Warum das wichtig ist
Die Klimakrise hat verheerende Auswirkungen auf Umwelt, Mensch und Tier. Im Jahr 2015 haben sich die Länder der Welt im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg dieses Jahrhunderts auf unter 2° C zu begrenzen. Das Global Goal 13 der Vereinten Nationen (UN) zielt bei den Maßnahmen zum Klimaschutz auch darauf ab, dass sich insbesondere Regierungen und Unternehmen dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren, die zur Erwärmung der Erdoberfläche führen. Fordere hier Unternehmen dazu auf, ihren Beitrag zu Klimaschutz zu leisten. 

Von Richard Black, Honorary Research Fellow, Grantham Institute, Imperial College London; Steve Smith, Executive Director, Oxford Net Zero, University of Oxford; Thomas Hale, Associate Professor in Public Policy, University of Oxford

Etwas seltsam wirkt es schon, wenn Befürworter*innen von Klimaschutzmaßnahmen über ein Konzept diskutieren, von dem die Wissenschaft zeigt, dass es essentiell ist, um die Klimakrise zu stoppen, und das dementsprechend fest im entscheidenden globalen Abkommen verankert ist.

Doch genau da befinden wir uns gerade bei der Diskussion um “Net Zero” oder “Netto-Null” — dem Punkt, an dem alle verbleibenden Emissionen von Treibhausgasen durch Absorption ausgeglichen werden und eine weitere Erwärmung des Klimas angehalten wird. Die Notwendigkeit, Netto-Null-Emissionen weltweit zu erreichen, wurde wissenschaftlich belegt und Regierungen haben sich im Pariser Abkommen 2015 dazu verpflichtet, ihre Emissionen zu reduzieren, um die globale Erwärmung auf 1,5° C zu begrenzen. 

Dieses Ziel wurde auf Drängen von Aktivist*innen und von der Klimakrise gefährdeten Ländern in das Pariser Abkommen aufgenommen. Dies ist Beispiel dafür, wie Aktivist*innen die Bedingungen einer Debatte veränderten. Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der Länder, Regierungen und Unternehmen, die sich Netto-Null-Ziele gesetzt haben, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Emissionsziele haben im Juni 2019 noch 16 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung abgedeckt — inzwischen sind es zwei Drittel. Es ist also nicht übertrieben, wenn wir sagen, dass “Netto-Null” jetzt der Aspekt ist, durch den viele Regierungen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen ihre Dekarbonisierung betrachten. 

Dennoch sind Klimaaktivist*innen nicht zufrieden. Insbesondere Öl- und Gasunternehmen werden noch immer dafür kritisiert, für Kompensationen zahlen zu wollen, anstatt sich um die Emissionen zu kümmern, die durch die Verbrennung ihrer Produkte entstehen. 

In einigen Fällen verwandeln sich die Bedenken an der Durchführung von Netto-Null-Zielen zu Kritik an dem Konzept selbst. Vor Kurzem bezeichnete der Klimawissenschaftler und ehemalige Vorsitzende des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Englisch: Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC), Bob Watson, die Netto-Null-Ziele als “Fantasie” und “Falle”. Klimaaktivistin Greta Thunberg hingegen sagte, dass es bei den “weit entfernten Zielen” darum gehe, “den Anschein zu erwecken, als würde man handeln, ohne wirklich was ändern zu müssen.”

Netto-Null-Ziele: Die Ergebnisse von Unternehmen sind durchwachsen

Um als glaubwürdig zu gelten, muss ein Unternehmen ein Netto-Null-Ziel verkünden, das über bestimmte Maßnahmen verfügt, wie zumindest eine ambitionierte Zusage, einen veröffentlichten Plan, unmittelbare Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen und einen jährlichen Bericht. Das Unternehmen muss sicherstellen, dass alle seine Emissionen abgedeckt sind. 

Im März 2021 gehörten wir zu den Forscher*innen, die eine erste Analyse der Robustheit von Netto-Null-Zusagen von mehr als 4.000 Regierungen und Unternehmen veröffentlichten, die für 80 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Das Ergebnis war durchwachsen: Während die meisten Einrichtungen mit einem Netto-Null-Ziel einige Maßnahmen wie Zwischenziele (60 Prozent) und einen Bericht (62 Prozent) haben, verfügen andere nicht darüber. Besonders besorgniserregend ist das Bild in Bezug auf Kompensationen (Bezahlung von Emissionen aus Maßnahmen an anderer Stelle): Nur 23 Prozent der Unternehmen schließen sie entweder aus oder schränken ihre Verwendung ein.

Bedeutet das, dass das Konzept “Netto-Null” als Rahmen für die Dekarbonisierung selbst eine Fantasie ist? Wir sagen: absolut nicht.

