Im Finanzministerium ist der Rotstift ein gern gesehenes Werkzeug. Er ermöglicht es Finanzminister Christian Lindner (FDP), bei der Haushaltsplanung die umstrittene Schuldenbremse einzuhalten. Zahlreichen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen in Deutschland gilt der Rotstift jedoch als Symbol für die globalen Krisen von morgen. Denn die Streichungen betreffen auch die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. 

25 NGOs haben deshalb am 03. Juni 2024 in der Nähe zum Bundestag mit einem riesigen Rotstift am Berliner Hauptbahnhof protestiert, um Menschen aus aller Welt zu zeigen: Die Konsequenzen der geplanten Kürzungen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit beschränkten sich nicht nur auf Deutschland, sondern hätten auch gravierende Auswirkungen in der ganzen Welt. Denn Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Geldgeber für sogenannte öffentliche Entwicklungsleistungen (Official Development Assistance, ODA).

Die Sparvorgaben Christian Lindners deuten darauf hin, dass man sich darüber im Finanzministerium entweder nicht bewusst ist oder dort eines der Aushängeschilder Deutschlands in der Welt – die internationale Zusammenarbeit – keine zentrale Rolle mehr spielt. Bereits 2024 wurden die Etats des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) empfindlich um etwa 930 Millionen Euro (etwa 8% weniger als im Jahr 2023) gekürzt. Das Auswärtige Amt (AA) verlor mehr als 800 Millionen Euro (etwa 18 % weniger als im Jahr 2023) für humanitäre Hilfe, und der Haushalt des Wirtschaftsministeriums wurde um 200 Millionen Euro reduziert – Mittel, die für internationale Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen waren. Das bedeutete insgesamt ein Minus von insgesamt fast 2 Milliarden Euro für internationale Zusammenarbeit. 

Nun sollen für das Jahr 2025 weitere 1,3 Milliarden Euro zusammengestrichen werden. Die Einsparungen würden “langfristig mehr Schaden anrichten, als sie Nutzen bringen”, sagte Florian Westphal, CEO von der NGO Save the Children Deutschland – eine der Organisatorinnen der Rotstift-Aktion der Kampagne #LuftNachOben, der auch Global Citizen angehört. Die Befürchtung ist, dass viele auf Langfristigkeit angelegte Projekte der internationalen Zusammenarbeit nicht mehr finanziert werden könnten. 

Länder wenden sich ab

Das sieht man auch im BMZ so. Dort teilt man vor allem die Sorge um das eigene Image als verlässliches Partnerland für den Globalen Süden. Denn internationale Zusammenarbeit ist für Länder des Globalen Nordens nicht nur humanistischer Selbstzweck. Natürlich wirbt Deutschland damit auch für eigene geopolitische Positionen und Interessen.

Mit dem fehlenden Geld steht nun auch die politische Annäherung zu vielen Ländern auf dem Spiel, an denen Deutschland als Exportland wirtschaftlich Interesse hat. Hinzu kommt eine Anspruchshaltung von Geberländern, die mit den Geldern einhergeht und zunehmend als anmaßend und belehrend empfunden wird. Gerade von Deutschland, das zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent eine brutale Kolonialvergangenheit hat.

Vor einigen Jahren wurde der ehemalige Bundestagspräsident und Vorsitzende der Konrad Adenauer Stiftung Norbert Lammert (CDU) von Namibias damaligem Präsidenten Hage Geingob zurechtgewiesen, als er diesen während eines Besuchs vor zu viel chinesischem Einfluss im Land warnte. “Es scheint, das ist mehr ein europäisches als unser Problem”, unterbrach Geingob Lammert früh und verbat sich das eurozentristische Blockdenken. Als Frage verpackt verlangte er: “Können Sie aufhören, uns so zu behandeln”, und stellte klar, die Namibier*innen wüssten, “was wir mit unserem Land machen, bemitleiden Sie uns nicht.”

Einen wohl eher unangenehmen Moment hatte auch Christian Lindner während eines Besuch der Universität in der Ghanaischen Hauptstadt Accra vergangenes Jahr. Als er Studierende im Hörsaal fragte, wer sich denn vorstellen könne, in Deutschland zu arbeiten, meldete sich niemand.

Ende vergangenen Jahres schließlich fasste die Chefin der Welthandelsorganisation Ngozi Okonjo-Iweala die Haltung vieler afrikanischer Entscheidungsträger*innen vor deutschen Diplomat*innen schließlich so zusammen: “Wenn wir mit den Chinesen sprechen, bekommen wir einen Flughafen. Wenn wir mit den Deutschen sprechen, bekommen wir Belehrungen.”

