Ohne eigene Schulbildung und von großen gesundheitlichen Problemen geplagt, brauchten Tays Eltern dringend Geld für Lebensmittel und Medizin. Von ihren sieben Kindern wollten sie daher, dass nur Tays jüngster Bruder die Schule beendete, nicht Tay.
Doch Tay hatte große Träume. Sie wollte Lehrerin werden, um so ihren Traum vom Lernen mit anderen zu teilen, vor allem in den eher ländlichen Gegenden Vietnams. Tays Eltern sahen das anders. Als Tay in die 8. Klasse kam, verbrannten ihre Eltern alle ihre Schulhefte und zwangen sie, die Schule abzubrechen, um sich einen Job zu suchen.

Mit viel Zureden konnte Tay ihre Eltern dazu bewegen, sie zumindest noch die 9. Klasse abschließen zu lassen. Sie erzählte ihren Eltern, dass ihr nur noch ein Schuljahr fehlen würde, um ein Schulabschlusszertifikat zu bekommen. „Viele Fabriken stellen nur Leute mit mindestens diesem Bildungsabschluss oder höher ein. Ich hab dadurch bessere Chancen, eine Anstellung zu finden" versicherte Tay ihren Eltern. Heimlich allerdings träumte Tay weiter von ihrem Traum, Lehrerin zu werden. 

Image: Room to Read

Nach der 9. Klasse verlangten Tays Eltern erneut, dass Tay die Schule verlässt und sich einen Job sucht. Dieses Mal fand Tay kein weiteres Argument, das ihre Eltern vom Gegenteil überzeugen konnte und so schrieb sie eine bestürzte Abschiedsnachricht an die Organisation 'Room to Read', die Tay seit der 8. Klasse in ihrer Schulbildung unterstützen. Die Mitarbeiter der Organisation waren entsetzt und beschlossen, sich für Tay einzusetzen. Sie besuchten Tays Familie zu Hause und versicherten, dass 'Room to Read' sich bereit erklären würde, den größten Teil der Schulkosten zu zahlen, inklusive der Anschaffung eines Fahrrads, damit Tay auch zur weiterführenden Schule kommt. Sie erläuterten zudem, dass Absolventen mit einem höheren Schulabschluss später durchaus mehr Gehalt erhalten. Nach langen Gesprächen willigten Tays Eltern letztendlich ein, Tay weiterhin zur Schule gehen zu lassen. Außerdem versicherte Tay, dass sie nebenbei in einer Fabrik arbeiten und auf dem Markt Krabben verkaufen würde, um ihre Eltern finanziell zu unterstützen und einen Teil zu den Schulkosten beizutragen.

Ab dem ersten Tag an der weiterführenden Schule merke Tay gleich zu Beginn, dass die Qualität an dieser Schule sich merklich von der an ihrer alten Schule unterschied. Ihre alte Schule war eher ländlich gelegen und hatte Schwierigkeiten, gute Material und Lehrer zur Verfügung zu stellen, vor allem für das Fach Englisch.
In Tay wuchs immer mehr der Gedanken heran, dass sie später als Lehrerin vor allem Schülern in abgelegenen Dörfern dabei helfen wollte, Englisch zu lernen - ein Fach, das wichtig ist, aber enorm schwer zu erlernen, wenn man alleine ist.

Eine Sache allerdings stand noch aus: um Lehrerin zu werden, musste sie eine Universität besuchen. Was bedeutet: ein erneuter Kampf mit ihren Eltern und die Frage, ob diese sie weiterhin lernen lassen würden.
„Als Lehrerin kann ich euch besser unterstützen als wenn ich eine Fabrikarbeiterin werde" war eines von Tays Argumenten. Doch ihre Eltern hatten noch ein ganz anderes Gegenargument: „Du kannst einfach nicht weiterstudieren, hör mit deinen Tagträumen auf. Wir sind zu arm und können dich nicht mehr ernähren, wie willst du an einer Uni studieren ohne einen einzigen Stift in deiner Tasche?".

Und zum zweiten Mal in Tays Leben verbrannt ihre Eltern all ihre Bücher und Hefte und verlangten von ihr, dass sie sich endlich einen Job sucht.
Doch Tay wollte sich nicht abbringen lassen und dank ihres im letzten Jahr hinzugewonnenen Selbstbewusstsein wurde ihr Entschluss, studieren zu wollen, von Tag zu Tag kräftiger. Heimlich fuhr Tay nach Ho Chi Minh und nahm an den Aufnahmeprüfungen für die Universität teil. Tay bestand die Prüfung und erhielt die Erlaubnis, am 'Long An Teacher Training College' zu studieren.

