Indigene Völker gehören zu den größten Beschützern der Tier- und Pflanzenwelt. Sie sind es, die rund 80 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt in einer Zeit bewahren, in der Industrie Land- und Meereslandschaften in noch nie dagewesenem Ausmaß zerstört.
Doch unzählige indigene Menschen haben auf gewaltsame Weise ihre Heimat verloren. Durch Kolonialismus und Industrialisierung wurde ihnen fruchtbarer Boden entrissen, der ihnen als Nahrungsquelle diente.
Trotz vieler Widrigkeiten trafen viele die bewusste Entscheidung, sich nicht entwurzeln zu lassen. Die Verbundenheit mit ihrem eigenen Boden und historisch gewachsenen Gebieten erstreckt sich über Generationen und setzt nicht voraus, dass sie physisch vor Ort sind. So stellten sie zum Beispiel sicher, dass die Geschichten rund um ihre Heimat in Erzählungen weitergegeben werden und Teil ihrer Identität bleiben.
Diese Geschichten bereichern nicht nur die eigene Community, sondern uns alle, denn in ihnen steckt die Verbindung zur Natur und Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise. Wir möchten sie deshalb ehren und haben eine Liste von zehn Büchern und Filmen zusammengestellt, die von den Beziehungen der Völker zu ihrer Heimat und ihrer Natur – von Dankbarkeit, Befreiung und Widerstand.
1. Geflochtenes Süßgras: Die Weisheit der Pflanzen von Robin Wall Kimmerer
Kimmerer ist Mitglied der Citizen Potawatomi Nation und Botanikerin von Beruf. Sie lehnt eine imaginäre Trennung zwischen dem Wissenschaftlichen und dem Spirituellen ab. Ihr Werk und ihre Karriere sind ein Zeugnis für die Eleganz und Wahrheit, die entsteht, wenn wir uns traditionelles Wissen und Lehren aus der Natur zu eigen machen.
Sie schreibt über die Beziehungen zwischen dem reichhaltigen Boden und den Menschen, die auf ihm leben und darüber, wie wir diese Beziehungen wiederherstellen müssen, wenn wir die Herausforderungen der Klimakrise lösen wollen. Ihr Buch bietet eine Reihe von berührenden Anekdoten, wie das Zuckern von Ahornbäumen mit ihren Töchtern oder die Abhängigkeit ihres Großvaters von reichlichen Ernten an Pekannüssen.
2. Das Land der traurigen Orangen von Ghassan Kanafani
Palestine Poster Project Archives
Ghassan Kanafani ist einer der bekanntesten palästinensischen Autoren, der in seinen Texten häufig Land und Natur zusammenbringt, um die Geschichte des palästinensischen Exils zu erzählen. Seine Kurzgeschichte “Das Land der traurigen Orangen” handelt von der Notlage einer Familie nach der Übernahme des Landes durch die israelischen Streitkräfte im Jahr 1948, steht aber exemplarisch für die Erfahrungen Tausender vertriebener Familien.
Die titelgebenden Orangen beziehen sich auf die Jaffa-Orangen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts von palästinensischen Bäuer*innen angebaut wurden und ihren Namen von der Hafenstadt Jaffa haben. In der gesamten Geschichte werden Orangen als Metapher für Verlust und für Land verwendet – sie symbolisieren alles, was die Palästinenser*innen im Exil zurücklassen mussten und dienen als starkes Symbol für die enge Beziehung zwischen den Menschen und ihrem Land. Nach ihrer Vertreibung schrumpfen die Orangenbäume in Jaffa und sterben ab. So wie Menschen leiden, wenn sie ihr Land verlassen, so leidet auch das Land.
3. Mond des verharschten Schnees von Waubgeshig Rice
Als Anishinaabe-Journalistin verankert Rice die fiktive Gemeinschaft ihres Buches in den lebensnahen kulturellen Praktiken, der Dynamik und den Kämpfen der kanadischen First Nations-Völker. Als die boreale Community während eines brutalen, tödlichen Winters vom Stromnetz abgeschnitten wird, müssen die Anishinaabe zusammenkommen und sich auf ihr traditionelles Wissen verlassen, um zu überleben.