Diese Belehrungen folgen oft einem Blockdenken und der Hoffnung, regionale Partner*innen nicht zum Beispiel an China oder Russland “zu verlieren”. Doch gerade viele afrikanische Länder entziehen sich dieser binären Logik zunehmend.

Welche fatalen Auswirkungen es haben kann, Entwicklungszusammenarbeit oder gar humanitäre Hilfe von Gunst oder Missgunst anderer Staaten abhängig zu machen, zeigte sich Ende Januar, als das Auswärtige Amt die Zahlungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA einstellte. Grund waren Anschuldigungen, dass etwa 1.200 seiner Mitarbeiter*innen Verbindungen zur Hamas oder zum Islamischen Dschihad hätten. Bis heute gibt es dafür keine Beweise. Zu diesem Schluss kam auch ein UN-Bericht. Im Gegenteil sei die Organisation “unverzichtbar und unersetzlich” in Gaza und ist die einzige vor Ort, die über die Logistik, Infrastruktur und Kontakte verfügt, um zumindest eine Linderung der Hungersnot sicherstellen zu können. Durch die Einstellung der Zahlungen von insgesamt 16 Ländern standen UNRWA 450 Millionen Dollar weniger zur Verfügung. Erst nach fast drei Monaten nahm Deutschland die Zahlungen wieder auf.

Mehr Verantwortung übernehmen?

Dabei soll es bei der internationalen Zusammenarbeit doch um Verantwortung gehen. So orientieren sich die Ausgaben des BMZ an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, darunter die globale Angleichung der Lebensverhältnisse, sowie die Bekämpfung der Klimakatastrophe, von Fluchtursachen oder Hunger. 

Diesen Verantwortungsbegriff sieht Tobias Hauschild von der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam in Deutschland, der ebenfalls am Hauptbahnhof sprach, zunehmend eingeengt: “Die Kürzungspläne von Finanzminister Lindner sind eine Absage an Solidarität”, sowie eine Absage an die internationale Verantwortung, sagte er mit Blick auf die wachsenden globalen Herausforderungen wie dem gemeinsamen Kampf gegen Pandemien, der Herstellung sozialer Gerechtigkeit oder der Eindämmung der Klimakrise. “Wenn wir in den Koalitionsvertrag schauen, steht da ganz viel von der Einhaltung internationaler Verpflichtungen”, was durch die Kürzungen ad absurdum geführt werde.

Dabei sprechen deutsche Politiker*innen seit Jahren davon, dass Deutschland “mehr Verantwortung in der Welt übernehmen” müsse. Damit ist jedoch meist die nach dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine verkündete Zeitenwende gemeint, die sich am Etat des Verteidigungsministerium ablesen lässt: Während andere Ministerien kürzen mussten, stieg dessen Budget 2024 um 1,8 Milliarden Euro. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bat für 2025 um weitere 6 Milliarden.

Als wichtiger Akteur in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit könnten Deutschlands Kürzungen als Präzedenzfall für weitere Kürzungen dienen. Denn der  Trend bei Entwicklungszusammenarbeit zu sparen, hat bereits begonnen. Auch andere europäische Länder haben ihre ODA-Budgets gekürzt. Das britische Amt für Auswärtiges, Commonwealth und Entwicklung (Foreign, Commonwealth and Development Office, FCDO) wurde beispielsweise von 11,7 Milliarden Pfund 2019 auf nur noch 7,6 Milliarden im Jahr 2022 reduziert. Eine Analyse über mögliche Auswirkungen warnte 2023 davor, dass diese Kürzungen zusätzliche 200.000 unsichere Abtreibungen auf dem afrikanischen Kontinent bedeuten könnten.

Kurz nachdem Deutschland sein Budget reduziert hatte, folgte Frankreich diesem Beispiel und strich 800 Millionen Euro aus seinem Entwicklungsetat, was 13 % des Budgets entsprach. Wenn Deutschland weiter kürzt, würde das Budget  unter 0,7 % des BIP fallen – ein Mindestziel, dem sich die Bundesrepublik seit den 70ern verpflichtet fühlt und welches die aktuelle Regierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat.

Was du tun kannst

Die Kürzungen von heute sind die Krisen von morgen. Du kannst dich uns anschließen, indem du die Global Citizen App herunterlädst und aktiv wirst, um sicherzustellen, dass unsere Stimmen weltweit gehört werden. Gemeinsam können wir Finanzminister Christian Lindner auffordern, diese kurzsichtigen Kürzungen zu stoppen und stattdessen in eine sichere Zukunft für alle zu investieren. Werde jetzt aktiv.

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Ein Beitrag von Julian Daum