Ein Artikel von Nita Bhalla

DIANI, Kenia, Juni (Thomson Reuters Foundation) 

Die 16-jährige Fatma verzieht keine Miene, wenn man sie fragt, was sie seit ihrem Schulabbruch vor zwei Jahren gemacht hat. „Sex", antwortet sie und kichert in ihr leuchtend rotes Kopftuch. „Die Männer finde ich überall. Auf dem Markt, bei Konzerten, Hochzeiten und am Strand. [... ] Die meisten Mädchen in meinem Dorf machen es. Ich kann damit 100 Schilling (rund 1 US-Dollar) bis 500 Schilling verdienen. Manchmal geben Touristen sogar 1000 Schilling (10$)."

Willkommen in Kenias idyllischem, von Palmen gesäumten Badeort Diani: Wo der Sand perlweiß und das Wasser türkis ist - und wo junge Mädchen, teilweise noch Kinder, Sex für einen Dollar anbieten.

Von Thailand und den Philippinen bis zur Dominikanischen Republik und Brasilien: Sextourismus ist keine Ausnahme, vor allem dann nicht, wenn Armut und Diskriminierung Millionen von Mädchen und Frauen in die kommerzielle sexuelle Ausbeutung zwingen.

Kenia ist da ebenfalls keine Ausnahme.

Girls who are victims of commercial sexual exploitation stand outside in a community centre in Kombani, 12 km (7 miles) from Diani in Kenya's coastal county of Kwale. Picture taken on May 23, 2018.
Girls who are victims of commercial sexual exploitation stand outside in a community centre in Kombani, 12 km (7 miles) from Diani in Kenya's coastal county of Kwale. Picture taken on May 23, 2018.
Image: Thomson Reuters Foundation/Nita Bhalla

Doch das Ausmaß, in dem Kinderprostitution in den Orten entlang der Küste nicht nur verbreitet ist, sondern inzwischen gesellschaftlich hingenommen wird, hat dazu geführt, dass Wohltätigkeitsorganisationen, aber auch Behörden vor Ort, Schwierigkeiten haben, den illegalen Handel zu stoppen.

Allein in der Küstenregion Kenias ist jedes dritte Mädchen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren im Sexgeschäft tätig, wie einem Bericht von UNICEF und der kenianischen Regierung aus dem Jahr 2006 zu entnehmen ist.

Das sind rund 15.000 Mädchen.

Und auch wenn diese Datenerhebung bereits über ein Jahrzehnt zurückliegt, hat sich die Situation seitdem nicht verbessert, sagen Organisationsmitarbeiter und Regierungsbeamte. Mangelnder Fortschritt im Land, geringe Jobchancen und eine lasche Umsetzung der Gesetze haben stattdessen dazu geführt, dass der Handel gedeiht.

„Es wird schlimmer. In 9 von 10 Familien pro Dorf findet man mindestens ein Mädchen, das Opfer kommerzieller sexueller Ausbeutung ist", sagt Athuman Jiti, Verwaltungsangestellter in Kwale County, der Bezirk in dem der Badeort Diani liegt.

„Manchmal sind es die Eltern, die ihren Töchtern auftragen, loszuziehen, manchmal tun es die Mädchen selbst - das Problem ist, dass es stark normalisiert ist."

Fruchtbarer Boden

Mit abenteuerlichen Safaris und traumhaft weißen Stränden, zieht Kenia jährlich mehr als eine Million Besucher aus Ländern wie China, Deutschland, Frankreich und Großbritannien an.

Der Tourismus ist ein wichtiger wirtschaftlicher Bestandteil, der Millionen von Menschen beschäftigt und etwa 10% des Bruttoinlandsprodukts des Landes ausmacht.

Und in Städten wie Mombasa, Diani, Kilifi und Malindi, die alle entlang der Küste des Indischen Ozeans liegen, haben ausländische, aber auch kenianische Besucher seit Jahren die Nachfrage nach Sex mit jungen Frauen und Minderjährigen geschürt.

Kwale County - ein Bezirk, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung von weniger als $1.50 (ca. 1,28€) pro Tag lebt - bietet somit fruchtbaren Boden für Ausbeutung.

Tief in der Gesellschaft verwurzelter Sexismus sorgt für ebenso tiefsitzende und tagtägliche Diskriminierung. Hinzu kommen kulturelle Bräuche, angefangen bei der Polygamie bis zur Kinderehe, die Mädchen und Frauen unverhältnismäßig häufig anfällig für diese Art der Ausbeutung machen.

Es werden zwar auch Kinder aus anderen Teilen Kenias verschleppt und zur Sexsklaverei gezwungen, aber die meisten Opfer sind Einheimische, die durch subtilere Mittel in die Fängen der Sklaverei geraten, berichten Organisationen vor Ort.

„Oft sind Freunde oder Familienmitglieder involviert und führen die Mädchen an die Sklaverei heran, oder aber ein Mädchen wird von einem Mann angesprochen, der ihr Aufmerksamkeit und ein paar hundert Schillinge nach dem Sex gibt", erzählt Dorcas Namwaya Mwachi von der ‘Koalition gegen Gewalt an Frauen’, eine Wohltätigkeitsorganisation, die in den Gemeinden rund um Diani aktiv ist.

