifizieren und gleichzeitig die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt zu stärken. So soll sichergestellt werden, dass niemand zurückgelassen wird.

Dr. Melanie Saville, the director of vaccine research and development at The Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), poses for a portrait in London on April 28, 2021.
Dr. Melanie Saville, the director of vaccine research and development at The Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), poses for a portrait in London on April 28, 2021.
Image: Alice Zoo for Global Citizen

Dr. Melanie Saville ist Leiterin der Impfstoff-Forschung und -Entwicklung bei CEPI und hat in der Pandemie-Bekämpfung eine entscheidende Rolle gespielt. 

Global Citizen sprach mit Saville über die verschiedenen Stadien der COVID-19-Impfstoffentwicklung und darüber, wie Forscher*innen auf neue Coronavirus-Varianten reagieren sowie darüber, wie wir Impfgerechtigkeit für die am meisten gefährdeten Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sicherstellen können. 

Global Citizen: Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit bei CEPI. Wie war das vergangene Jahr für Sie und Ihr Team?

Dr. Melanie Saville: Ich arbeite als Leiterin der Impfstoff-Forschung und -Entwicklung. Mein Team ist dafür verantwortlich, mögliche Impfstoffe gegen COVID-19 einzubringen und unsere Partner bei der Entwicklung dieser anzuleiten und zu unterstützen. Zudem ist es unsere Aufgabe, die Wissenschaft zu fördern sowie immunologische, präklinische und epidemiologische Projekte im Zusammenhang mit COVID-19 zu unterstützen. 

Als COVID-19 im Januar 2020 auftrat, haben wir sofort auf die Pandemie reagiert. 

Wie sah die Reaktion damals aus? 

Ich kam nach den Weihnachtsfeiertagen zurück zur Arbeit. Kaum war ich dort angekommen, sprach mein Chef mit mir und sagte: “Melanie, wir haben ein Problem.”

Noch am selben Tag hatten wir ein Treffen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen wichtigen Gruppen wegen dieses mysteriösen Virus aus China. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir kaum Informationen. Was wir wussten, war, dass es sich offensichtlich um einen Ausbruch handelte, um den sich die internationale Gemeinschaft kümmern muss. Sobald uns klar war, dass es sich um ein Beta-Coronavirus handelte, begannen wir mit der Arbeit. Damals wussten wir noch nicht, dass es eine Pandemie geben wird. 

Je länger gewartet wird, umso mehr Auswirkungen hat ein Ausbruch. Wir konnten auf unserer zuvor geleisteten Arbeit aufbauen. Deshalb sind wir zu unseren bestehenden Partnern gegangen und haben gesagt: ‘Bitte fangt jetzt an, daran zu arbeiten. Wir werden euch finanzieren, wenn ihr jetzt beginnt. Entwickelt einen Viruskandidaten, führt die notwendigen präklinischen Tests durch, bringt ihn in die Klinik und wir werden euch unterstützen.’ 

Wir fingen außerdem damit an, uns mit der Geschwindigkeit und dem Umfang der Impfstoffherstellung zu beschäftigen. Schnell wurde klar, dass dieses (Virus) nicht eingedämmt werden kann und wir große Impfstoffmengen benötigten. Wir überlegten, wie wir Hunderte von Millionen von Impfstoffdosen herstellen könnten. Denn im Zentrum dessen, was CEPI tut, steht der Zugang zu Impfstoffen. Sobald wir einen Vertrag mit einem Entwickler abschließen, gibt es eine Verpflichtung, Dosen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu liefern. 

Wie screenen Sie Impfstoffkandidaten und wie entscheiden Sie, wer eine Förderung erhält?

Die allerersten Investitionen haben wir bei bestehenden Kandidaten, mit denen wir bereits Verträge hatten, getätigt. Auf diese Weise kamen wir mit den ersten Impfstoffkandidaten sehr schnell voran. Unsere Projekte laufen über Ausschreibungen. Deshalb haben wir weit über 100 Bewerbungen für die Entwicklung eines Impfstoffes bekommen und konnten jedes Angebot anhand festgelegter Kriterien intern und extern überprüfen. 

Für Investitionen arbeiten wir mit drei Hauptkriterien. Das ist zum einen die Geschwindigkeit bei der Entwicklung, wobei wir natürlich sicherstellen müssen, dass die nicht zulasten der Sicherheit geht, zum anderen ist das der Umfang der Herstellung. Das dritte Kriterium ist die Zustimmung zu den Prinzipien von CEPI bezüglich des gerechten Zugangs. 

Wir finanzieren diejenigen, von denen wir glauben, dass sie die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit haben. Aber wir setzen auch nicht alles auf eine Karte, sprich auf nicht nur mRNA-Kandidaten, nicht auf alle mit viralen Vektoren, nicht auf alle mit Proteinen. Da wir zu dieser Zeit nicht wussten, was erfolgreich sein würde, wollten wir ein vielfältiges Portfolio haben. 

