Die Koshi Tappu Kanchenjunga Biodiversity Education Livelihood Terra-Studio Organisation, kurz KTK-Belt, hat ein ungewöhnliches Projekt ins Leben gerufen: eine „Vertikale Universität”, die sich von den Tiefebenen Koshi Tappus im Südwesten Nepals bis hinauf zum Kangchendzönga - dem dritthöchsten Berg der Welt - erstreckt. Der Weg zwischen den Vorlesungen sollte also auf jeden Fall im Voraus geplant sein.

Die Professoren der neuen Hochschule tragen allerdings keinen Doktortitel, einige von ihnen sind nicht mal selbst zur Schule gegangen. Denn die 'Lehrkräfte' sind die dort ansässigen Bauern und Familien. Der Unterricht findet auch nicht in einem Vorlesungssaal, sondern draußen in der Natur statt. Die Dörfer werden zu interaktiven Orten des Lernens. So soll das indigene Wissen über dortige Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräume bewahrt und an die kommenden Generationen weitergegeben werden. Initiator der Organisation ist Rajeev Goyal. Er hofft, dass seine Vision auf der ganzen Welt Zukunft hat.

Denkt man an das asiatische Land Nepal, wird einem wahrscheinlich zuerst der Mount Everest als herausragende Naturlandschaft - im wahrsten Sinne herausragend! - einfallen. Die tropischen Tiefebenen am Fuße des imposanten Himalaya-Gebirges in Nepal rücken da leider schnell in den Hintergrund. Und doch, Dabei erstrecken sich dort weite, wunderschöne Flussauen, die Nepal zu einem fruchtbaren Land mit insgesamt 8 verschiedenen Klimazonen machen!

Dieser starke Gegensatz des Landes hat ganz unterschiedliche Lebensräume geschaffen. Kraniche und Geier sind hier ebenso beheimatet wie Tiger, Nashörner und Schneeleoparden. Auf den Feldern werden Weintrauben und Bananen ebenso angebaut wie Tee, Papaya oder Kokosnüsse. Nicht ohne Grund zählt das Gebiet zu den 34 Biodiversitäts-“Hotspots” der Welt! Und diese Hotspots zu schützen, sollte ganz oben auf der To-Do Liste stehen.

Doch dem Gebiet droht nun der Verlust seiner faszinierende Biodiversität. Denn in den letzten Jahren hat die Bedrohung durch Wilderei, illegale Waldrodung, Konsum von Brennholz und Verstädterung stark zugenommen. Zwischen 1990 und 2005 hat Nepal ein Viertel seiner Waldfläche verloren. Und das gerade mal in 15 Jahren! Wenn das so weiter geht, würde das bedeuten, dass im Jahr 2050 in Nepal kein einziger Baum mehr stehen würde!

Zeit also, dass dagegen vorgegangen wird. Das hat auch Rajeev Goyal erkannt und deshalb gemeinsam mit Priyanka Bista, einer kanadischen Architektin, und dem ortansässigen Lehrer Kumar Bishwakarma 2013 die Organisation KTK-Belt ins Leben gerufen. Ihre Vision ist einfach aber effektiv: die ökologisch sensiblen Lebensräume erhalten und gleichzeitig die Menschen über die Bedeutung der Artenvielfalt für die Ökosysteme Nepals aufklären.

Doch wie soll das praktisch umgesetzt werden? Die innovative wie clevere Antwort lautet: mit Hilfe einer 'vertikalen Uni'. Der Uni Campus erstreckt sich über ein 7,5km langes, vertikales Waldgebiet, welches 6.600 verschiedene Pflanzenarten, 800 Vogelarten und mehr als 180 unterschiedlichen Säugetieren Platz bietet.

Dafür hat die Organisation mittlerweile 400.000 Quadratmeter Land rund um die 20 verschiedenen Orte aufgekauft, um zusammenhängende Waldstücke zu erhalten und die Gegenden in „lebende Klassenzimmer” zu verwandeln. „In einem Land wie Nepal, wo wir solch eine biologische, klimatische und kulturelle Vielfalt vorfinden, ein Land, welches sich vom tropischen Tiefland bis zum Himalaya-Gebirge erstreckt, machen herkömmliche Bildungsprogramme, in denen Schüler und Studenten in einem abgeschotteten Zimmer sitzen, doch recht wenig Sinn”. Davon sind Rajeev Goyal und seine Mitbegründer überzeugt. Und haben recht damit!

