Ajeet Singhs persönlicher Kampf gegen den Sexhandel in den Straßen der indischen Stadt Varanasi begann, da war er gerade einmal 17 Jahre alt:
1988, als Singh noch zur Schule ging, traf er auf der Party seines Cousins auf eine Frau. Sie war Tänzerin, ein sogenanntes 'Nautch girl, die für die Gäste auftrat.
Früher wurden ‘Nautch Girls’ in Indien als Symbol für Anmut verehrt - heute gelten sie oft nur noch als Prostituierte und werden daher von der Gesellschaft gemieden.
„Die Art und Weise, wie sich die Menschen auf der Party ihr gegenüber benahmen, fand ich richtig schlimm", erzählte Singh gegenüber Global Citizen auf der von der Thomson Reuters Foundation initiierten ‘Trust Conference über moderne Sklaverei’ in London. „Ich habe die ganze Nacht gewartet, bis es endlich einen Moment gab, in dem ich sie ansprechen konnte."
Trotz seines jungen Alters wollte Singh der Frau und ihren drei kleinen Kindern unbedingt dabei helfen, aus der Welt der sexuellen Ausbeutung auszubrechen.
„Ich dachte mir, was wäre, wenn ich ihre Kinder adoptiere?!", erzählt Singh weiter. „Und damit war der Anfang gemacht."
Und Singh adoptierte nicht nur die Kinder, sondern begann auch damit, sie in seiner Freizeit neben seinem College-Studium zu unterrichten. Er wollte ihnen die Möglichkeit geben, später einmal selbst studieren zu können, um sich so ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen.
Doch damit gab Singh sich nicht zufrieden.
1993 gründete er die Organisation ‘Guria’ - zur Bekämpfung sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern in den Straßen Varanasis, insbesondere durch Zwangsprostitution und Menschenhandel. Denn vor allem die Sexindustrie sei aufgrund des wachsenden Sextourismus und der Verbreitung von HIV / AIDS zu einem großen Problem geworden, so Singh.
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Singhs Einsatz gibt Hoffnung: Seit Gründung der Organisation haben er und sein Guria-Team mehr als 2.500 Kinder aus dem Rotlichtviertel von Varanasi befreit!
Wenn es um seinen Einsatz geht, zeigt Singh sich bescheiden: „Ich ging zum Rotlichtviertel und der Rest der Arbeit folgte."
In Wirklichkeit riskiert er jedoch sein Leben. Zum Beispiel gibt er sich mit versteckter Kameras als Kunde aus, um so die Standorte von oft illegalen Bordellen und die Zahl der dort festgehaltenen jungen Mädchen zu ermitteln.
Sobald er alle Informationen hat, die er benötigte, versammelt er genug Freiwillige um sich und überfällt kurzerhand das Shivdaspur Rotlichtviertel in Varanasi. An nur einem Tag rettete er in der Vergangenheit so 15 junge Mädchen aus Bordellen.
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Doch Singh wäre nicht Singh, wenn er nicht auch hier in die Zukunft denken würde. Nach ihrer Befreiung bietet Singh den Frauen und Kindern Unterstützung auf breiter Ebene an, damit sie ihr Leben wieder auf Kurs bringen können.
„Es ist ein multidimensionaler Ansatz den wir anbieten, quasi von Anfang bis Ende", sagt Singh. „Wir machen alles für sie, von rechtlicher Unterstützung über Bildungsmöglichkeiten bis hin zur Kunsttherapie."
Die Komplexität der Lösung hängt zum Teil mit der Komplexität des Problems und den eigentlichen Ursachen zusammen.
„Es ist eine Kombination aus Dingen, die dazu führen, dass Kinder in die Hände von Menschenhändler geraten, aber Armut und mangelnde soziale Gleichberechtigung, vor allem zwischen den Geschlechtern, sind die beiden größten Probleme", sagte er. „Es ist ein soziales Problem. Schulkinder sind am stärksten gefährdet. Es passiert, wenn sie noch minderjährig sind."
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Besonderen Schwerpunkt legen Singh und seine Organisation Guria daher vor allem auf die Bekämpfung der sogenannten "Prostitution in zweiter Generation", bei der Kinder von Prostituierten in ähnliche Lebensumstände wie ihre Mütter verwickelt werden.
Um Mütter und Kinder aus den Bordellen zu holen und sicherzustellen, dass sie nicht aus Mangel an Zukunftsperspektiven in den Sexhandel zurückfallen, nutzt Guria elementare Mittel wie Bildung, Gesundheitsfürsorge, Berufsausbildung und allen voran emotionale Unterstützung.
Trotz, oder besser gesagt aufgrund des Erfolgs seiner Arbeit ist Singh regelmäßig gefährlichen Drohungen von Menschenhändlern ausgesetzt.
„Du musst das Herz haben", so Singh. „Menschenhändler werden immer versuchen, dich auf irgendeine Art und Weise zu bestechen. Bis sie merken, dass meine Arbeit nicht kompromittiert werden kann, dass ich sie angreife. Erst dann lassen sie eventuell von dir ab. "
Neben der Unterstützung der Opfer arbeitet Singhs Organisation auch daran, die Menschenhändler langfristig aus dem Verkehr zu ziehen. Sie reichen Klage gegen die Händler ein, die zu Festnahmen führen, und stellen dann sicher, dass sie auch auf Kaution nicht frei kommen, um sie letztendlich hinter Gittern zu sehen. Bisher haben Singh und seine Organisation über 17.000 Fälle gegen Menschenhändler eingereicht.
Die inspirierende Arbeit von Singh und seiner Organisation Guria sind in einer Dokumentation festgehalten worden, in der die Geschichte zweier junger Mädchen erzählt wird, die die 'Hölle der Unterwelt' von Varanasi aus erster Hand erfahren haben.
Global Citizen macht sich dafür stark, die Ausbeutung und Diskriminierung von Mädchen und Frauen weltweit ein Ende zu setzen. Unsere Kampagne #LeveltheLaw hat sich zum Ziel gesetzt, Gesetze zu bekämpfen, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fördern. Hier kannst du dich uns und unserer Arbeit anschließen.