Der Wachstum an Netto-Null-Zusagen geht mit einer kohärenten Theorie der Veränderung einher. Erstens: Wenn ein Unternehmen es ernst meint, wird es Taten sprechen lassen und robuste Maßnahmen ergreifen, beginnend mit einer sofortigen Reduzierung der Emissionen. Wenn dies nicht geschieht, wird dem Unternehmen schnell vorgeworfen, dass ihm die Sache nicht ernst genug ist. 

Zweitens: Wenn ein Ziel gesetzt wurde, kann das Unternehmen von Wähler*innen, Aktionär*innen und Kund*innen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Drittens: Um seine Glaubwürdigkeit zu demonstrieren, muss das Unternehmen möglicherweise eine Akkreditierung durch einen unparteiischen Mechanismus beantragen, beispielsweise der Initiative für wissenschaftsbasierte Ziele, die überprüfen kann, ob sein Plan realistisch ist. 

Viertens: Diese Akkreditierungsmechanismen entwickeln sich mit der Zeit weiter, um der Wissenschaft zu folgen. Die von den Vereinten Nationen (UN) unterstützte Kampagne Race to Zero hat kürzlich aktualisierte Kriterien veröffentlicht (an denen wir beteiligt waren) und weitere jährliche Verschärfungen stehen noch aus. 

Jeder dieser vier Schritte macht die Zusagen konkreter — und decken sie auf, wenn sie nicht ernst gemeint sind. 

Stärkere Maßnahmen gegen die Klimakrise

Es gibt erste Anzeichen dafür, dass es sich bei dem Konzept nicht nur um eine Theorie handelt. Sowohl Großbritannien, die EU als auch die USA haben vor Kurzem ihre Netto-Null-Ziele für 2050 festgelegt und dann ihre Ziele für 2030 angehoben, der derzeitigen Lage angemessen. 

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage von Klimaaktivist*innen die Regierung dazu verpflichtet, ihre kurzfristigen Maßnahmen zum Klimaschutz zu verstärken. Sie muss sicherzustellen, dass die zukünftige Generation beim Erreichen der Netto-Null-Ziele nicht unverhältnismäßig stark belastet ist.

Eine Übersicht über die neuen national festgelegten Beiträge (Englisch: Nationally Determined Contributions, kurz NDC), die die Länder vor dem nächsten UN-Klimagipfel, COP26, vorlegen sollen, zeigt, dass 32 der 101 Länder mit Netto-Null-Zielen ihre NDCs verbessert haben, verglichen mit 11 von 90 Ländern ohne Netto-Null-Ziel.

Dennoch ist es wichtig, dass Klimaaktivist*innen auf vage Zusagen von Unternehmen hinweisen, besonders solche, die fossile Brennstoffe einsetzen. Eine solche Überprüfung ist notwendig, um die Wissenschaft vor dem “Greenwashing” zu beschützen — Aktionen, die als umweltfreundlich oder nachhaltig dargestellt werden, es jedoch nicht sind. Thunberg twitterte dazu: “Das Problem sind in dem Sinne nicht die Netto-Null-Ziele selbst, sondern dass sie als Vorwand genutzt werden, um echte Maßnahmen zu verschieben.”

Das könnte zu einer echten Gefahr werden. Wenn wir zulassen, dass unaufrichtige Verwendungen von Netto-Null-Zielen das Konzept als Ganzes diskreditieren, riskieren wir, die hart erkämpften Errungenschaften aufzugeben, die von Aktivist*innen und gefährdeten Ländern 2015 in Paris und in weiteren Momenten gesichert wurden.

Deswegen ist es wichtig, nicht alle Netto-Null-Ziele in einen Topf zu werfen, sondern seriöse Ziele von denen zu unterscheiden, die zum Greenwashing eingesetzt wurden. Nicht alle Unternehmen werden ihre Netto-Null-Ziele mit einem vollständigen Plan beginnen, doch sie sollten schnell klären, wie genau sie die Ziele erreichen wollen. Diejenigen, die das tun, verdienen Anerkennung, wenn die Pläne robust und umsetzbar sind. Diejenigen, die nicht umsetzbare oder fehlerhafte Pläne zeigen, sollten Kritik ernten. 

Trotz vieler Unzulänglichkeiten bietet eine Stärkung der Netto-Null-Ziele, insbesondere das Erreichen von Emissionssenkungen im nächsten Jahrhundert, den besten Weg zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und die Prävention der verheerenden Auswirkungen der Klimakrise. Wir müssen die Netto-Null-Ziele richtig machen — und nicht nichtig. 

Dieser Artikel wurde ursprünglich im britischen Online-Newsletter The Conversation veröffentlicht. Hier kannst du den Originalartikel lesen. 

Wenn auch du willst, dass Unternehmen sich zu Netto-Null-Zielen verpflichten und diese einhalten, dann werde hier aktiv. 

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