Dieser Artikel wurde am 2.12.2021 aktualisiert.
“Herzlichen Glückwunsch!” bekommt man in diesen Tagen von seinen Freund*innen nicht nur zu seinem Geburtstag zu hören, sondern auch dann, wenn man einen Impftermin für die Booster-Shots ergattert hat.
In Deutschland wurde ein Stufenplan zur Priorisierung der COVID-19-Impfungen eingeführt: Menschen höheren Alters und mit bestimmten Vorerkrankungen waren zuerst an der Reihe. Mittlerweile wurde die Impf-Priorisierung aufgehoben – doch bis dahin war es, gefühlt, ein langer Weg.
Hierzulande läuft mit den COVID-19-Impfungen nicht alles rund. Es wurde viel diskutiert und kritisiert. Manche Hausarztpraxen waren heillos überlastet, weil sie dutzende Anrufe von “Impfstoff-Suchenden” bekamen. An anderen Stellen wurde davon berichtet, dass vereinzelt Impfdosen weggeschmissen werden mussten. Doch in manchen anderen Ländern stehen die Menschen vor ganz anderen Hürden. Aus Nigeria berichtet unser Autor Akindare Okunola wie er versuchte, eine COVID-19-Impfung zu bekommen.
Sowohl für mich als auch für viele andere begann 2021 besser als die ersten Monate des Jahres 2020, die von Drama und Ungewissheit geprägt waren. Zu Beginn dieses Jahres hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Reihe von COVID-19-Impfstoffen zugelassen. Auch Nigeria sollte seine erste Charge von COVID-19-Impfstoffen erhalten.
Es fühlte sich endlich so an, als hätte die Welt eine Chance gegen das tödliche Virus – und damit kam die Hoffnung, endlich wieder reisen, mit Freund*innen ausgehen und die Familie sehen zu können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, sich mit dem Coronavirus anzustecken.
Als Nigeria zum ersten Mal in den Lockdown ging – einen Monat, nachdem der erste COVID-19-Fall gemeldet wurde – versank jede*r, den ich kannte, in Ungewissheit. Meine Mutter rief ständig an, um sicher zu gehen, dass ich genug zu essen hatte, um im Notfall ein kleines Dorf zu ernähren, meine Freund*innen wussten nicht, was sie mit sich anfangen sollten und viele in meinem Alter sorgten sich um ihre Jobs.
Für mich war es schrecklich: Ich hatte gerade meinen Job gekündigt und der Ausbruch der Pandemie bedeutete, dass alle Aussichten auf einen neuen innerhalb weniger Tage verschwanden. Außerdem kämpfte ich schon mein ganzes Leben lang mit Geschwüren und einem kürzlich diagnostizierten Bluthochdruck. Alle sagten, dass Menschen mit Vorerkrankungen ein höheres Risiko haben, zu sterben, wenn sie sich mit COVID-19 infizieren – deshalb war ich wirklich verängstigt.
Und so entschied ich mich, alle Regeln zu befolgen und mich akribisch an Social Distancing zu halten – manchmal zum Ärger meiner Familienmitglieder und Freund*innen. Ich wusste, dass ich es mir buchstäblich nicht leisten konnte, mir das Coronavirus einzufangen. Private COVID-19-Tests in Nigeria kosten mehr als der Mindestlohn, und Expert*innen sagen schon lange, dass die Regierung zu wenig Tests durchführt.
Nigeria ist ein interessanter Ort: Es ist das bevölkerungsreichste schwarze Land der Welt und die größte Volkswirtschaft Afrikas, aber es hat auch die höchste Armutsrate auf dem Kontinent, eine enorme arbeitslose Jugendbevölkerung und eine immerzu strauchelnde Wirtschaft.
Nigeria hat keine sozialen Auffangprogramme, die man etwa in den USA finden würde, oder gar ein öffentliches Gesundheitssystem, wie in Europa. Es hat auch nicht die Art von wirtschaftlicher Infrastruktur, die man in Südafrika oder China kennt.
Dieses seltsame Virus legte etablierte Gesundheitssysteme lahm, zwang bereits fortschrittlichste Volkswirtschaften in die Knie und versetzte internationale Organisationen in Aufruhr. Welche Hoffnung hatte Nigeria in diesem Szenario? Welche Chance hatte ich?
Um es auf den Punkt zu bringen: Jede*r war besorgt und stellte sich Fragen: Können unsere Krankenhäuser diese Krise bewältigen? Kann die Wirtschaft einen Stillstand überstehen? Werden wir unsere Jobs verlieren? Werden die Lebensmittelpreise steigen? Werden wir jemals wieder so leben können wie früher? Werden wir jemals wieder Zeit mit der Familie verbringen können?
Vom ersten Lockdown bis zu dem Zeitpunkt, als uns die ersten COVID-19-Impfstoffe in Nigeria erreichten, war es (gelinde gesagt) hart – aber wir haben durchgehalten.
Wie für viele Menschen auf der ganzen Welt fühlten sich die Impfstoffe für mich an, als hätten wir endlich eine Waffe, um dieses verheerende Virus und seine Folgen für das Land und unser Leben zurückzudrängen.
