Auf die Minute genau steht Madhu Varma vor meiner Haustür. Jeder der schon mal in Indien war, weiß, was für eine große Bedeutung dahintersteckt. Denn Zeitangaben und vor allem Pünktlichkeit sind in diesem Land zwei SEHR flexible Dinge.
Das allerdings ist nicht der Grund, warum Madhu von einem vorbeifahrenden Rickshaw-Fahrer schräg angeguckt wird, als wir uns auf den Weg machen. Denn Madhu Varma ist eine Ausnahme: sie ist eine der wenigen weiblichen Taxifahrerinnen in Neu-Delhi.
In Indiens Hauptstadt sind weibliche Taxifahrer eine Seltenheit. Was es wiederum für weibliche Fahrgäste in der Stadt schwierig macht. Letztes Jahr wurde eine junge Frau von einem Taxifahrer in seinem Auto vergewaltigt, was eine hitzige Debatte über die Sicherheit für Frauen auf den Straßen Neu-Delhis entfachte.
Die Familien in Indien, die es sich leisten können, haben daher einen eigenen Chauffeur. Für alle anderen heißt es, sich zwischen Rickshaws, Taxis, Meru Cabs oder Ola Cabs zu entscheiden. Die allesamt nahezu ausschließlich von Männern gefahren werden.
Im Jahr 2008 kam dann das Unternehmen 'Sakha Cabs' auf den Markt - und hat seitdem immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Denn 'Sakha Cabs' ist eine Taxiflotte, die ausschließlich von Frauen für Frauen gefahren wird.
Und eine dieser Frauen ist Madhu, 25. Sie ist seit über vier Jahren bei Sakha angestellt.
Angefangen hat sie damals als private Chauffeurin für eine Familie im Süden Neu-Delhis. Alle Angestellten bei Sakha starten als Chauffeurin für eine Familie, bevor sie in den regulären Taxibetrieb überwechseln. Eine Art Trainingszeit, wie Madhu sagt, um zu testen, ob die Frauen dem Stress des chaotischen Straßenverkehrs in Neu-Delhi gewachsen sind.
Vor ihrem Job als Taxifahrerin arbeitete Madhu in einem Schönheitssalon - eine Beschäftigung, die ihr mehr Geld für weniger Stunden einbrachte, wie sie selbst sagt. Aber ihr Herz schlug schon immer für's Autofahren. Ihre Familie allerdings war von der Idee allerdings wenig begeistert, allen voran ihr Bruder. Madhu registrierte sich bei Sakha heimlich und absolvierte das Training ohne sein Wissen.
Madhus Mann hingegen hat ihren Plan unterstützt. „Er hat eine ganz andere Einstellung", erzählt Madhu, während wir uns durch das Stauchaos in den Straßen kämpfen, „vielleicht weil er selber als Chauffeur arbeitet." Madhu Mann fährt einen Mercedes für eine wohlhabende Familie im Süden Neu-Delhis. Erst vor kurzem haben sie ihn sogar gefragt, ob er nach Dubai gehen möchte, um dort als Chauffeur für die Tochter der Familie zu arbeiten.
Aber Madhu hat kein Interesse daran, Neu-Delhi zu verlassen. Trotz all der Herausforderung. Sie fühlt sich wohl hier. „Es wäre komisch für mich, nicht in Indien zu sein", sagt sie. „Auch wenn der Verkehr in hier schlimm ist - wenn nicht zu sagen furchtbar."
Madhu lässt sich davon nicht abschrecken. Sie arbeitet 6 Tage die Woche, manchmal gepaart mit Nachtschichten die bis in die frühen Morgenstunden andauern. „Der Verkehr mitten in der Nacht ist überwältigend. Ich glaube, nachts ist auf den Straßen Neu-Delhis genauso viel los wie tagsüber", sagt Madhu und lacht.
Was schwer zu glauben, wenn man, wie wir jetzt gerade, im Stau steht und sich absolut nichts bewegt. Madhu fängt an, mich über Fahrgewohnheiten in den USA auszufragen - wo die Menschen auf der 'falschen' Straßenseite fahren, wie Madhu es ausdrückt. In Indien fahren die Menschen auf der linken Straßenseite, ein Relikt aus alten Zeiten, als über Indien die britische Fahne wehte.
Wobei ich persönlich mich schwer tue, von 'fahren' in Indien zu sprechen. Die Straßen sind permanent verstopft und man kommt nicht umher zu denken, dass das Gesetz des Stärkeren den Verkehr fest in der Hand hat.
„Wer in Indien Auto fahren kann, kann überall auf der Welt fahren", ist Madhu erneut lachende Antwort. 'Fahren' in Indien bedeutet also eine Mischung aus vorsichtigem navigieren zwischen Ochsenkarren, Motorrollern, Motorrädern, Kleintransportern und Rickshaws und einem abenteuerlichen Autorennen durch ein unendliches Labyrinth.
Die indische Regierung schätzt, dass sich allein in Neu-Delhi ca. 8,5 Millionen Privatfahrzeuge durch die Straßen schlängeln. Hinzu kommen zusammen genommen ungefähr 350.000 Taxis, Transporter und weitere Wagen im Dienst. Wer wundert sich da noch ernsthaft über Stau?
