Von Annie Banerji

26. Januar (Thomson Reuters Foundation) – Fünf Monate nach der Machtergreifung der Taliban sehen sich Afghan*innen, die sich als nicht binär und nicht heterosexuelle Menschen identifizieren, zunehmenden Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Viele von ihnen sind gezwungen, sich zu verstecken und können sich dadurch inmitten einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise ihren Lebensunterhalt nicht verdienen.

Sechzig von Rechtsgruppen befragte LGBTQIA+ Afghan*innen gaben an, dass die Community von Mitgliedern der islamistischen Bewegung und ihren Anhänger*innen ins Visier genommen wird, so dass es für sie zu riskant ist, zu arbeiten oder das Haus zu verlassen.

Zwei schwule Männer gaben an, von Taliban-Kämpfer*innen vergewaltigt worden zu sein und viele weitere berichteten von Bedrohung und tätlichen Angriffen, so der Bericht von Human Rights Watch und OutRight Action International, einer gemeinnützigen LGBTQIA+ Organisation.

Die afghanische Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise und Millionen von Menschen sind in diesem Winter vom Hungertod bedroht. Viele der Befragten gaben an, dass ihre Unfähigkeit, arbeiten zu gehen, ein noch größeres Problem darstellt.

"Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren", sagte Nihan, eine Transfrau, die ihren Job in einer Druckerei aufgab, nachdem die Taliban im vergangenen August wieder an die Macht gekommen waren. "Selbst wenn sie sich verstecken, bleibt das Problem, dass sie sich ernähren müssen, bestehen", erklärte sie den Forscher*innen des Berichts.

Sexarbeit, Tanzen und die Bewirtung auf Partys waren in Afghanistan gängige Beschäftigungen für Transfrauen, aber diese Möglichkeiten sind unter den Taliban dramatisch zurückgegangen und sehr viel gefährlicher geworden.

Kontrollstellen, Infiltration

Schon vor der Machtübernahme war das erzkonservative Afghanistan kein guter Ort für Personen der LGBTQIA+ Community. Bereits aus dem ersten Taliban-Regime von 1996 bis 2001 gibt es Berichte, dass Männer des homosexuellen Geschlechtsverkehrs beschuldigt und zum Tode verurteilt wurden, indem von Panzern umgestoßene Mauern sie erschlugen. 

In der aktuellen Machtübernahme versuchen die Taliban bisher, ein “gemäßigteres Gesicht zu zeigen”. Das dieser Ansatz jedoch nicht auf den Umgang mit der LGBTQIA+ Community gilt, stellte einer der Taliban-Sprecher bereits im Oktober letzten Jahres unmissverständlich klar. Gegenüber Reuters teilte er mit, dass die LGBTQIA+ Rechte unter ihrer Auslegung der Scharia nicht respektiert werden.

Viele der in der Studie zitierten LGBTQIA+ Personen, die zum Schutz ihrer Identität pseudonymisiert wurden, berichteten über Drohungen von Taliban-Kämpfer*innen und ihren Anhänger*innen, einschließlich ihrer eigenen Familienmitglieder, Nachbar*innen und Partner*innen.

"Von nun an werden wir dich jedes Mal finden, wenn wir dich finden wollen. Und wir werden mit dir machen, was wir wollen", zitierte Ramiz, einer der schwulen Betroffenen in dem Bericht, die Drohungen der Taliban-Soldat*innen.

Für LGBTQIA+ Personen sind vor allem die Kontrollposten, die die Taliban überall und an allen wichtigen Verkehrspunkten eingerichtet haben, zur Gefahr geworden. Dort durchsuchen bewaffnete Taliban-Kämpfer willkürlich Passierende und ihre Telefone, etwa nach Beweisen für ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität.

Viele der Befragten gaben an, dass sie aus solchen Gründen ihre Konten, Fotos und Nachrichten in den sozialen Medien gelöscht hätten. Doch die Gefahr, entdeckt zu werden, bleibt bestehen. Wie weitere Befragte berichten, hätten Taliban-Mitglieder oder Informant*innen LGBTQIA+ Messaging-Gruppen auf Social Media Plattformen oder Dating Apps infiltriert.

Die einzige Hoffnungsschimmer in der aktuellen Situation besteht darin, dass es einigen Dutzenden LGBTQIA+ Personen gelungen ist, aus Afghanistan nach Großbritannien zu fliehen. Auch Kanada hat zugesagt, eine nicht näher bezeichnete Zahl and Flüchtenden aus diesem Grund aufzunehmen.

Die britische Wohltätigkeitsorganisation Micro Rainbow unterstützt aktuell über 43 LGBTQIA+ Afghan*innen in Großbritannien, erhält aber täglich Hilferufe von Menschen, die sich noch im Land oder in den Nachbarstaaten befinden, so Geschäftsführer Sebastian Rocca per E-Mail.

"Einige berichten, dass LGBTQIA+ Personen auf der Straße hingerichtet werden, wenn sie von den Taliban entdeckt werden. Auch Schläge und gezielte Durchsuchungen werden häufig berichtet", fügte er hinzu.

Obwohl es wichtig ist, Menschen, die vor Verfolgung fliehen, Asyl zu gewähren, werden die meisten LGBTQIA+ Afghan*innen wahrscheinlich in Afghanistan bleiben, erklärte Heather Barr, stellvertretende Direktorin für Frauenrechte bei Human Rights Watch, gegenüber der Thomson Reuters Foundation.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Taliban jemals die Rechte von LGBTQIA+ Personen vollständig anerkennen werden, aber zumindest ein gewisser internationaler Druck und die Aufmerksamkeit für die Rechte von LGBTQIA+ Personen könnten einige der schlimmsten Missbräuche verhindern", sagte sie.

(Berichterstattung von Annie Banerji in Neu-Delhi @anniebanerji; Zusätzliche Berichterstattung von Rachel Savage in London; Bearbeitung von Helen Popper; Bitte die Thomson Reuters Foundation kreditieren. Die Thomson Reuters Foundation liefert Beiträge über humanitäre Hilfe, Frauenrechte, Menschenhandel, Klimawandel und vieles mehr auf http://news.trust.org.)

News

Armut beenden

Menschen der LGBTQIA+ Community in Afghanistan kämpfen im Taliban-Regime um Arbeit, Nahrung & ihr Leben