Eins ist klar: Wir können extreme Armut nicht beenden oder die Global Goals der UN erreichen, wenn wir geschlechtsspezifische Gewalt nicht bekämpfen.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein historisches und globales Problem, das vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) als die “am weitesten verbreitete, aber am wenigsten sichtbare Menschenrechtsverletzung der Welt” beschrieben wird.
Es handelt sich um ein Problem, das sich in allen sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schichten wiederfindet.
Was ist geschlechtsspezifische Gewalt?
Geschlechtsspezifische Gewalt wird in der Regel durch körperliche, sexuelle, mentale oder wirtschaftliche Schäden charakterisiert, die einer Person (meistens einer Frau oder einem Mädchen) zugefügt werden.
Die Europäische Union definiert Gewalt gegen Frauen in der 2011 verabschiedeten "Istanbul Konvention" als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau. Sie bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Dazu gehören auch die Androhung solcher Handlungen, die Nötigung oder die willkürliche Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben. Sie umfasst sexuelle Belästigung und Gewalt, weibliche Genitalverstümmelung, Kinderheirat, psychischen Missbrauch und Kontrollverhalten.
Anstatt die Gleichstellung von Frauen und Mädchen zu fördern, wird die Einkommensungleichheit dadurch erhöht und der globale Kampf gegen extreme Armut und das Erreichen der Global Goals der UN gebremst.
4 wichtige Fakten, die du über geschlechtsspezifische Gewalt wissen solltest:
- Weltweit wurde eine von drei Frauen geschlagen, zum Sex gezwungen oder auf andere Weise missbraucht — meistens von einem Bekannten.
- Etwa 614 Millionen Frauen weltweit haben mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebt.
- 38 Prozent der Morde an Frauen weltweit wurden von ihrem Partner begannen.
- Nach Schätzungen der Weltbank kann Gewalt gegen Frauen in einigen Ländern bis zu 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Form von Produktivitätsverlusten kosten — und damit die Erwerbsmöglichkeiten vieler Familien beeinträchtigen.
Wie viele Menschen sind von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen?
Die Zahlen sind erschütternd: 200 Millionen Frauen haben weibliche Genitalverstümmelung erfahren, 33 bis 51 Prozent der Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 49 Jahren in Ozeanien, Südasien und in Afrika südlich der Sahara haben Gewalt durch intime Partner erfahren.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben “schätzungsweise 37 Prozent der Frauen, die in den einkommensschwächsten Ländern leben, körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch intime Partner*innen erlebt, wobei die Prävalenz in einigen Ländern sogar bei einer von zweien liegt.”
Die COVID-19-Pandemie hat die Situation noch verschlimmert, indem die Ungleichheiten vergrößert und Frauen Gewalt vermehrt ausgesetzt wurden.
“Gewalt gegen Frauen ist in jedem Land und jeder Kultur endemisch, fügt Millionen von Frauen und ihren Familien Schaden zu und wurde durch die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert”, sagte Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO-Generaldirektor.
Wer ist am meisten von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen und warum?
Frauen, die in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen leben, sind unverhältnismäßig stark von diesem Problem betroffen. Andere Faktoren, die geschlechtsspezifische Gewalt begünstigen, sind bestimmte kulturelle Normen, ein niedriges Bildungsniveau, eine geringe Gleichstellung der Geschlechter und schädliche männliche Verhaltensweisen.
Doch auch in einkommensstarken Ländern ist geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem. In Deutschland hat schätzungsweise jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erlebt. Wenn eine Frau durch ihren Ex-Partner getötet wird, so wird es meist immer noch als Totschlag anstelle von Mord geahndet. 80 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt sind weiblich und laut der polizeilichen Kriminalstatistik von 2019 waren etwa 115.000 Frauen Opfer. Hierbei werden allerdings auch nur die polizeilich regisrtierten Fälle gezählt - die Dunkelziffer wird viel höher geschätzt.
