Seit Anfang Juli gehen in Brüssel Tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Kopftuchverbot an belgischen Hochschulen zu demonstrieren. Die Proteste reagieren auf einen zuvor verabschiedeten Verfassungsbeschluss.
Die Entscheidung vom 4. Juni besagt, dass das Verbot von Kopftüchern keinen Verstoß gegen die menschliche Würde oder das Recht auf Religionsfreiheit beinhalten würde. Die Erklärung bezieht sich dabei auf die Wahrung der Europäische Menschenrechtskonvention (ECHR).
Verbot könnte Diskriminierung fördern – vor allem von Frauen
Das sehen viele antirassistische sowie feministische Organisationen und Aktivist*innen anders, darunter Initiativen wie Belges Comme Vous, La Cinquième Vague, Imazi.Reine, der Muslimische Rat für Zusammenarbeit in Europa (CEM) und das Collectif Contre l’Islamophobie en Belgique (CCIB).
Unter den Hashtags #HijabisFightBack und #TouchePasAMesEtudes (zu deutsch: “Lass meine Bildung in Ruhe”) klären Aktivist*innen in den sozialen Medien über die diskriminierenden und frauenfeindlichen Auswirkungen des Verbots auf.
"Es sind immer Frauen, die von solchen Rückschlägen getroffen werden", sagt Fatima-Zohra Ait El Maâti, feministische Autorin und Gründungsdirektorin von Imazi.Reine, in einem Interview mit dem Vice-Magazin. "Es ist schon merkwürdig, dass es Menschen gibt, die denken, mich als 24-jährige befreien zu wollen – und vor allem, die glauben, dass sie es besser können als ich selbst.”
Religionsfreiheit: Ein Menschenrecht mit vielen Interpretationen
In einer Pressemitteilung als bezeichnet die CCIB das Verbot als “eine beispiellose Verletzung von Grundrechten in Bezug auf religiöse und philosophische Überzeugungen".
Nun haben muslimische Student*innen der Francisco Ferrer Universität Brüssel eine Petition eingereicht, um das Urteil anzufechten.
Das Kopftuch ist in vielen europäischen Ländern zu einem umstrittenen Thema geworden. In Frankreich, wo die Trennung von Kirche und Staat (Laizismus genannt) zu den Grundpfeilern der Verfassung gehört, ist das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit in jeder Form verboten. Nach französischer Auslegung gehört Religionsfreiheit damit nicht zu den Menschenrechten und darf nur im Privatleben ausgeübt werden.
In Belgien waren Kopftuchverbote bisher nicht weit verbreitet. Die jüngsten Verbote von Burkinis (Badebekleidung, die den Großteil der Körpers bedeckt) und Burkas (vollständige Verschleierung) in einigen Nachbarländern haben die bestehende Tendenzen der Islam- und Fremdenfeindlichkeit jedoch befördert. Der Aufschwung rechtsgerichteter Parteien könnte dieses Problem weiter verschärfen.
Kopftuchverbot könnte Frauen in ihrem Recht auf Bildung einschränken
Aktivist*innen argumentieren, dass solche Verbote großen Schaden anrichten, da diese den Zugang zu Chancengleichheit im öffentlichen Raum einschränken und muslimische Frauen vom gesellschaftlichen Leben und Bildung ausschließen könnten. Sie erklären, dass Frauen und Mädchen mit Kopftuch Gefahr laufen, wegen des Verbots die Schule abzubrechen oder erst gar nicht mit der Ausbildung beginnen zu können.
Der Muslimische Rat in Europa kommentierte das belgische Gerichtsurteil wie folgt: "Einige werden dadurch ihre Träume aufgeben müssen. Und einige werden gezwungen sein, ihr Kopftuch abzulegen, um ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen."
Over 1000 people protested in Brussels against a court ruling allowing a ban on headscarves in universities pic.twitter.com/qopkxWVM6z
— Middle East Eye (@MiddleEastEye) July 8, 2020
Trotz dieser Befürchtungen erklärte das Gericht, an seiner Entscheidung festzuhalten.
Bildungsinstitutionen leisten Widerstand
Bisher erklärten zwölf Bildungseinrichtungen Belgiens, darunter die Freie Universität Brüssel (VUB) und die Katholische Universität Leuvenhave, sich trotz des eingeführten Verbots für den Schutz der Religionsfreiheit einzusetzen.
Jene Institutionen betonten, dass sie weiterhin alle Student*innen willkommen heißen werden – unabhängig von ihrer Religion, ihrem Geschlecht oder ihrem sozialen Status.