In dieser Geschichte geht es um die generationenübergreifenden Traumata, die das Vertrauen einer Gemeinschaft untergraben, sowie um die Zeiten der versuchten Auslöschung und Wiedergeburt, die in der Geschichte der First Nations eine zentrale Rolle spielen.
4. We Are Each Other’s Harvest von Natalie Baszile
Harper Collins Publishers
Vor hundert Jahren gab es in den USA über eine Million schwarze Bäuer*innen, heute sind es nur noch 45.000. Weniger als ein halbes Prozent des landwirtschaftlichen Umsatzes stammt von schwarzen Landwirt*innen. Systembedingte Hindernisse und Rassismus haben zu einer Krise für schwarze Landbesitzer*innen und Landwirt*innen geführt, die sich heute in Lebensmittelgeschäften und Lebensmittelwüsten im ganzen Land widerspiegelt.
Baszile erzählt die Geschichte der zurückkehrenden Generation schwarzer und PoC-Landwirt*innen, die sich bemühen, das Erbe der Landbewirtschaftung und der Ernährungssouveränität zurückzuerobern.
5. The Wanted 18
Der animierte Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der Verfolgung von 18 Milchkühen durch die israelische Armee. Vor dem Hintergrund der Ersten Intifada versucht eine Gruppe von Palästinenser*innen, eine kleine örtliche Molkerei zu gründen. Damit wollen sie Milch für die Einwohner*innen der Stadt produzieren, Selbständigkeit gewährleisten und eine Alternative zu israelischen Waren bieten. Dies führt zu Problemen mit der israelischen Armee, die die Kühe als Bedrohung für die nationale Sicherheit Israels ansieht und eine Jagd auf sie eröffnet.
In Palästina werden traditionell Schafe (und keine Rinder) gezüchtet, und dennoch zeigt dieser Dokumentarfilm, wie die Milch zu einem Symbol für gewaltlosen zivilen Ungehorsam wurde und wie es letztlich um das grundlegende Menschenrecht geht, seine eigenen Lebensmittel zu produzieren.
6. Long Walk Home
Basierend auf dem Roman von Doris (Nugi) Pilkington Garimara (Martu First Nations) aus dem Jahr 1996 erzählt der Film die Geschichte der Flucht dreier junger Mädchen (darunter die Mutter und Tante der Autorin) aus dem Moore River Native Settlement und ihres 990 Meilen langen Trecks durch das australische Outback zu ihrem Zuhause in Jigalong, Westaustralien.
Die staatlich sanktionierte Entführung und anschließende Flucht dieser Mädchen findet im größeren Kontext der "Stolen Generation" statt – einem düsteren Kapitel in der Geschichte Australiens, als Aborigine-Kinder und Kinder mit Eltern unterschiedlicher Hautfarbe im Rahmen einer Kampagne zur Zwangsassimilierung von ihren Familien weggerissen wurden. Garimara, die nach Moore River gebracht wurde, hat über ihre Beziehung zu ihrem Aborigine-Erbe und ihre Verbindung zum traditionellen Land geschrieben und einen Großteil ihres Lebens mit der Arbeit im australischen Versöhnungsrat verbracht.
7. Borderlands/La Frontera: The New Mestiza von Gloria Anzaldúa
In ihren Schriften über ihre Identität – eine queere, mexikanische, amerikanische und indigene Frau – untersucht Anzaldúa ihre eigene Beziehung zu ihrer Heimat innerhalb des Konzepts der Grenze. In diesem Fall geht es um die Grenze, die Mexiko von den USA trennt. Anzaldúas Region hat nicht nur eine physische Grenze, sondern auch eine psychologische, sexuelle und spirituelle, die ihre eigene Identität definiert.
