Die USA haben noch einen langen Weg vor sich, bis es tatsächlich Gleichberechtigung bei der Stimmabgabe gibt. Gerade marginalisierte Gesellschaften können ihr Recht nicht immer wahrnehmen. Dennoch lohnt sich der Blick darauf, wie Aktivist*innen in den vergangenen zwei Jahrhunderten trotz aller Widerstände für den Schutz des Wahlrechts gekämpft haben.
1. Der erste Schritt hin zu gerechter politischer Repräsentation
1870 wurde der 15. Zusatzartikel ratifiziert. Seitdem ist es verfassungswidrig, jemandem das Wahlrecht aufgrund der Hautfarbe zu verweigern. Dies war einer der ersten Schritte, um gerechte Repräsentation in der Politik zu erreichen.
Bis 1870 wurde Schwarzen per Gesetz Grundrechte vorenthalten. Als die Sklaverei noch legal war, galten Sklav*innen nicht als vollwertige Personen. Nur drei von fünf Sklav*innen wurden bei der Volkszählung im Bereich Steuern und für die Sitzzuteilung im Repräsentantenhaus mitgezählt, was zu Verzerrungen führte.
Mit dem 15. Verfassungszusatz stieg unmittelbar die Vertretung von Schwarzen in der Politik. Doch der Gegenwind führte zu den sogenannten Jim-Crow-Gesetzen, die Schwarzen Wähler*innen bis weit ins 20. Jahrhundert das Wahlrecht nahmen.
2. Ein Sieg für die Suffragetten
Im Jahr 2020 jährt sich zum 100. Mal der 19. Zusatzartikel. Mit ihm wurde es verfassungswidrig, jemandem aufgrund des Geschlechtes sein Wahlrecht zu verweigern. Die Entscheidung für den Zusatzartikel fiel nach jahrzehntelangen Kampagnen von Suffragetten wie Lucy Stone, Ida B. Wells und Alice Paul.
Auf dem Papier scheint der 19. Zusatzartikel ein Wahlrecht für alle Frauen zu gewährleisten. Besonders Women of Color wurden jedoch an den Urnen weiterhin diskriminiert. Insbesondere schwarze Frauen, die in Staaten mit Rassentrennung nach den Jim-Crow-Gesetzen lebten, wurden vom Wahlrecht ausgeschlossen. Amerikanische Ureinwohnerinnen galten zudem nicht als US-Bürgerinnen. Erst 1924, in einigen Bundesstaaten noch später, durften sie wählen.
3. Wahlrecht der amerikanischen Ureinwohner*innen in Arizona und New Mexico
Obwohl die Ureinwohner*innen Amerikas 1924 die Staatsbürgerschaft erhielten, konnten sie nicht alle Privilegien dessen genießen. Das Wahlrecht beispielsweise wurde von den einzelnen Staaten geregelt. Staaten wie Arizona und New Mexico schlossen amerikanische Ureinwohner*innen bis Mitte des 20. Jahrhundert aus.
1948 gewährte der Oberste Gerichtshof von Arizona den amerikanischen Ureinwohner*innen schließlich das Wahlrecht. Bei der Bekanntgabe der Entscheidung sagte Richter Levi Udall: “Seit jeher ist es eine der großen Aufgaben der Obersten Gerichte, die Bürgerrechte des amerikanischen Volkes zu schützen – gleich welcher Rasse oder Nationalität.” Dank des Aktivisten Miguel Trujillo, der die Angelegenheit vor Gericht brachte, folge New Mexico dem Beispiel von Arizona noch im selben Jahr.
Doch auch heute noch können die in Reservaten lebenden Ureinwohner*innen Amerikas ihr Wahlrecht nicht ohne weiteres wahrnehmen. Viele müssen weite Strecken zurücklegen, um das nächste Wahllokal zu erreichen. Ein weiteres Problem ist der Nachweis des Wohnsitzes.
4. “Niemand ist zu arm, um zu wählen”
Bevor es den 24. Zusatzartikel gab, erhoben einige Staaten eine Steuer auf die Stimmabgabe bei Bundeswahlen. Obwohl alle Wähler*innen zahlen musste, kam es oft zu Diskriminierung gegenüber Schwarzen, hispanischen, indigenen und von Armut betroffenen Wähler*innen. Als 1964 der 24. Zusatzartikel eingeführt wurde, änderte sich das. Er legt fest, dass Wählen kein Luxus ist, sondern ein Recht für alle Frauen und Männer über 21 Jahren.
“Es kann jetzt niemanden mehr geben, der zu arm ist, um zu wählen”, sagte der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson. “Es gibt keine Steuer mehr auf dieses Recht. Der einzige Feind des Wahlrechts, dem wir heute gegenüberstehen, ist die Gleichgültigkeit. Zu vielen unserer Bürger ist etwas egal, wofür Menschen in anderen Ländern sterben würden”, sagte er.
