Barbie Izquierdo erinnert sich noch sehr gut daran, wie sie frühmorgens in die Schul-Cafeteria gehen musste, um zu frühstücken. Doch sie litt an Laktoseintoleranz und konnte die Milch nicht trinken, die man ihr gab. Also aß sie das kostenlose Müsli trocken.
Sie nahm auch am Programm für kostenloses Mittagessen teil. Doch es war ihr oft zu peinlich, ihre Mahlzeit zusammen mit Mitschüler*innen einzunehmen, die ihr Essen von zu Hause mitbrachten. Der Hunger trieb sie trotzdem immer wieder zu ihren Lieblingsgerichten: Käsesteak im Brot oder Hot Dogs mit Bohnen.
Das Abendessen fand oft im Nachbarhaus statt. "Ich wuchs in einem spanischen Haushalt auf, deshalb aßen wir viel Reis und Bohnen", sagt sie. "Wenn wir Reis hatten und unsere Nachbarn Bohnen, haben wir alle zusammen gegessen.
Von klein auf erlebte Barbie, wie Gemeinschaften zusammenhalten und sich gegenseitig helfen, um Mitglieder vor Armut zu schützen. Wenn die Lebensmittelgutscheine, auf die ihre Familie angewiesen war, vor Monatsende ausgingen, halfen Nachbar*innen aus.
Nun nutzt Barbie Izquierdo diese Erfahrungen, um sich für ein Ende von Hunger und Armut allgemein einzusetzen. Auch die Stigmata der Ungleichheit will sie bekämpfen, die Menschen davon abhalten, für ihre Rechte einzutreten.
Für ihr 14 Jahre andauerndes Engagement, ihre Expertise und ihre Rolle als Community Empowerment Manager bei Hunger Free America wurde Barbie mit dem Global Citizen Award USA 2022 ausgezeichnet. Infolgedessen erhält ihre Organisation im kommenden Jahr finanzielle Unterstützung.
Mit dem Global Citizen Prize 2022 werden Menschen ausgezeichnet, die sich für die Umwelt, für Gerechtigkeit und gegen Armut einsetzen. Der Schwerpunkt liegt auf der Klimakrise, der Förderung von Mädchen und dem Abbau struktureller Barrieren, die Menschen in Armut halten.
"Ich hoffe, dass die Menschen, die mich sehen, sich selbst in mir wiedererkennen", sagt Barbie. “Dieser Weg ist alles andere als einfach, er ist geistig und emotional sehr anstrengend. Aber wenn du nicht aufgibst und etwas findest, an das du wirklich glaubst und dafür kämpfst, wirst du Erfüllung finden und gleichzeitig anderen helfen können.“
Über die Runden kommen
Barbie looking at a photo from her college graduation
Die ständige Sorge ums Überleben prägte Barbies Kindheit und folgte ihr bis ins Erwachsenenalter. Nachdem sie vor häuslicher Gewalt geflohen war, musste sie zwei kleine Kinder in einem Haus ohne Heizung großziehen und war auf Lebensmittelgutscheine angewiesen, die am Ende des Monats aufgebraucht waren.
Als ihr drei Monate alter Sohn an einer Augenentzündung litt, die operiert werden musste, ging sie ins örtliche Krankenhaus, wo eine Krankenschwester sie fragte, ob sie an einer Umfrage zu ihrer Notsituation teilnehmen wolle.
"Sie stellte mir Fragen wie: Habe ich fließendes Wasser, einen funktionierenden Herd, einen funktionierenden Kühlschrank?“, erinnert sich Barbie. "Ich erzählte ihr von Missbrauch in meiner Beziehung, den Unterkünften, den einstweiligen Verfügungen und davon, wie ich versucht habe, einen Job zu finden, aber niemand mich einstellen wollte, obwohl wir am Boden waren."
Später erhielt sie einen Brief, in dem sie zu einem Yogakurs eingeladen wurde. Dort sollte sie eine Frau namens Dr. Mariana Chilton treffen, die mehr über ihre Geschichte erfahren wollte. Barbie befürchtete, dass der Staat das Treffen nutzen würde, um ihr die Kinder wegzunehmen, doch sie erfuhr bald, dass Chilton eine Expertin für öffentliche Gesundheit war, die sich an der Drexel University auf Armut, Ernährung und die Gesundheit von Müttern und Kindern spezialisiert hatte.
Im Jahr 2008 lud Chilton Barbie ein, Teil einer neuen Gruppe an der Drexel-Universität zu werden, die sich Witnesses to Hunger nennt und versucht, die politischen Diskussionen in Washington durch Erfahrungsberichte von Menschen, die in Armut leben, zu beeinflussen.
"Allzu oft werden politische Maßnahmen und Programme ohne die Beteiligung der am meisten betroffenen Menschen entwickelt", heißt es in einer Erklärung auf der Website von Witnesses to Hunger. "Die wahren Expert*innen für die Gesundheit von Müttern und Kindern und für Armut sind Mütter von kleinen Kindern. Sie haben ihre Kinder, ihre Nachbarschaft, ihren Alltag bei der Arbeit und die Sozialhilfe im Blick. Sie sind Lehrerinnen, die wertvolle Lektionen zu vermitteln haben. Jede*r von uns ist eingeladen, hinzuschauen und zuzuhören, um sich von ihnen leiten zu lassen."
Barbie erhielt eine Kamera, um ihr Leben zu dokumentieren und nahm an monatlichen Treffen mit anderen Müttern teil, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert waren – häusliche Gewalt, Obdachlosigkeit, Notversorgung und das Problem, Rechnungen nicht bezahlen zu können.
