Kommt das Geld wirklich bei den Menschen an, die es brauchen? Ist nicht meistens Korruption im Spiel? Und warum bekommt China eigentlich noch was ab?
Die Wirksamkeit und Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit wird oft in Frage gestellt. Zudem kursieren zahlreiche Mythen und Falschinformationen rund um dieses Thema.
Dabei hat Entwicklungszusammenarbeit bereits einen wichtigen Beitrag geleistet, um einer Welt ohne Hunger und Armut näherzukommen. Doch die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und auch die fortschreitende Klimakrise haben einige Fortschritte zunichtegemacht. Deshalb ist es wichtiger denn je, dass wir uns gemeinsam für eine Welt ohne Armut und für die Erreichung der Global Goals bis 2030 einsetzen. Dafür braucht es Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe.
Zeit, um mit einigen weit verbreiteten Mythen und Fehlinformationen aufzuräumen.
1. Deutschland zahlt 315 Millionen Euro für einen Radweg in Peru
Bei X, ehemals Twitter, kursieren mitunter zahlreiche Gerüchte, Mythen und Lügen – so auch aus dem Bereich Entwicklungszusammenarbeit. In jüngster Vergangenheit verbreitete sich das Märchen vom “315-Millionen-Euro Radweg in Peru”, der von der deutschen Bundesregierung bezahlt wurde. Die Tagesschau recherchierte und fand heraus, dass die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, mittlerweile fraktionslos, den Stein ins Rollen brachte. Cotar erwähnt die 315 Millionen am 1. Dezember 2023 in einer Rede im Deutschen Bundestag, so die Tagesschau.
Auch der CSU-Generalsekretär Martin Huber griff das Thema auf und kritisiert die aus seiner Sicht falsche Verteilung der Gelder – und machte dafür die derzeitige Regierung verantwortlich: "Die Ampel verteilt Geld in aller Welt, aber für unsere hart arbeitenden Bäuerinnen und Bauern ist angeblich kein Geld da?"
Die Wahrheit ist jedoch: Etwa 44 Millionen Euro an Zusagen gab es aus Deutschland für die Radwege. Knapp die Hälfte davon wurde bereits von der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bewilligt.
Darüber hinaus wurden etwa 55 Millionen Euro als Kredit für den Ausbau eines umweltschonenden Bussystems zur Verfügung gestellt, die innerhalb von zehn Jahren zurückgezahlt werden müssen. 2022 ist nach Angaben des Ministeriums ein weiterer Kredit in Höhe von gut 100 Millionen Euro zugesagt worden. Das ist ein üblicher Prozess, der wirtschaftlich schwächeren Ländern helfen soll, größere Projekte umsetzen zu können.
2. Deutschland finanziert großzügig Länder wie China, anstatt die eigene Wirtschaft zu stärken
Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob Deutschland China und andere BRICS-Staaten über Entwicklungsfinanzierung unterstützen sollte. Die BRICS-Staaten sind ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der ersten fünf Mitgliedsstaaten: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika und umfasst zum großen Teil Länder mit mittleren Einkommen.
Die BRICS-Staaten beanspruchten im Jahr 2020 zusammen rund 10 Prozent des deutschen ODA (Official Development Aid, auf Deutsch: öffentliche Mittel für Entwicklungszusammenarbeit), wobei Indien unter dem BRICS-Staaten der größte Empfänger deutscher Entwicklungszusammenarbeit ist.
Im Vergleich zu anderen ODA-Empfängerstaaten fällt jedoch auf, dass ein wesentlicher Teil, nämlich rund die Hälfte der ODA-Beiträge an BRICS-Staaten, Kredite sind.
Oft wird argumentiert, dass das Geld doch auch im eigenen Land gebraucht und gut angelegt wäre. Das sei jedoch zu kurz gedacht, denn Entwicklungspolitik lohne sich für alle, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gegenüber n-tv: "Mit jedem Euro, mit dem wir heute weltweit Gesellschaften krisenfester machen, sparen die Steuerzahlenden laut Weltbank-Berechnungen später vier Euro an humanitärer Nothilfe."
