Als Sabrina Pokhrel in der fünften Klasse war, bekam sie zum ersten Mal ihre Periode. Diese Erfahrung war so traumatisch, dass sie sich für immer in ihr Gedächtnis einbrannte.
“Ich wusste nichts darüber. Ich dachte, ich hätte Durchfall und nahm Verdauungstabletten. Als ich dann Blut in meiner Unterhose sah, fing ich an zu weinen“, erzählt sie Global Citizen.
Pokhrels erste Periode kam einen Tag vor einer großen Familienfeier, die zu Ehren ihres Bruder abgehalten wurde. Aber da sie ihre Menstruation hatte, verbot es ihr ein kultureller Brauch in Nepal, an der Feier teilzunehmen.
Während ihre Familie auf einen Ausflug außerhalb der Stadt Kathmandu aufbrach, blieb Pokhrel im Haus ihres Onkels zurück. Hier war es ihr bis zum Ende ihrer Periode nicht erlaubt, die Küche oder den “Pooja“-Raum – den heimischen Gebetsraum – zu betreten.
Pokhrels Geschichte ist kein Einzelfall. Vielen Frauen in Nepal teilen ihre Erfahrung. In dem vorwiegend hinduistisch geprägten Land gibt es zahlreiche kulturelle und religiöse Regeln, an die sich nepalesische Mädchen und Frauen während ihrer Periode halten müssen.
Eine Regel besagt, dass menstruierende Frauen und Mädchen “unrein“ seien. Daher ist es ihnen in dieser Zeit verboten, Küchen zu betreten, Tempel aufzusuchen oder Männer zu berühren. Einige von ihnen werden sogar während ihrer Periode in isolierte Hütten gesperrt. Dieser Brauch wird “Chappaudi” genannt, erklärt Pokhrel.
Obwohl der Chappaudi-Brauch von der nepalesischen Regierung verboten wurde, werden 44 Prozent der Mädchen in den Regionen im äußersten und mittleren Westen Nepals von ihren Familien angehalten, ihn regelmäßig durchzuführen, heißt es in einem Bericht von UNICEF. In den vergangenen Jahren sind mehrere Frauen und Mädchen aufgrund von Unfällen in solchen Menstruationshütten gestorben.
Pokhrel sagt, dass ihre ersten Erfahrungen mit der Menstruation weniger traumatisch waren – verglichen mit den Erfahrungen von Frauen, die von ihrer Familie oder Gemeinschaft dazu gezwungen werden, den strengen Traditionen Folge zu leisten. Genug Herausforderungen gab es für Pokhrel dennoch. Mit ihrer ersten Periode wurde ihr bewusst, wie es sich anfühlt, eine Frau in Nepal zu sein und mit welcher Ungleichheit sie für den Rest ihres Lebens konfrontiert sein würde.
"Ich durchlief eine Phase in meinem Leben, in der ich mich sehr emotional fühlte und ein Sicherheitsnetz brauchte", sagt sie in Erinnerung an diese prägenden Jahre.
Stigmata abbauen
Heute arbeitet Pokhrel bei “Visible Impact“, einer gemeinnützigen Organisation in Nepal, die sich für die Stärkung von Mädchen und Frauen einsetzt. Damit kann sie anderen jungen Mädchen die Unterstützung zuteil werden zu lassen, die sie selbst als junges Mädchen vermisst hat.
Wie die meisten jungen Mädchen in Nepal wusste auch Pokhrel bei ihrer ersten Periode nichts über die anatomischen Hintergründe oder den genauen Ablauf. Das verbreitete Stigma rund um die Periode hält ältere weibliche Familienmitglieder oft davon ab, die emotionale Unterstützung und sexuelle Aufklärung bereitzustellen, die junge Mädchen benötigen, um ihre körperlichen Veränderungen in dieser Zeit zu verstehen.
“Die Menschen kennen nicht einmal die einfachsten Schritte der Selbstversorgung, wenn es um Hygieneprodukte oder darum geht, wo die richtigen Einrichtungen zu finden sind“, sagt sie.