Ein Filmteam nahm an den Treffen teil und interessierte sich für Barbies Geschichte. Sie begleiteten sie in ihrem Alltag und hielten ihr Leben für einen Dokumentarfilm fest.
"Sie begleiteten mich zwei Jahre lang", sagt sie. "Wenn ich bei Terminen irgendwo im Land sprach, waren sie dabei. An normalen Tagen waren sie dabei, wenn ich meine Kinder badete und einfach meinem Alltag nachging.
"Zwei Jahre lang wurde gefilmt, zwei Jahre lang wurde geschnitten und ein Jahr lang wurde der Film vermarktet", sagt sie. "Ich bekam vorher nie einen Ausschnitt zu sehen und ich verfiel in eine tiefe Depression, weil ich mir ständig vorstellte, wie ich als Mutter dargestellt werden würde. Ich hatte Sorge, dass man mir meine Kinder wegnehmen würde, weil der Film zeigt, dass ich sie nicht ernähren kann.“
Der Film “A Place At the Table” (Ein Platz am Tisch) machte Barbie zu einer Repräsentantin ihrer Lebensrealität und zu einer bedeutenden Stimme zum Thema Hunger.
"Ich spreche mit Regierungsbehörden, Schulen und gemeinnützigen Organisationen und zeige ihnen, wie sie Menschen einbeziehen können, um die Probleme der Gemeinden besser erkennen und herausfinden sowie Menschen besser stärken zu können.“
"Viele dieser Organisationen denken, sie wüssten bereits, was das Beste für arme Menschen ist", fügt sie hinzu. "Aber sie haben es noch nie selbst erlebt und wissen daher nicht, wie man das Problem lösen kann.“
Eine Zukunft ohne Hunger
Laut Feeding America gibt es in den USA mehr als 38 Millionen Menschen, die regelmäßig Hunger erleiden, darunter zwölf Millionen Kinder.
Viele dieser Menschen sind wie Barbie auf eine Kombination aus staatlicher Hilfe, Wohltätigkeit und kommunaler Unterstützung angewiesen, um über die Runden zu kommen.
Das US-Wohlfahrtssystem stellt Menschen in Armut jedoch vor viele Hindernisse, die es ihnen erschweren, angemessene Unterstützung zu erhalten.
Oft wird anhand willkürlicher Kriterien entschieden, wer unterstützt wird und wer nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Inanspruchnahme von Lebensmittelgutscheinen – vor Ort offiziell bekannt als Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP) – mit einem Stigma behaftet ist, wodurch die Zahl der Anspruchsberechtigten, die die Gutscheine tatsächlich nutzen, sinkt.
Barbie hat diese Herausforderungen aus erster Hand erfahren und setzt sich nun für neue Standards in der Sozialhilfe ein, damit alle Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Beispielsweise kämpft sie für die Ausweitung des Sonderprogramms für die Ernährung von Frauen, Säuglingen und Kindern (WIC), damit Familien ihre Kinder das ganze Jahr über ernähren können. Zudem soll das Programm für mehr Menschen zugänglich werden, etwa jene, die derzeit nicht unter die Einkommensgrenzen fallen.
"In den ersten beiden Wochen, in denen man Lebensmittelgutscheine nutzt, scheint alles gut zu sein", sagt sie. "Man ist optimistisch, der Kühlschrank ist voll. Aber dann, zwei Wochen später, denkt man: 'Was soll ich jetzt tun? Wie soll ich über die Runden kommen?' In der dritten Woche machst du dir Vorwürfe und denkst, dass du die eine Woche mehr schaffen kannst, wenn du dich anstrengst, aber dann musst du dir eingestehen, dass du es doch nicht schaffst."
Barbie ging zu Lebensmittelbanken und Suppenküchen, um das zu ergänzen, was sie und ihre Familie nicht durch WIC und Lebensmittelgutscheine bekamen.
"Ich will eine dauerhafte Veränderung", sagte sie. "Niemand kann nach den derzeitigen Richtlinien leben, nach denen man völlig pleite sein und leiden muss, um Leistungen zu erhalten. Es ist eine ständige Erinnerung daran, dass man arm ist, egal was man tut und wie hart man arbeitet".
Anfang des Jahres hat sie über die Menschen in ihrem Leben nachgedacht, die ihr den Weg zu neuen Möglichkeiten geebnet haben. Nun hofft Barbie, dass der Citizen Award ihr dabei helfen wird, den Wandel herbeizuführen, den sie seit Jahren anstrebt. Und dass der Preis auch andere anspornt, sich um mehr Gerechtigkeit zu bemühen.
"Der Preis wird mir bei meiner Arbeit helfen. Denn er wird Menschen zu Gehör verhelfen, die dafür kämpfen, dass die Welt zu einem emphatischeren und gerechteren Ort wird.“
"Er wird kleinen Mädchen of Color wie mir die Gewissheit geben, dass sie ihre Träume verfolgen können, egal wie hart der Kampf sein mag.“
Ihr Sohn, der als Säugling notfallmäßig im Krankenhaus behandelt werden musste, ist heute gesund und wohlauf. Während ihre Kinder heranwachsen, hat Barbie das Gefühl, dass sie ihre Rolle als Organisatorin und Anwältin der Gemeinschaft voll ausleben kann.
Obwohl sie anfangs gezögert hatte, ihre Geschichte zu erzählen, weiß Barbie, dass sie ihr mächtigstes Werkzeug ist.
"Verletzlichkeit erfordert, dass man die Kontrolle, die man selbst aufrechterhält, aufgeben muss“, sagt sie. "Wir müssen das hinter uns lassen und diese Mauern niederreißen, um unsere Geschichten – die guten, die schlechten und alles dazwischen – voll und ganz zu fühlen und anzunehmen.“