Sagt dir der Begriff “Vernachlässigte Tropenkrankheiten” etwas (auf Englisch: Neglected Tropical Diseases, kurz NTDs)? Einige der bekanntesten Vertreter sind Malaria, Denguefieber und Gelbfieber. Doch es gibt insgesamt 20 Infektionen und Krankheiten, die als vernachlässigte Tropenkrankheiten bezeichnet werden. Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen davon betroffen und überproportional häufig in Ländern mit niedrigem Einkommen.
Dabei ist die Bekämpfung von NTDs ist keine Utopie, sondern eine sehr gut greifbare Zukunftsvision, der wir schon wirklich nah gekommen sind. So ist beispielsweise die Guineawurm-Krankheit, an deren Ausrottung der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und das Carter Center seit 1986 arbeiten, im Jahr 2021 auf nur 14 Fälle zurückgegangen. Dennoch gibt es einiges zu tun, sonst hießen sie nicht “vernachlässigte” Krankheiten.
Damit sich das ändert, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Fahrplan zur Bekämpfung dieser Krankheiten bis zum Jahr 2030 aufgestellt. Tatsache ist allerdings auch: die Umsetzung erfordert einen starken politischen Willen der Länder, der Partner und von Global Citizens wie dir!
Hier erfährst du, warum und wie NTDs der Vergangenheit angehören könnten.
Was sind NTDs?
Laut der WHO handelt es sich bei NTDs um eine "vielfältige Gruppe von 20 Krankheiten, die hauptsächlich in tropischen Gebieten vorkommen". Sie werden durch bakterielle, parasitäre oder virale Infektionen hervorgerufen und führen häufig zu Behinderungen, kognitiven Schäden, Entstellungen oder zum Tod. Sie gedeihen in der Regel in tropischen Gebieten und abgelegenen Teilen der Welt, wo der Zugang zu sanitären Einrichtungen, Ernährung und Gesundheitsversorgung fehlt.
Es gibt die sogenannten “Big Five” der NTDs, die für 90 Prozent der gesamten Erkrankungen erforderlich sind. Dabei handelt es sich um
- Filariose, eine Wurmerkrankung, zu der auch Elephantiasis zählt. Sie verursacht ausgeprägte Lymphschwellungen, bei der sich Körperteile um ein Vielfaches vergrößern können
- Onchozerkose, die sogenannte Flussblindheit, bei der Fadenwürmer in den Augen Entzündungen verursachen, die bis zur vollständigen Erblindung führen können
- Trachom, die sogenannte Körnerkrankheit, bei der sich die Augenwimpern nach innen drehen, die Hornhaut irritieren und zu Erblindung führen
- Schistosomiase oder Bilharziose, die zweithäufigste parasitäre Tropenkrankheit nach Malaria, die zu schweren Organschäden führen kann
- Parasitose, eine Wurmerkrankung, die zu Durchfall, Schwächegefühl, Gewichtsverlust und Blutarmut führen kann.
NTDs gelten aus vielen Gründen als vernachlässigt, unter anderem wegen des mangelnden Bewusstseins und der weltweiten Ablehnung, sie als wichtiges Thema der öffentlichen Gesundheit anzuerkennen. "Vernachlässigt" ist auch ein Wort, das treffend beschreibt, wie einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, die von diesen Krankheiten betroffen sind, sich selbst überlassen werden.
3 wichtige Fakten über NTDs
- Weltweit sind fast eine Milliarde Menschen von NTDs betroffen
- Diese Krankheiten betreffen oft die ärmsten und gefährdetsten Gemeinden, was dazu führt, dass 80 Prozent der Fälle in Ländern mit geringem Einkommen auftreten
- Mit der Kigali Declaration hat sich die Welt verpflichtet, NTDs bis 2030 zu eliminieren. Doch angesichts der COVID-19-Pandemie und anderer vermeintlich konkurrierender Gesundheitsprioritäten sind sie in den Hintergrund der internationalen Aufmerksamkeit gerückt
Wie hängen NTDs mit der Armutsbekämpfung und den Global Goals zusammen?
NTDs sind im Grunde genommen Krankheiten der Armut. Gerade das macht sie grausam, denn fast ausschließlich sind die ohnehin ärmsten und am stärksten marginalisierten Gemeinden von ihnen betroffen. Somit wird der Teufelskreis aus schlechter Gesundheit und Armut weiter verschärft.
Die damit verbundenen Einkommensverluste betreffen dann nicht nur die einzelnen Menschen, sondern auch ihre Familien, ihre Gemeinden, die Gesundheitssysteme und letztlich ganze Volkswirtschaften.
Selbst wenn ein Mensch eine NTD-Erkrankung übersteht, werden fast immer sein Wachstum und seine Entwicklung beeinträchtigt. Ein Kind mit einer Darmwurminfektion – die übrigens immer wieder auftreten kann, das Problem multipliziert sich – kann zum Beispiel nicht zur Schule gehen. Die Betreuungsperson wird möglicherweise das Haus nicht verlassen können, um arbeiten zu gehen und der Haushalt kann sich dadurch weniger Lebensmittel leisten. Es folgen Mangelernährung, schlechtere Gesundheit und der Kreislauf beginnt von vorn.
