Vor einem Jahr ging das Foto des syrischen Jungen Alan Kurdi, dessen lebloser Körper an einem Strand in der Türkei gefunden wurde, um die Welt. Damals waren alle schockiert. Die Emotionen reichten von aufrichtiger Anteilnahme und Mitgefühl bis zu Empörung, Wut und Verwunderung, wie es zu so einer Tragödie kommen konnte.
Es war auch vor einem Jahr, dass Angela Merkel sich dazu entschied, Menschlichkeit zu beweisen und Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Was ist seitdem passiert? Den Nachrichten zu urteilen, nicht viel.
Der Syrien-Konflikt nimmt kein Ende und zwang über 11 Millionen Syrer, ihr Zuhause zu verlassen. Bei dieser Zahl muss man erstmal schlucken. Wenn man sich allerdings die Gesamtzahl aller Menschen betrachtet, die weltweit aufgrund von Gewalt, Konflikten oder Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen mussten, stockt einem der Atem. Denn insgesamt sind es 65,3 Millionen Menschen.
Trotzdem waren und sind die Reaktionen - vor allem vieler Industrieländer - auf diese menschliche Notlage vergleichsweise schwach.
Fremdenhass, Angst um die nationale Sicherheit und ein Blick auf die eigenen Ressourcen führten dazu, dass viele Länder Asylsuchende mit besonderer Skepsis behandeln.
Es lassen sich aber auch andere Nachrichten und Geschichten finden. Zum Glück. Nachrichten über Menschen, die Flüchtlinge in ihrem zu Hause willkommen heißen und Menschlichkeit beweisen.
Einige solcher Beispiele werden auf der Webseite „No Stranger Place” gesammelt. Die Fotografin Aubrey Wade und die Autorin/Produzentin Nadine Alfa haben in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) eine Reihe von Geschichten aus ganz Europa zusammengetragen, die zeigen, wie Menschen Flüchtlinge in ihrem Zuhause willkommen heißen.
Das Projekt wurde bereits 2015 ins Leben gerufen. Die Seite gewährt Einblick in das Leben von Menschen, die es - laut Webseite - geschafft haben, „trotz kultureller Unterschiede und sprachlicher Barrieren Verbindung zueinander aufzubauen. Denn funktionierende Integration ist keine Einbahnstraße, sondern erfordert Offenheit und Anstrengung auf beiden Seiten.”
Und die Geschichten sprechen für sich: sie sind stark, gefühlvoll und zeigen: eigentlich ist es keine große Sache. Denn wenn Menschen sich mit Respekt begegnen, ist Alltag alltäglich. Diese Geschichten erinnern den Leser daran, „was erreicht werden kann, wenn Menschen aus dem Vertrauen heraus handeln und nicht aus ihrer Furcht”. All die Geschichte zeigen, wie viel positive Seiten es hat, wenn man einen Gast bei sich Zuhause willkommen heißt.
Wie zum Beispiel die Geschichte von Alqumit Alhamad und Linnea Tell, die sich durch eine schwedische Organisation kennenlernten. Die beiden könnten ungleicher nicht sein: Alqumit ist sehr extrovertiert, homosexuell und Muslim und flüchtete aus seiner Heimat Syrien, nachdem ein Teil seiner Freunde durch den IS gefoltert und von Hochhäusern gestürzt wurden - nur aufgrund der Tatsache, dass sie schwul waren. Linnea hingegen ist eine eher introvertierte Person und alleinerziehende Mutter, die gerade mitten in ihrer Ausbildung zur Bibliothekarin steckt. Trotz dieser offensichtlichten Unterschiede sagt Linnea: „Ich wusste gleich vom ersten Moment an, dass das zwischen uns passt. Wir hatten uns von Anfang an viel zu erzählen.”
Inas ging es genauso: Nach gerade einmal vier Tagen, nachdem er in Deutschland angekommen war, traf er ein nettes und offenes Pärchen, Wilhelm und Brian. Schon bei ihrem ersten Treffen fühlten die Drei eine starke Verbindung - trotz unerwarteter kultureller Unterschiede. Als Inas Wilhelm und Brian das erste Mal mit ihrem Hund spielen sah, war er schockiert. „Man sah ihm sofort im Gesicht an, dass irgendwas nicht stimmte”, erzählt Wilhelm. Denn Hunde haben in Syrien einen anderen Stellenwert als in Deutschland. „Aber stell dir mal vor, du würdest in ein anderes Land kommen und jemand spielt und umarmt eine Ratte. Das wäre für uns erstmal auch total schockierend, wenn man das von zu Hause nicht kennt.”
Schon bald aber hat sich Inas mit dem Haustier der beiden angefreundet. Jetzt leben die Drei - bzw. Vier! - schon seit November letzten Jahres unter einem Dach. „Es fühlt sich wie richtiges Familienleben an”, erzählt Wilhelm.
Die Geschichte der Jellineks ist ganz besonders. Denn in ihrem zu Hause im Herzen von Berlin vereinen sich Islam und Judentum unter einem Dach. Damit das funktioniert, erfordert es Mühe und Anstrengung von beiden Seiten.
„Integration funktioniert nicht, wenn es einseitig ist”, sagt Chaim Jellinek. „Wir können nicht nur von den Leuten, die in unser Land kommen, erwarten, dass sie sich so schnell wie möglich integrieren. Damit Integration funktionieren kann, müssen auch wir uns öffnen.”
Jetzt im Moment, wo Politiker darüber nachdenken, Mauern zu errichten, um Menschen zu stoppen, und andere wiederum lieber in die andere Richtung schauen, wenn es um Flüchtlinge geht, sind Geschichten wie diese hier um so wichtiger, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass Menschlichkeit - und nicht Hass - genau das ist, was verschiedene Kulturen zueinander bringt.