Nigerias Bemühungen zur Beschaffung von Impfstoffen waren nicht gerade überragend. Es wurden keine direkten Käufe getätigt, sondern nur Impfstoffe über COVAX bezogen, ein globales Projekt, das den gerechten Zugang zu Impfstoffen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sicherstellt, sowie über multilaterale Abkommen mit der Afrikanischen Union (AU). Nigeria hat auch Spenden aus Indien und vom Telekommunikationsunternehmen MTN erhalten.
Insgesamt erhielt Nigeria etwas mehr als 4,3 Millionen Fläschchen des Zweifach-Impfstoffs von AstraZeneca – damit können weniger als ein Prozent der 200 Millionen Menschen in Nigeria geimpft werden. [Zum Vergleich: In Deutschland waren zu dem Zeitpunkt mehr als 20 Millionen Menschen (24,8 Prozent der Bevölkerung) bereits vollständig geimpft, Stand 11. Juni 2021]. Die Regierung kündigte an, dass Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens, Regierungsbeamt*innen und Menschen mit Vorerkrankungen bei den Impfungen Vorrang haben würden.
Wegen meines Gesundheitszustands habe ich schnell versucht, mich mehrmals auf dem von der Regierung eingerichteten Portal zu registrieren – zunächst ohne Erfolg. Erst etwa drei Wochen nach Beginn der Impfkampagne war meine Registrierung erfolgreich. Ich erhielt eine Impfnummer, das war's.
Es gab keine öffentlich angekündigten Impfzentren – vielleicht, weil die Regierung nur eine begrenzte Anzahl von Dosen zur Verfügung hat und sichergehen will, dass sie so viele Angestellte des Gesundheitswesens und Regierungsbeamt*innen wie möglich abdecken kann.
Allerdings hatte ich auf Twitter und Instagram viele persönliche Berichte von Menschen gesehen, die sich in Lagos, wo ich wohne und das Epizentrum der Pandemie in Nigeria ist, impfen ließen. Außerdem sollten meine Vorerkrankungen mich für die Impfung qualifizieren.
Am Mittwoch, den 14. April, erhielt ich nach vielen Nachforschungen eine Adresse für ein Impfzentrum in Surulere, einem Vorort der unteren Mittelschicht von Lagos. Als ich dort ankam, wurde ich vom Sicherheitsbeamten vor Ort darüber informiert, dass die Impfstelle ein paar Straßen weiter an einen anderen Ort verlegt worden war.
Es war ein Gerichtsgebäude. Ein Teil des Geländes war für etwas abgetrennt worden, das wie andere Routineimpfungen aussah (Polio, Masern, usw.) und für die COVID-19-Impfung angepasst worden war.
Tatsächlich tagte das Gericht, als ich ankam, und die Dame am Infoschalter, die mit mir unter der Bedingung der Anonymität sprach, erzählte mir in gedämpftem Ton, dass die Impfstoffe am Tag zuvor (13. April) ausgegangen waren.
Danach suchte ich drei weitere bestätigte Impfstellen auf: Ein Soldat an der Pforte eines Militärkrankenhauses in Yaba sagte mir, dass der Standort die Impfungen am 9. April eingestellt hat – er sagte nicht, warum; die Krankenschwester in einem anderen Gesundheitszentrum in der gleichen Gegend sagte mir etwas Ähnliches – die Impfungen seien in der Vorwoche eingestellt worden.
Danach überprüfte ich erneut alle Äußerungen der Regierung, um zu sehen, ob ich irgendwelche Informationen über die Impfkampagne finden konnte. Ich fand nichts.
In der darauffolgenden Woche, am 16. April – zu diesem Zeitpunkt hatten mehr als eine Million Nigerianer*innenden Impfstoff erhalten – gab die Regierung bekannt, dass sie Erstimpfungen einschränken würde, um Menschen, die bereits die erste Impfung erhalten haben, die Möglichkeit zu geben, eine zweite zu bekommen, um den vollen Impfschutz zu haben.
Aufgrund der globalen Engpässe bei der Auslieferung der Impfstoffe bleibt mir nur warten – darauf, dass Nigeria die nächste Charge von Impfstoffen erhält und ich vielleicht eine Chance auf eine Impfung bekomme. Bis dahin werde ich mich weiter an Social Distancing halten. An der Situation hat sich seit November nicht viel geändert. Ich bin nach wie vor ungeimpft. In Lagos gibt es eine Ausgangssperre von Mitternacht bis um vier Uhr morgens.
Mehr als um mich, mache ich mir Sorgen um die Millionen gefährdeten Nigerianer*innen, die nicht die Art von Zugang (mehr als 50 Prozent der Nigerianer*innen haben keinen Internetzugang), Gelegenheit und Privilegien haben, die ich als Nigerianer der unteren Mittelklasse habe. Wenn sie keinen Zugang zu einer Impfung haben, können wir die Pandemie in Nigeria nicht beenden, und auch weltweit nicht.
Wir müssen die Staats- und Regierungschef*innen, Philanthrop*innen und alle relevanten Behörden dazu aufrufen, dafür zu sorgen, dass jede*r – und insbesondere die am meisten gefährdeten Menschen – Zugang zu den COVID-19-Impfstoffen erhalten. Nur so können wir diese Pandemie wirklich beenden und wieder ein normales Leben führen.
Du kannst dich Global Citizen anschließen und hier aktiv werden, um sicherzustellen, dass jede*r, überall, gegen COVID-19 geschützt werden kann.