Die NTDs setzen also den Kreislauf der Armut fort. Wenn du dir die Lawine an Folgewirkungen verdeutlichst – von der Art, wie die Menschen essen und trinken, bis hin zur Weise, wie sie spielen und arbeiten – wird sehr schnell klar, warum ihre Bekämpfung wichtiger Bestandteil zum Beenden extremer Armut und zur Erreichung der Global Goals ist.
Wie schaffen wir das?
Der Fahrplan der WHO für die Eliminierung von NTDs dient als Leitfaden für Staats- und Regierungschef*innen, gemeinnützige Organisationen, Gesundheitsexpert*innen und andere Interessengruppen, um durch sektorübergreifende und konzertierte Maßnahmen zusammenzuarbeiten. Einige konkrete Ziele in diesem Fahrplan sind:
- die 90-prozentige Verringerung der Zahl der Menschen, die wegen NTDs behandelt werden müssen,
- die Eliminierung von NTDs in mindestens 100 Ländern,
- die vollständige Ausrottung von zwei dieser Krankheiten.
In dem Plan werden auch übergreifende Ziele wie ein besserer Zugang zu Wasser, Hygiene und Ernährung genannt. NTDs verbreiten sich durch kontaminierte Erde oder Insekten, die in unhygienischen Umgebungen gedeihen. Laut den Centers for Disease Control and Prevention könnten durch verbesserte sanitäre Einrichtungen bis zu 78 Prozent der Fälle auf der ganzen Welt reduziert werden.
Jedes der aufgelisteten Ziele ist messbar und quantifizierbar, mit zusätzlichen Zwischenzielen für die Jahre 2023 und 2025. So soll sichergestellt werden, dass alle Beteiligten ihre Verantwortung erfüllen.
Die Kigali Declaration geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie ruft insbesondere den öffentlichen und den privaten Sektor zur Zusammenarbeit auf, um die Ziele der WHO noch zu ergänzen und unterstreicht vor allem die Notwendigkeit konzertierter Bemühungen aller beteiligten Akteure*innen, was nicht zuletzt neue Finanzmittel umfasst. Mit anderen Worten: Regierungen und Geber*innen müssen den Bemühungen für die Beseitigung von NTDs eine hohe Priorität einräumen.
Da COVID-19 jedoch den Zugang zu Gesundheitsdiensten und -programmen stark beeinträchtigt, ist es eine Herausforderung, ohnehin fragile Gesundheitssysteme zu stärken und sie für den Umgang mit scheinbar konkurrierenden Gesundheitsbedrohungen zu rüsten. Die Bewältigung dieses Problems und der Aufbau der Resilienz von Systemen in Katastrophenfällen werden entscheidend dafür sein, dass die Pandemie nicht zu einem Wiederaufflammen von Krankheiten führt und noch mehr Menschen in Gefahr bringt.
Welche Hauptakteure sind beteiligt?
Zahlreiche gemeinnützige Organisationen und Initiativen setzen sich seit Jahren für die Beseitigung von NTDs ein. Dazu gehört unter anderem Uniting to Combat NTDs, eine Partnerschaft zwischen der WHO und der Bill & Melinda Gates Foundation. Sightsavers, eine Organisation, die in Gemeinden in 30 Ländern tätig ist, hat sich ebenfalls an vorderster Front für die Ausrottung von Krankheiten wie Trachom und Onchozerkose eingesetzt.
Nicht zuletzt sind aber auch Regierungen wichtige Akteure im Kampf gegen die Krankheiten. Das Vereinigte Königreich war beispielsweise bei diesen Bemühungen führend und hat Millionen für Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur weltweiten Ausrottung von NTDs bereitgestellt. Kürzlich hat das Land jedoch erhebliche Kürzungen seines Budgets für Entwicklungszusammenarbeit angekündigt, wodurch diese vielversprechenden Bemühungen in Frage gestellt werden.
Auf dem Global Citizen Festival: Mandela 100 im Jahr 2018 haben sowohl Botswana als auch Belgien zugesagt, ihren Teil beizutragen, die Krankheiten auszurotten. Botswana hat fünf Millionen Euro für das erweiterte Sonderprojekt zur Eliminierung vernachlässigter Tropenkrankheiten (ESPEN) und eine Initiative der WHO in Afrika bereitgestellt.
Wie kannst du aktiv werden?
Du kannst den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten unterstützen, indem du die Arbeit derjenigen stärkst, die Kampagnen zur weltweiten Ausrottung anführen. Etwa indem du Staats- und Regierungschef*innen dazu aufforderst, sich für dieses Thema einzusetzen.
Weitere Informationen und Berichte über NTDs findest du unter "The Last Milers", einer Profilserie von Global Citizen, in der Menschen vorgestellt werden, die sich weltweit gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten einsetzen.