Was waren Ihre Beobachtungen während der Impfstoff-Finanzierung? 

Moderna haben wir schon sehr früh finanziert. Das war einer der ersten wirksamen Impfstoffe. Zudem haben wir AstraZeneca, dass eine Vielzahl von Impfstoffen auf den Markt gebracht hat, finanziert. Geld ging auch an Novavax. Von diesem Impfstoff erhoffen wir uns, dass er den Zulassungsprozess erfolgreich durchlaufen wird. 

Mit der Zeit wurde die Impfstoffentwicklung durch die neuen Virus-Varianten komplexer. Wir mussten uns die Mutationen ansehen und entscheiden, ob wir dafür einen eigenen Impfstoff benötigen. Dafür arbeiten wir auch mit Entwickler*innen zusammen, damit wir wissen, was für ein Impfstoff gegen eine Virus-Variante nötig wäre. 

Erzählen Sie uns von der schnellen Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe. Wie wurde sie mit der Sicherheit in Einklang gebracht und kann sie als Präzedenzfall für die zukünftige Impfstoffentwicklung gesehen werden? 

Im Januar wurde die komplette RNA-Genomsequenz des Coronavirus erstmals in einer Gen-Datenbank hinterlegt, damit war das Virus identifiziert. Der erste erfolgreiche Impfstoffkandidat brachte nach 300 Tagen Wirksamkeitsergebnisse. Normalerweise würde es wahrscheinlich ein Jahrzehnt dauern, um dorthin zu gelangen. Deshalb war das ziemlich unglaublich. Doch nun hat die Technologie bewiesen, dass wir schneller sein können. Darauf müssen wir aufbauen. 

Bei der nächsten Pandemie wollen wir das in unter 100 Tagen schaffen. Deshalb arbeiten wir in verschiedenen Bereichen mit der Technologie, um zu sehen, wie wir noch schneller werden können, ohne Kompromisse bei der Sicherheit eingehen zu müssen. 

Sicherheit ist von entscheidender Bedeutung. Um schnell voranzukommen, haben wir zunächst mit der Herstellung auf Risiko begonnen –  wir haben die Produktion hochgefahren und im großen Maß hergestellt, bevor wir überhaupt klinische Daten hatten. Das hat sich als sehr hilfreich erwiesen. 

Normalerweise würde man das nicht machen, weil es eine große Investition ist. CEPI ist damit ein großes finanzielles Risiko eingegangen. Wir wussten nicht, ob es funktionieren wird, aber wir haben sichergestellt, dass die entsprechenden Studien durchgeführt werden. 

Was würden Sie denjenigen sagen, die sich wegen der schnellen Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe Sorgen machen?

Wir haben sichergestellt, dass unabhängige Datenüberwachung-Komitees die Daten laufend überprüfen konnten. Obwohl die Studien schnell vorangeschritten sind, hat eine große Anzahl von Menschen daran teilgenommen. Zudem wurden sie unter den richtigen, kontrollierten Bedingungen durchgeführt, und die normalen Sicherheitsdaten, die sonst erfasst werden, wurden auch in den COVID-19-Impfstoffstudien erfasst - wahrscheinlich nur nicht so lange wie sonst üblich. 

In der Realität heißt das, dass die Nachbeobachtung auch nach der Zulassung des Impfstoffs für den Notfalleinsatz fortgesetzt werden muss. Es ist absolut entscheidend, dass wir die Daten während der gesamten Lebensdauer des Impfstoffs weiter erfassen. Natürlich mussten in einigen Fällen auch Studien aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Doch das passiert immer wieder bei klinischen Studien. Letztendlich geht es darum, den Nutzen des Impfstoffs gegen das potenzielle Risiko des Impfstoffs abzuwägen, und diese beiden Faktoren müssen miteinander in Einklang gebracht werden.


Die Serie "Following the A-Team" stellt die Frauen vor, die im Rahmen des ACT-A an vorderster Front gegen COVID-19 kämpfen.

Der “Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator” wurde im April von sieben globalen Partnern ins Leben gerufen. Er ist die einzige globale Initiative zur Beschleunigung der Entwicklung, Herstellung und gerechten Verteilung von COVID-19-Tests, -Behandlungen und -Impfstoffen. 

Die Organisation braucht dringend finanzielle Unterstützung von Regierungen auf der ganzen Welt. Schließe dich uns hier an und fordere die Politiker*innen weltweit auf, den ACT-Accelerator zu finanzieren. 

Diese Serie wurde mit Unterstützung durch die Bill and Melinda Gates Stiftung ermöglicht. Jeder der Beiträge ist redaktionell unabhängig erstellt worden.