„Die Familien der Mädchen sind arm und können es sich oft nicht leisten, sich um sie zu kümmern, also gehen die Mädchen weiter anschaffen, um Geld zum Haushalt beisteuern zu können - oder aber um sich eine Kleinigkeiten leisten zu können, zum Beispiel ein neues Kleid oder manchmal sogar Monatsbinden, die sie sich sonst nicht leisten können."

„Die meisten Mädchen kennen die Risiken - Schwangerschaft, Gewalt, Krankheiten - aber ohne Alternative haben sie keine andere Wahl, als sich weiter für Sex zu verkaufen”, fügt Mwachi hinzu.

Mitschuld der Gemeinden

Fatma, 16, who is a victim of commercial sexual exploitation, plays with her scarf during an interview in Kombani, 12 km (7 miles) from Diani in Kenya's coastal county of Kwale. Picture taken on May 23, 2018.
Fatma, 16, who is a victim of commercial sexual exploitation, plays with her scarf during an interview in Kombani, 12 km (7 miles) from Diani in Kenya's coastal county of Kwale. Picture taken on May 23, 2018.
Image: Thomson Reuters Foundation/Nita Bhalla

Selbst an einem Abend unter der Woche in der Nebensaison sind die Szenen, die sich in einem der beliebten Touristen-Nachtclubs an der Diani Beach Road abspielen, ebenso stereotypisch wie wahr.

Auf der Tanzfläche wippen junge Mädchen zum Rhythmus der kongolesischen Rumba, während zwei ältere europäische Männer in Hawaiihemden und Bermudas zuschauen. Innerhalb einer Stunde verlassen die Männer die Bar mit zwei Mädchen im Schlepptau - beide sehen nicht mal 16 Jahre alt aus.

Niemand runzelt die Stirn - weder der Kellner, der die Rechnung bringt, noch die Türsteher, die die Tür öffnen, als die Gruppe die Bar verlässt, und auch nicht der Taxifahrer, der draußen wartet.

Reiseveranstalter sagen, dass es schwierig ist, hart durchzugreifen, da die Mädchen oft über ihr Alter lügen und keinen Ausweis bei sich führen.

„Der Tourismussektor zeigt Bemühungen, dem Kindersextourismus Einhalt zu gebieten, aber in den meisten Fällen finden sie irgendwie einen Weg drumrum", sagte Francis Mkala von der ‘South Coast Association of Local Tour Operators’.

„Hotels zum Beispiel haben einen Verhaltenskodex, der es Gästen verbietet, Minderjährige mit aufs Zimmer zu nehmen. Viele Touristen sind allerdings dazu übergegangen, private Bungalows anzumieten, wo sie die Kinder mitnehmen und ungestört sein können."

Der Kindersexhandel ist inzwischen so weit verbreitet, dass junge Mädchen nicht mehr nur für Geld mit Touristen schlafen, sondern auch mit einheimischen Männern im Tausch für ein Paar Schuhe oder sogar eine Tüte Zucker, berichten Aktivisten und Mitarbeiter.

Edward Wanjala, Bewährungshelfer im Wahlbezirk Msambweni in Diani, weiß, dass eine Strafverfolgung schwierig ist, da die Gemeinden untereinander zusammenhalten. „Weil jeder irgendwie profitiert - die Familien bekommen Geld von den Mädchen, die Bars und Nachtclubs haben mehr Kunden, die Taxifahrer verdienen daran, Mädchen zu Kunden zu fahren", so Wanjala.

„Die soziale Akzeptanz bedeutet, dass die Leute es nicht als Verbrechen ansehen und die Mädchen, die ausgebeutet werden, sehen sich nicht als Opfer. Wer also sollte einen Fall melden? Wer würde aussagen?"

Ein Bewusstsein für die Auswirkungen von Kinderprostitution zu schaffen sei einfach nicht genug, gibt Wanjala zu bedenken und fügt hinzu, dass Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze benötigt würden, um den Handel einzudämmen.

Die achtzehnjährige Saumu, die seit ihrem 15. Lebensjahr ihren Körper für Sex verkauft, hat wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Sie hat bereits einen dreijährigen Sohn von einem Kunden und ist derzeit im achten Monat schwanger von einem anderen.

„Ich wollte Ärztin werden, aber meine Mutter konnte sich die Schulgebühren nicht leisten, also hab ich die Schule abgebrochen und irgendwann auf eigene Faust angefangen, für Geld mit Männern zu schlafen", erzählt sie, während sie in einem Gemeindezentrum in der Stadt Kombani, ca. 12km von Diani entfernt, sitzt.

„So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Aber wenn du keine Optionen hast, tust du es einfach, bis es irgendwann zur Gewohnheit wird."

(Dieser Artikel stammt von Nita Bhalla @nitabhalla, redigiert von Lyndsay Griffiths und übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche von Global Citizen. Mehr Informationen über die gemeinnützige Arbeit der Thomson Reuters Foundation unter http://news.trust.org)

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