Mit „Lion“ kommt Ende Februar ein emotionales Meisterwerk in die Kinos: ein gefühlvoller und zugleich niederschmetternder Film, der die menschliche Seele in seiner Gänze versucht widerzuspiegeln, in dem er die Suche eines Mannes nach seiner Identität in knapp 120 min. einfängt. Der Film ist nicht ohne Grund für 6 Oscars in diesem Jahr nominiert.

Der Film handelt von einem Jungen aus Indien namens Saroo, der im Alter von fünf Jahren von seiner Familie getrennt wurde, weil er in einen menschenleeren Zug einsteigt, der ihn tausende Kilometer von seinem Zuhause entfernt. Nach etlichen Tagen kommt er in Kalkutta an, wo niemand mehr seine Muttersprache Hindi spricht und wo er schnell lernen muss, den Gesetzen der Straße zu folgen, wenn er überleben will.

Saroo wird bald darauf von einem wohlhabenden Pärchen aus Australien adoptiert, womit sich sein Leben komplett auf den Kopf stellt. Als junger Mann kehrt er nach Indien zurück, um seine leibliche Mutter zu finden und mehr über seine Vergangenheit zu erfahren. Um herauszufinden, an welcher Station er damals als 5-Jähriger in den Zug gestiegen ist, benutzt Saroo Google Earth.

Image: Mark Rogers © Long Way Home Productions 2015

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Der Film spricht gleich mehrere Themen an: Adoption und das Gefühl der Zugehörigkeit, Armut und Reichtum. Gleichzeitig spielt „Lion” mit dem Unterschied zwischen lokaler und globaler Zusammengehörigkeit.

Wenn es nach Luke Davies, dem Drehbuchautoren und Schriftsteller drei weiterer Romane, geht, liegt die Kraft des Films vor allem in „der Untrennbarkeit von strahlender Freude und tiefer Trauer”.

Die bildstarke Inszenierung pendelt zwischen zwei Emotionen: auf der einen Seite das alles einzunehmende Gefühl des Verlusts, auf der anderen Seite unbändige Hoffnung. Der Film schreckt nicht davor zurück, die Armut Indiens so abzulichten, wie sie tatsächlich ist. Gleichzeitig versäumt es „Lion“ aber auch nicht, die Schönheit und Lebensfreude der Menschen einzufangen.

Drehbuchautor Davies stammt gebürtig aus Australien, lebt seit mehreren Jahren in Los Angeles. Hier schrieb er auch das Drehbuch zu dem Film „Candy - Reise der Engel“, welcher auf einem seiner Romane basiert und mit Heath Ledger verfilmt wurde.

Über die Aufmerksamkeit, die dem neuen Film „Lion“ geschenkt wird, ist er überrascht: der Film ist für sechs Oscars nominiert und die Chancen stehen gut, dass „Lion“ in einer der Kategorien - Bester Film, bester Nebendarsteller, beste Nebendarstellerin, bestes adaptiertes Drehbuch, beste Kamera und beste Filmmusik - gewinnen wird.

In einem Interview mit Global Citizen beschreibt Davies, wie der Film „Teil einer weltweit größeren Unterhaltung geworden ist“, in der es um Immigration und Globalisierung geht. „’Lion’ feiert ‘das Andersartige’“, sagt Davies.

Image: Mark Rogers © Long Way Home Productions 2015

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Saroo, der indische Junge, der mit seinen Adoptiveltern in Australien aufwächst, versucht, irgendwie dazuzugehören - wie so viele andere Menschen, die versuchen, in einem fremden Land Fuß zu fassen.

Und wie viele andere auch muss er bei seiner Ankunft in Australien eine neue Sprache lernen und mit einer für ihn neuen, völlig anderen Kultur zurecht kommen. Als heranwachsender Australier verlernt er, Hindi zu sprechen und irgendwann kann er sich nur noch wage an seine Kindheit erinnern.

Trotzdem ist er gefangen zwischen zwei Welten - zwei Kulturen - und weiß nicht so recht, mit welcher er sich identifizieren soll.

Während er das Drehbuch schrieb, besuchte Davies Indien gleich mehrere Male. Und jedes Mal war er eingenommen von den Gegensätzlichkeiten, die ihm begegneten: „Nirgendwo auf der Welt ist es so gegensprüchlich wie in Indien. Das Land vereint diese Mischung aus Chaos, Scheußlichkeit, ein für die westliche Welt seltsam leichter Umgang mit dem Tod und andererseits eine unwahrscheinliche Schönheit.“

„Indien vereint all diese Gegensätzlichkeiten und wir wollten, dass unser Film eben genau das widerspiegelt und nicht ein künstliches Indien.“

Image: Mark Rogers © Long Way Home Productions 2015

Davies war bei seiner weiteren Recherche zum Film mit dem wirklichen Saroo Brierley auf Spurensuche in Indien und lerne dabei auch seine Mutter Kamla und seine Adoptivmutter Sue kennen.

„Der spirituelle Kern des Films ist die Geschichte der beiden Mütter und die Erfahrungen, die sie gemacht haben“, sagt Davies. „Der Tag, an dem ich Saroos Mutter Kamla kennenlernen durfte, hat die Richtung des Films völlig verändert. Als ich sie traf, umgab sie eine Aura, die ansteckend war, und die der Film unbedingt widerspiegeln musste.“

Der Film basiert auf Davies Buch „A Long Way Home“, das die wahre Geschichte von Saroo Brierley wiedergibt. Das Buch greift dabei zwei wichtige Themen auf, die in Indien nur allzu gegenwärtig sind: Obdachlosigkeit und die Tatsache, dass jedes Jahr rund 80.000 Kinder in Indien einfach verschwinden.

Image: Mark Rogers © Long Way Home Productions 2015

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Auf der offiziellen englischsprachigen Webseite des Films werden drei verschiedene Organisationen vorgestellt, zusammen mit der Möglichkeit, an diese zu spenden: Magic Bus, Childline und Railway Children. Alle drei Organisationen unterstützen Straßenkinder in Indien.

Beibt nur noch eins: Film angucken. 

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Gerechtigkeit fordern

Warum ‘Lion’ ein Film ist, der Millionen Menschen aus der Seele spricht

Ein Beitrag von Phineas Rueckert