Kerry Jacobson aus den USA war sieben Jahre alt, als bei ihm Polio ausbrach. Das war 1952. Damals gab es noch keine Impfung gegen die Krankheit, so dass Polio ungehindert ein Kind nach dem anderen auf der ganzen Welt befallen konnte.

Kerry erwischte es sogar richtig schlimm: durch ein Nachbarskind angesteckt, erkrankte er an der seltenen und gefährlichen bulbären Form von Polio. Diese Form lähmt nicht nur die Gliedmaßen der Erkrankten, sondern kann auch das Sprechen, Schlucken und Atmen stark beeinträchtigen.

Kaum wurde die Krankheit bei Kerry festgestellt, wurde er auch direkt ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. „Ich weiß noch, dass ich im Krankenhaus sofort von meiner Mutter getrennt und in einem Rollstuhl in einen Raum mit anderen Kindern geschoben wurde. Auf der anderen Seite des Raums aufgereiht stand eine Gruppe Eltern, darunter auch meine Mutter“, erinnert sich Kerry. Ein Seil trennte die Eltern von ihren Kindern, um weiteren Kontakt zwischen ihnen zu vermeiden. „Ich sehe meine Mutter noch vor mir, wie sie dort stand, mir zuwinkte und gleichzeitig weinte. Ich hatte keine Ahnung, was vor sich ging oder was noch kommen sollte.“

Kerry verbrachte die nächsten Monate in einem Raum mit 30 weiteren Kindern, die alle an Polio erkrankt waren. Manche von ihnen konnten in einem normalen Bett liegen. Andere waren zum Überleben auf eine ‚Eiserne Lunge’ angewiesen.

Eine 'Eiserne Lunge' gleicht einer großen, langen Eisenröhre, in die ein Patient bis zum Hals reingesteckt wird, so dass am Ende nur noch der Kopf rausguckt. Definitiv keine bequeme Angelegenheit. Die Eiserne Lunge unterstützte die Kinder beim Atmen, deren eigene Lungen aufgrund der Polioerkrankung zu schwach waren. Für diese Kinder wurden die Eisernen Lungen überlebenswichtig.   

Auch Kerry erinnert sich an diese Maschine: „Eines Morgens wachte ich auf und die Eiserne Lunge, die bisher neben meinem Bett stand, war verschwunden. Als ich die Krankenschwester fragte, wohin denn der Junge sei, der in der Eisernen Lunge lag, sagte sie nur, er sei ‚nach unten’ gegangen“. Kerry wusste, dass die Kinder – wenn sie nicht mehr ansteckend waren – ‚nach oben’ gingen, aber nie zuvor hatte er von einem ‚unten’ gehört. Erst Jahrzehnte später verstand er, dass der Junge damals gestorben war.


Drei lange Wochen später durfte Kerry endlich sein Zimmer verlassen und ‚nach oben’ gehen. Da das Krankenhaus allerdings hoffnungslos überfüllt war, nahmen seine Eltern ihn mit nach Hause und bauten für ihn sogar eigene „Turngeräte“, die ihm bei seiner Genesung helfen sollten. Dank der Hilfe seiner Familie konnte er nach sieben Monaten wieder alleine laufen.

Doch leider bleibt Polio für die Erkrankten oft keine einmalige Sache. Bis heute leidet Kerry an den Folgen seiner schlimmen Erkrankung: „Große Schwierigkeiten bereiten mir nach wie vor das Schlucken, Atmen und Sprechen. Mit fortschreitendem Alter wird es dazu auch noch schlimmer.“

Geprägt durch die Zeit der 60er und 70er Jahre, versuchte Kerry die Spuren seiner Krankheit so gut es geht in der Öffentlichkeit zu verschweigen. „Damals wollte die Welt mit Polio-Opfern nichts zu tun haben.“

Mittlerweile hat er jedoch seine Meinung geändert. Denn Polio ist noch längst nicht ausgerottet! In den letzten Jahren wurden in mehreren Ländern weltweit – darunter unter anderem Syrien – Polioerkrankungen gemeldet. Daher sagt Kerry heute: 

„Viele Menschen wie ich, die Polio überlebt haben, haben bisher häufig die Öffentlichkeit gescheut. Stattdessen sollten wir aber der Menschheit als Erinnerung an diese fatale Krankheit dienen.“

Aus diesem Grund hat Kerry den Schritt gewagt und seine Erinnerungen in seinem Buch „Life Before Post-Polio Syndrome: A Polio Survivor's Stories“ zusammengetragen und hofft, dass er so dabei helfen kann, dass Polio nicht in Vergessenheit gerät. Und mehr noch: dass die Welt zusammen kommt und gemeinsam dafür kämpft, dass diese Krankheit ein für alle mal ein Ende findet. Denn inzwischen haben wir zuverlässige und einfache Impfungen gegen eine Krankheit, die so viel Leid mit sich bringen kann. Wieso sollte ein Kind auf dieser Welt noch solche Erfahrungen machen müssen, wenn eine Impfung von wenigen Sekunden ein ganzes Leben retten kann? Eben. 

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„Warum sollte ich zulassen, dass heute ein Kind sowas noch durchmachen muss?"

Ein Beitrag von Katrin Kausche