Jeder einzelne Ort wird sich auf unterschiedliche Weise an der „vertikalen Uni” beteiligen. In Rangcha zum Beispiel steht die Erhaltung tropischer Früchte im Vordergrund. In Dahar hingegen ist die Vielfalt von Vogelarten von besonderer Bedeutung.

Nepals neue Uni will die ortsbezogenen Fähigkeiten zum Beispiel im nachhaltigem Anbau, Kunst und Handwerk oder im Anbau medizinischer Pflanzen weiter ausbauen und gleichzeitig das Wissen der lokalen Bevölkerung bewahren und sie aktiv als Lehrende an dem Projekt beteiligen.

Denn das Wissen über die Früchte und Pflanzen vor Ort bietet den Menschen auch mögliche, weitere Einnnahmequellen. In Dahar kommen zum Beispiel ätherische Pflanzenöle und Himalaya-Waschnüsse in Frage, die die Dorfbewohner nachhaltig vermarkten und verkaufen könnten. „Wenn wir die Meinung der Menschen im Umgang mit der Natur ändern könnten, wäre es schon prima. Wir möchten, dass die Leute verstehen, dass Umweltschutz, Bildung und ein Ort zum Leben sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich gegenseitig im Erzielen einer nachhaltigen Welt bestärken”, sagt Rajeev.

Nebenher lernen die Dorfbewohner von Priyanka Bista, die die Projektplanung koordiniert, wie man die Artenvielfalt kartieren kann, an welchen Kriterien sich nachhaltiges Design orientiert, verschiedene Konstruktionstechniken und viele weitere Fähigkeiten, so dass jeder einzelne Ort von den Bewohnern einzigartig entworfen wird und keiner dem anderen gleicht.

Die Vision der Organisation ist es, dass eines Tages Studenten mit Hilfe eines Lehrpfads von Koshi Tappu bis hinauf zum Kangchendzönga gehen könnten, dabei 118 verschiedene Waldarten durchlaufen und von den Bauern die biologische Artenvielfalt der jeweiligen Landschaften erfahren.

Das Konzept von KTK-Belt könnte somit auch zukunftsweisend für andere Orte in Asien sein. Myanmar zum Beispiel denkt darüber nachher, die Idee der Organisation zu übernehmen und einen Pfad auszubauen, der sich von den schneeverwehten Bergspitzen bis an die fast 2.000 km lange tropische Küste erstreckt. Auf den Philippinen könnte das Projekt sowohl Gebiete oberhalb als auch unterhalb des Wassers beinhalten. Dem Konzept sind definitiv keine Grenzen gesetzt!

Unser absoluter Traum wäre es, wenn eines Tages ein ununterbrochener Waldgürtel durch mehrere Länder führen würde, der Sumpf- und Feuchtgebiete mit Flüssen verbindet”, schwärmt Rajeev. Und so weit hergeholt scheint die Idee nicht zu sein. Denn Inspiration lieferten ihm und der Organisation ein Projekt in den Niederlanden namens “Re-Wilding Europe”.

Ein Projekt mit solchen Dimensionen auf die Beine zu stellen ist keine leichte Aufgabe. Doch KTK-Belt zeigt, dass es durch die Einbindung der ansässigen Bevölkerung möglich sein kann und keine Zukunftsmusik bleiben muss. Durch den Einsatz der Organisation können in Nepal weite Teile der Waldflächen ebenso geschützt werden wie bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Und das ist wichtig, denn die Menschheit ist auf die Biodiversität angewiesen. Hoffen wir, dass das Projekt weltweit viele Nachahmer findet!

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Vom tropischen Tiefland bis ins verschneite Himalaya-Gebirge: das ist Nepals neue „Vertikale Uni”

Ein Beitrag von Katrin Kausche