Das ist jedoch nicht alles. Hierzulande werden Schwangerschaftsabbrüche weiterhin gesellschaftlich tabuisiert, da es nach wie vor einen geringen Stellenwert von sexuellen und reproduktiven Rechten für Frauen gibt. So verwundert es auch nicht, dass der "Tampon Tax" landesweit zu einer großen Diskussion führte. Anfang 2020 hat die Bundesregierung endlich den Mehrwertsteuersatz von Hygieneartikeln auf sieben Prozent reduziert. In anderen Ländern sind sie gännzlich von der Mehrwertsteuer befreit und es gibt sogar kostenlose Binden und Tampons auf öffentlichen Toiletten.
Geschlechtsspezifische Gewalt kann zudem die Arbeitsfähigkeit von Frauen einschränken, dazu führen, dass sie unter sozialer Isolation und Lohneinbußen leiden und eingeschränkte Möglichkeiten haben, um sich um ihre Kinder und sich selbst zu kümmern.
Doch obwohl geschlechtsspezifische Gewalt Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark betrifft, sind auch andere Gruppen aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechterzuschreibung betroffen. Die LGBTQIA+ Community, insbesondere Menschen, die sich als trans identifizieren, erleben diese Form der Gewalt.
Wie wirkt sich geschlechtsspezifische Gewalt auf die Mission zur Beendigung extremer Armut aus?
Das Beenden geschlechtsspezifischer Gewalt ist mit einer besseren Gesundheit für Frauen und Kinder verbunden, erhöht die Wirtschaftsproduktion und Inklusion und hilft der Welt dabei, die Global Goals der UN zur Beendigung extremer Armut und ihrer systemischen Ursachen zu erreichen. Studien haben auch ergeben, dass Programme und politische Maßnahmen dabei helfen, geschlechtsspezifische Gewalt zu reduzieren.
Wer sind die Schlüsselfiguren, um geschlechtsspezifische Gewalt anzugehen?
Es gibt viele Organisationen und Einzelpersonen in jedem Land, jeder Region und jeder Gemeinschaft, die sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt einsetzen.
Seit der Verabschiedung der Erklärung zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen im Jahr 1993 haben die UN mehrere Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt verabschiedet und sich vor allem durch Global Goal 5, Gleichstellung der Geschlechter, für die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt eingesetzt.
Schwesterorganisationen wie die UN Women, der Bevölkerungsfonds der UN (UNFPA) und das Entwicklungsprogramm (UNDP) sowie andere weltweit agierenden Organisationen wie die WHO und die Weltbank haben internationale Richtlinien und Best Practices entwickelt, die alle auf die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt abzielen.
Wie können wir gegen geschlechtsspezifische Gewalt aktiv werden?
Mit Global Citizen kannst du zu diesem und anderen wichtigen Themen aktiv werden. Hier kannst du unsere Petition unterschreiben, um dich für Geschlechtergerechtigkeit stark zu machen und in unserem Quiz kannst du dein Wissen testen.
Regierungen und Institutionen sollten Diversität und Inklusion fördern, indem sie beispielsweise mehr Frauen in Machtpositionen einführen sowie Maßnahmen und Programme umsetzen, die geschlechtsspezifische Gewalt an der Quelle bekämpfen — bei den Täter*innen.
Gemeindevertreter*innen, Influencer*innen und religiöse Führungspersönlichkeiten können ihre Zielgruppe aufklären und gesellschaftliche und kulturelle Normen ansprechen, die geschlechtsspezifische Gewalt begünstigen. Die Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt müssen kollektiv, entschlossen und inklusiv auf globaler Ebene geschehen.
Dr. Tedros fasst es ganz gut zusammen: “Im Gegensatz zu COVID-19 kann die Gewalt gegen Frauen nicht durch eine Impfung beendet werden. Wir können sie nur mit tiefgreifenden und nachhaltigen Bemühungen bekämpfen — durch Regierungen, Gemeinschaften und Einzelpersonen. Schädliche Einstellungen müssen geändert, der Zugang zu Möglichkeiten und Dienstleistungen für Frauen und Mädchen verbessert und eine gesunde und respektvolle Beziehung miteinander gefördert werden.”
Wenn auch du dich dafür einsetzen willst, dass Geschlechtergerechtigkeit erreicht wird, dann werde hier mit uns aktiv.