3. Entwicklungszusammenarbeit bringt uns nichts – wir verschenken nur Geld, ohne selbst davon zu profitieren
Deutschland profitiert von dem in Entwicklungszusammenarbeit investierten Geld – auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Bekämpfung von Armut überall macht das Leben auf dieser Welt grundsätzlich nachhaltiger und sorgt für weniger Krisen und Kriege, die sich in unserer vernetzten Welt immer auch auf Deutschland auswirken. Zudem ist Deutschland ein Exportland. Und als solches hat es ein Interesse daran, anderer Länder wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zu stärken, damit im Ausland deutsche Produkte verkauft werden können. Stabiles Wirtschaftswachstum in Ländern des Globalen Südens stärkt die Mittelschicht und führt so zu neuen und stärkeren Absatz- und Investitionsmärkten.
Durch internationale politische Beziehungen – eben auch entwicklungspolitische – können Länder einander näher kommen und ihre Beziehung stärken. Gerade einige afrikanische und südasiatische Länder, die mitunter als Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen gelten, gehören gleichzeitig zu den aufstrebenden Regionen der Welt. Somit haben sie großes Potenzial und sind für wirtschaftliche und politische Verbindungen interessant und für Deutschland als Exportland besonders relevant.
4. Entwicklungszusammenarbeit ist ineffizient
Besonders häufig wird die Wirkung von Entwicklungszusammenarbeit angezweifelt. Einige Autor*innen argumentieren, dass Entwicklungszusammenarbeit ineffizient sei, und dass es keine Beweise dafür gebe, dass sie Lebensstandards verbessert.
Genau wie nicht alle Investitionen im Privatsektor ihr Ziel erreichen, gilt auch hier: nicht alle Entwicklungsprojekte funktionieren – einige erzielen nicht die erhofften Erfolge, andere scheitern gänzlich.
Doch tatsächlich gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich belegen. Eine wichtige und legitime Forderung ist, dass es mehr Transparenz braucht. Denn tatsächlich ist der (direkte) Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit mitunter schwer messbar und wird zu wenig veröffentlicht.
Zudem braucht es eine realistische Erwartungshaltung: Entwicklungszusammenarbeit allein kann die weltweite Armut und den Hunger nicht beenden. Aber sie kann dazu beitragen, Fortschritte zu erzielen, wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen, die Zivilgesellschaft zu stärken und die schlimmsten Auswüchse von Not und Armut zu lindern.
5. Wir haben kein Geld für Entwicklungszusammenarbeit
Das ist eine Frage der Perspektive. Unumstritten ist: Der deutsche Staat steht vor finanziellen Herausforderungen, wenn man sich den aktuellen Bundeshaushalt anschaut. Zuletzt wurde massiv im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe gespart. Wahr ist aber auch: Es gibt Wege und Mittel, Gelder gerechter zu verteilen.
So gibt es mitunter immer wieder Stimmen, die nach einer systematischen und weitreichenden Besteuerung von Krisengewinnen und einer höheren Besteuerung der “Superreichen” rufen, um mit den Einnahmen Armut und Ungleichheit weltweit zu bekämpfen. So hat zuletzt die CSO Oxfam vor dem Start des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos auf die steigende Ungleichheit in der Welt, aber auch in Deutschland hingewiesen. Dem Oxfam Bericht „Survival of the Richest“ zufolge gingen seit 2020 26 Billionen US-Dollar (63 Prozent) der gesamten Vermögenszuwächse in Höhe von 42 Billionen US-Dollar an das reichste Prozent der Weltbevölkerung, während 99 Prozent sich den Rest teilen.
Zahlreiche Lebensmittel- und Energiekonzerne konnten weltweit ihre Gewinne im Jahr 2022 mehr als verdoppeln. Unter dem Strich sind Konzerne und Superreiche die Gewinner der Corona-Pandemie und der Energiekrise, hielt Oxfam fest.
Gleichzeitig leidet etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde an Hunger. Nach Angaben der Weltbank erleben wir die wohl größte Zunahme der weltweiten Ungleichheit und Armut seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll: Geld genug gibt es auf der Welt – es ist nur nicht gerecht verteilt.