Durch geopolitische Entwicklungen wird die Ansicht verstärkt, dass die eine Seite dieser Grenzgänger*innen als "falsch" und die andere als "normal" angesehen wird. Anzaldúa nennt die Erfahrung, mit einem Fuß in zwei Welten zu stehen, “nepantla", ein schwankendes Dazwischen. Es ist ein Zustand, der mit der Zeit zur Gewohnheit wird. In einer Mischung aus Prosa und Poesie erforscht sie das Konzept von Land, wie es von Geschlecht, Identität, Herkunft und Kolonialismus beeinflusst wird.
8. Die Massai von Tepilit Ole Saitoti
In dem Buch erzählt Saitoti autobiografisch von seinem Leben als Mitglied der Massai – einem Volk, dessen Traditionen und Lebensunterhalt sich um Viehzucht drehen und das in Tansania und Kenia beheimatet ist. Wie viele andere indigene Völker verloren die Massai einen großen Teil ihres Landes durch die britische Kolonialherrschaft und durch “Naturschutzbemühungen”, durch die traditionelles Land für die Einrichtung von Nationalparks und Safaris angeeignet wurden – bis heute gibt es darum Rechtsstreitigkeiten.
In seinen Memoiren reflektiert Saitoti über seine Zeit als Ranger im Serengeti-Nationalpark, seine Einführung in das kulturelle Leben der Massai und ihre Traditionen sowie seine Erfahrungen in Ostafrika und den USA, wo er sein Studium abschloss. In einer Zeit, in der das Volk der Massai internationales Interesse auf sich zog, sorgte Saitoti mit seiner Arbeit dafür, dass die Massai die maßgeblichen Erzähler*innen ihrer eigenen Geschichte blieben.
9. Endings von Abd Al-Rahman Munif
Sein Buch spielt in einem arabischen Wüstendorf, das von einer Dürre heimgesucht wird und erforscht die Beziehung zwischen Mensch und Natur, erzählt durch die Stimme eines Bauern. Die Interaktionen zwischen den verschiedenen Gesellschaften, die in der Geschichte vertreten sind, unterstreichen den roten Faden des Romans, nämlich die Gefahr der Zerstörung der Natur zugunsten einer Industriegesellschaft.
Im Roman repräsentieren die Einwohner*innen von al-Tiba die Stammesgesellschaft, die in Verbundenheit mit der Natur lebt, während die Einwohner*innen der Stadt die neue Stadtbevölkerung symbolisieren, die ihre Wertschätzung für die Natur aufgegeben hat. Trotz der harten Bedingungen in der Wüste leben die Menschen in Al-Tiba weiterhin dort und haben eine fast masochistische Beziehung zur Natur und zur Wüste, in der ihr Dorf liegt. Die Geschichte regt dazu an, das Leben und die Zerbrechlichkeit der Beziehung zwischen Mensch und Natur zu schätzen.
10. Goldstaub von Ibrahim Al-Koni
Vor dem Hintergrund des italienischen Kolonialismus erzählt Ibrahim Al-Koni von der Beziehung zwischen Mensch und Tier in der rauen libyschen Wüste. Ukhayyad, der Protagonist, und sein geliebtes Mahri (eine uralte Kamelrasse) sind nicht nur physisch, sondern auch spirituell miteinander verbunden, denn die beiden Wesen scheinen sich ineinander zu spiegeln.
Der Roman folgt den beiden in einer Zeit, in der sich die gesamte politische Struktur des Landes verändert und die Wüste das härteste Hindernis für den Menschen ist. Zusammen überstehen Ukhayyad und sein Kamel die Kämpfe ihrer Partnerschaft und finden schließlich Trost in ihrer Zweisamkeit.
Bonus: Reisedepeschen aus Bolivien und Peru von Jennifer McCann
Die Geschichten in diesem Buch werden nicht von Indigenen erzählt, bringen uns die beiden genannten Länder aber unglaublich wortgewandt näher. Gerade dort lässt sich noch die Vielfalt indigenen Lebens erspüren. Jennifer McCann beschreibt ihre Reisen reflektiert und sprachgewaltig und regt zum Nachdenken an.