Frauen allerdings haben es schwer. Sie werden als Fahrerinnen im Verkehr schlichtweg nicht respektiert. Was Madhu irritierend findet. "Das ist deren Fehleinschätzung. Mädchen und Frauen können alles tun und machen, oder etwa nicht?"
Trotz allem ist es kein einfacher Job, gibt sie zu. Manche Schichten können auch schon mal 12 Stunden dauern, je nach Einsatz. Nichtsdestotrotz, Madhu findet nicht nur ihren Job toll, sondern ist davon überzeugt, dass 'Sakha Cabs' als Unternehmen Frauen großartig unterstützt. Nicht nur in Form ihres Gehaltschecks über $150 im Monat (ca. 135€), sondern auch in Form von Unterstützung, wenn es um Trainingsmöglichkeiten oder aber Probleme zu Hause geht.
Madhu hat auch schon versucht, einige ihrer Freundinnen dazu zu bewegen, sich als Taxi-Fahrerin zu bewerben - mit wenig Erfolg. „Selbst wenn ein Mädchen Fahrerin werden will, sind die Familien fast immer dagegen." In dem Fall bietet Madhu Unterstützung an. „Wenn ein Mädchen zum ersten mal vor die Tür geht, um ihr eigenes Ding zu machen, das ist ein enorm großer Schritt."
Nach dem Vergewaltigungs-Vorfall im letzten Jahr haben die zwei größten Taxiunternehmen in Indien, 'Meru Cabs' und 'Ola Cabs', ebenfalls begonnen, weibliche Fahrer einzustellen.
Madhu hat allerdings kein Interesse an einem Wechsel. „Es geht hier nicht um Geld. Es geht um Sicherheit", sagt sie. Denn 'Sakha' sichert zu, dass alle weiblichen Fahrer auch ausschließlich weibliche Gäste chauffieren. Meru und Ola hingegen lassen das offen. Hier können Frauen und Männer als Fahrgäste auftreten.
Das, so Madhu, ist nicht gut. „Weiß man, welche Absichten ein Mann auf dem Rücksitz deines Wagens hat?", sagt sie, als wir an einer Ampel stoppen. Ein Rickshaw-Fahrer starrt unseren Wagen an, offensichtlich die Augenbrauen hebend als er die Aufschrift 'Taxis von Frauen für Frauen' liest. Madhu registriert es erst gar nicht.
„Heutzutage ist gerade mal einer aus hundert Männern in Neu-Delhi nett" sagt sie mit sehr ernster Miene. Weswegen sie ein Angebot von Ola Cabs ablehnte, die ihr unter anderem ein höheres Gehalt ($230 pro Monat) boten, sowie die Möglichkeit, ihre Schichten flexibel anfangen zu können. Aber Madhu ist von dem Angebot nicht beeindruckt. Ihre Sicherheit geht ihr ausdrücklich vor.
Denn bis heute erlebt sie Männer, die sie auf der Straße fahren sehen, dann bei Sakha anrufen und eine Taxifahrt ganz speziell mit ihr buchen wollen. Solche Anfragen werden dann höflich aber bestimmend abgelehnt.
„Wenn ich für eine andere Firma arbeiten würde, dann wäre ich allein mit diesem Problem. Bei Sakha allerdings weiß ich, dass immer jemand hinter mir steht."
Madhu konzentriert sich auf den Straßenverkehr. Ihre Augen kleben an dem Wagen vor uns. Ich frage sie, ob sie je einen Unfall hatte. Sie nickt. „Einmal ja. Zum Glück ist niemand verletzt worden." Sie ist mit dem Wagen in eine Leitplanke gekracht, aus der Motorhaube stieg Rauch auf. „Ich war ziemlich geschockt", sagt sie.
Ich frage, ob ihr das Fahren Angst macht. „Kein bisschen. Damals, als ich anfing, hatte ich ein bisschen Angst, vor allem nachts." Heute strotzt Madhu nur so vor Selbstbewusstsein.
Wir biegen in eine Seitenstraße ein, an der Ecke ist ein Taxistand, ein Dutzend Augenpaare folgen uns. Von ausschließlich männlichen Taxifahrern. Sie sitzen in ihren Wagen, spielen Karten zum Zeitvertreib. Ihre Köpfe gehen hoch und das Kartenspiel stoppt, als sie uns sehen. Sie beobachten Madhu, wie sie rückwärts die Einfahrt hochfährt, um mich rauszulassen.
„Frauen sollten tun und lassen können was sie wollen", sagt Madhu, „und nicht das, was irgendwer ihnen vorschreibt oder was die Gesellschaft für angemessen hält."
Ich bezahle die Fahrt und dann ist Madhu auch schon wieder los. Zum nächsten Fahrgast. Als sie den Taxistand passiert, wagen die männlichen Fahrer noch mal einen Blick, bevor sie sich wieder ihrem Kartenspiel widmen.
Dieser Beitrag wurde von Esha Chhabra von der Organisation 'TakePart World' geschrieben und zum ersten Mal hier veröffentlich. Aus dem Englischen übersetzt und angepasst von Aileen Elsner / Global Citizen.