5. Voting Rights Act von 1965
Trotz dieser großen Schritte, die das Wahlrecht für Minderheiten und Frauen gewährleisteten, unterdrückten einige Staaten weiterhin die Stimmen von Schwarzen und anderen marginalisierten Menschen durch offene Gewalt, Alphabetisierungstests und Kopfsteuern, die nicht das individuelle Einkommen berücksichtigen.
Der Voting Rights Act von 1965 war ein großer Sieg für die Bürgerrechte. Er machte Einschränkungen auf staatlicher Ebene illegal. Der Effekt war sofort spürbar. Bis 1966 wurden eine Viertelmillion neuer Schwarzer Wähler*innen registriert. 1967 waren in neun von 13 Südstaaten mindestens die Hälfte der Schwarzen zur Wahl angemeldet.
Heute dient das Gesetz dem Schutz von People of Color und nicht-englischsprachigen Menschen. 2013 jedoch hob das Oberste Gericht einen Teil des Gesetzes auf: Die Staaten können ihre Wahlgesetze nun wieder ohne vorherige Zustimmung auf Bundesebene ändern. Mehr als 25 Bundesstaaten haben seitdem neue Regelungen erlassen, etwa neue Wählerausweisgesetze, Registrierungbeschränkungen oder Bereinigung von Wahlregistern.
6. “Alt genug, um zu kämpfen, alt genug, um zu wählen”
“Alt genug, um zu kämpfen, alt genug, um zu wählen” wurde zu einem Slogan der Jugendwahlrechts-Bewegung. Das Argument: Wenn 18-Jährige in den Krieg eingezogen werden können, sollten sie auch wählen dürfen.
1971 stimmten die Gesetzgeber einem Änderungsantrag zu und setzten das gesetzliche Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herab. Viele junge Menschen in den USA verdanken nur dem Engagement dieser Bewegung, dass sie an den Präsidentschaftswahlen 2020 teilnehmen können.
Funfact: Kein anderer Zusatzartikel jemals wurde schneller vom Kongress ratifiziert als der 26. Zusatzartikel – es dauerte nur 100 Tage.
7. “Su Voto es Su Voz”
Willie Velásquez und eine Gruppe mexikanisch-amerikanischer politischer Aktivisten gründeten 1974 das Southwest Voter Registration Education Project (SVREP). Es ist die erste und größte überparteiliche Latino-Wählerbeteiligungsorganisation in den USA.
Unter dem Motto “Su Voto es Su Voz” (“Deine Stimme ist deine Stimme”) hat die Organisation dazu beigetragen, dass die Anzahl der Wähler*innen mit lateinamerikanischem Hintergrund von 2,1 Millionen auf heute 15,5 Millionen gestiegen ist. Auch für das Stimmrecht von Indigenen, Schwarzen und anderen marginalisierten Gruppen hat sie sich eingesetzt.
8. Der Americans With Disabilities Act
Im Jahr 2020 jährt sich zum 30. Mal der “Americans with Disabilities Act” (ADA). Er sorgt dafür, dass Wahllokale barrierefrei sind, sodass Menschen mit Behinderungen ihr Wahlrecht wahrnehmen können. Die Richtlinien drehen sich um die Parkplätze, Rampen am Eingang und um Aufzüge, um die Wählerregistrierung und die Möglichkeit, das Wahllokal zu wechseln.
In den USA leben 61 Millionen Erwachsene mit einer Behinderung. Das macht sie zur größten Minderheit des Landes. Trotz der ADA sind noch nicht alle Wahlen barrierefrei. 2016 fand sich in zwei Dritteln der 137 kontrollierten Wahllokale mindestens ein Hindernis für Menschen mit Behinderungen.
All diese Schritte sind Wendepunkte in der Geschichte des US-Wahlrechts. Dennoch können noch nicht alle US-Bürger*innen ungehindert ihr Wahlrecht wahrnehmen, insbesondere marginalisiert Bevölkerungsgruppen wie Schwarze, Indigene oder Menschen mit Behinderungen sind betroffen.
Der Voting Rights Advancement Act von 2017 ist einer der jüngsten Versuche, ein Wahlrechte für alle zu garantieren. Der Gesetzesentwurf wurde bereits vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet und liegt nun beim Senat.
Nach dem Tod des Abgeordneten John Lewis im Juli erinnern seine Verbündeten nun an das Gesetz, um den Bürgerrechtler zu ehren. “Ich habe das schon einmal gesagt, und ich werde es wieder sagen. Wahlen sind kostbar. Sie sind fast heilig. Sie sind das mächtigste gewaltlose Werkzeug, das wir in einer Demokratie haben”, ist ein bekanntes Zitat von Lewis.
Anmerkung der Redaktion: Diese Geschichte wurde ursprünglich am 6. Oktober 2016 veröffentlicht und wurde aktualisiert.
Global Citizen und Headcount haben sich für die USA weite Kampagne Just Vote zusammengetan . Damit mobilisieren sie junge Amerikaner*innen als Neuwähler*innen im Hinblick auf die US-Präsidentschaftswahl 2020 und darüber hinaus.