Tay war außer sich vor Freude, dass sie ihrem Traum ein Stückchen näher kam - und gleichzeitig graute es ihr davor, ihren Eltern davon zu erzählen. Wie konnte sie ihre Eltern nur davon überzeugen, zur Uni gehen zu dürfen und ihren Traum zu verfolgen, eines Tages Lehrerin zu werden? 



Und wie zu erwarten war, waren Tays Eltern alles andere als erfreut und sprachen sich gegen das Studium aus. Sie weigerten sich auch, für ihre Tochter einen Kredit aufzunehmen, der einkommensschwache Familie in genau solche Situationen unter die Arme greift, um die Studiengebühren zu bezahlen.
Trotz des Widerstandes beschloss Tay, das Studium anzutreten.

Unterernährt und quasi ohne einen Cent in der Tasche studierte Tay und ging nebenher arbeiten, um sich das Studium leisten zu können. Manchmal allerdings war Tay so erschöpft und unterernährt, dass sie während des Unterrichts einfach in Ohnmacht fiel. Was ihre Klassenkameraden stutzig werden ließ, auch dass Tay jedes mal im Krankenhaus ganz allein zu sein schien und niemand aus ihrer Familie sie besuchen kam. Doch Tay traute sich nicht, ihrer Familie von ihrer Situation zu erzählen aus Angst, dass diese sie dazu zwangen, ihren Traum aufzugeben.

'Room to Read' trat ein zweites Mal in Tays Leben und begann, sie mit einem Stipendium in Höhe von $110 (USD) zu unterstützen, wovon Tay die Studiengebühren bezahlen kann. Im Gegenzug kann Tay sich jetzt mehr Essen leisten und sich gesund ernähren.

Dieses Jahr ist Tays letztes Jahr an der Universität, bevor sie ihren Abschluss macht.
Und sie ist weiter im engen Kontakt mit 'Room to Read' und ermutigt andere junge Mädchen, indem sie ihnen von ihrer eigenen Geschichte erzählt. Durch ihre Engagement hat sie unzählige andere Menschen inspiriert, sich für ihre eigene Bildung einzusetzen, inklusive ihre Brüder!
So konnte Tay ihren ältesten Bruder dazu bewegen, zurück zur Schule zu gehen. Und letztes Jahr radelte Tay zusammen mit ihrem jüngsten Bruder auf dem Gepäckträger bis Ho Chi Minh (knapp 35km!!), um dort in einem Buchladen die passenden Bücher für seine Aufnahmeprüfung zu kaufen. Inzwischen lernt er am 'Ho Chi Minh City College' Erziehungswissenschaften und wird im Herbst sein Studium beginnen.


Dank Tays Mut und ihrem unbeugsamen Durchhaltevermögen haben zu guter Letzt auch ihre Eltern die Vorteile einer guten Schulbildung erkannt. Inzwischen sagen diese zu ihren anderen Söhnen: „Ihr solltet euch ein Beispiel an eurer Schwester nehmen. Versucht, ein Stipendium zu bekommen, nebenbei zu arbeiten und sparsam zu sein, damit ihr eines Tages auch Lehrer werden könnt."

Tay selbst sagt: „Ich mag vielleicht aus einer armen Familie stammen, aber mein Wille ist nicht arm. Armen Studenten stehen nicht alle Ausbildungsmöglichkeiten offen, aber ich lasse mich nicht davon abbringen, trotzdem diese Gelegenheit zu ergreifen. Gerade in ländlichen Gegenden stehen den Studenten kaum gute Englischlehrer zur Verfügung. Ich will für meine und die Zukunft dieser Schüler kämpfen."

Erfahre mehr über die Organisation 'Room to Read' und ihre Engagement für Bildungschancen für junge Mädchen in Vietnam. 


Diese Geschichte wurde von Room to Read auf der Webseite Medium publiziert. 


Die in diesem Artikel dargestellte Meinung reflektiert ausdrücklich die Meinung des Autors und nicht maßgeblich die Meinung von Global Citizen, unseren Partnern und/oder unserer Partner-Organisationen. 

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