Die meisten Mädchen in Nepal verwenden während ihrer Periode Stoffreste anstatt Hygienebinden – entweder weil sie keinen Zugang zu Menstruationsprodukten haben oder nicht wissen, dass es sie gibt, so UNICEF. Zudem erhalten sie oft widersprüchliche Aussagen von Erwachsenen zu der Verwendung von Hygieneartikeln. Das lässt viele Mädchen in dem Glauben, Binden seien nicht sicher.
Dieser Mangel an Aufklärung und das fehlende Bewusstsein für dieses Thema ist laut Pokhrel nicht nur eine Herausforderung bei dem Ziel, die Menstruationsgesundheit und -Hygiene in Nepal auszuweiten. Sondern auch dabei, die sexuelle und reproduktive Gesundheit im Land zu verbessern.
Denn die Tabus und mangelnden Kenntnisse über ihren Körper, mit denen Mädchen angesichts ihrer Menstruation konfrontiert sind, setzen sich über die Pubertät bis ins Erwachsenenalter fort.
Das zeigen folgende Zahlen ganz deutlich: In Nepal haben 22 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren keinen Zugang zu einer angemessenen Familienplanung.
Das bedeutet, dass diese jungen Frauen keine Verhütungsmittel verwenden oder keinen Zugriff darauf haben. Dadurch können sie nicht selbstständig entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen sie ein Kind bekommen möchten, so der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). Das betrifft in Nepal damit etwa doppelt so viele junge Frauen wie in Indien und Bangladesch.
Um das zu ändern, hat der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zusätzlich das Programm “UNFPA Supplies” ins Leben gerufen. Es stellt Frauen in Nepal und in vielen Ländern weltweit Ressourcen zur Verfügung, um ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit zu verbessern. Dazu gehören beispielsweise Verhütungsmitteln wie Kondome, die durch ihren Schutz gegen sexuell übertragbare Krankheiten eine wichtige Doppelrolle übernehmen. Zudem unterstützt “UNFPA Supplies” Initiativen, die sich für den Abbau von gefährlichen, geschlechtsspezifischen Bräuchen einsetzen.
Gleichberechtigung der Geschlechter und dem Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Kinder einsetzen. Mehr dazu hier.
Eine bessere Zukunft aufbauen
Seit dem Tag ihrer ersten Periode hat Pokhrel sich vorgenommen, die Situation in Nepal für zukünftige Generationen zu verbessern. Für sie beginnt dieses Vorhaben dabei, alle jungen Menschen über ihre sexuelle Gesundheit aufzuklären. Im Rahmen ihrer Arbeit bei “Visible Impact” führte sie bereits an über 150 Schulen Seminare zu menstrueller Gesundheit durch.
In diesen Workshops hilft sie Jungen und Mädchen zwischen der achten und zehnten Klasse auch darin, miteinander über Themen wie Menstruation, Verhütung und Sex ins Gespräch zu kommen. Dies soll sie dazu befähigen, über die Schule hinaus mit ihrer Gemeinde, Familie, aber auch mit Ansprechpartner*innen in öffentlichen Positionen – wie Schulleiter*innen und Regierunssprecher*innen – über Missstände in diesen Bereichen zu sprechen.
Ein Moment ist Pokhrel während ihrer Seminare besonders in Erinnerung geblieben. Bei einem Rollenspiel nahm ein junges Mädchen die Position einer älteren Frau ein, die auf den traditionellen Bräuchen für menstruierende Mädchen und Frauen bestand und darauf beharrte, dass sie von Tempeln oder Küchen fernbleiben sollten, und schon gar nicht in Berührung mit hinduistischen Figuren kommen dürften.
Mit einem stand ein kleiner Junge während des Spiels auf und sagte vor allen Anwesenden: “Was soll schon passieren, wenn sie oder du den Gott berührst? Ich denke nicht, dass er dann unrein wird. Ich werde bestimmt auch nicht sterben, wenn du mich berührst oder das Essen, das ich zu mir nehme.”
Für Pokhrel hat dieser kleine Moment gezeigt, dass es langsam aber sicher voran geht. Für sie sind es Erfahrungen wie diese, die sie auch in Zukunft dabei antreiben werden, sich für die Gleichberechtigung für Frauen in Nepal einzusetzen.