.
Das Gefühl, das mich oft umschleicht, wenn ich anfange über Rassismus zu sprechen, ist Angst. Angst, die falschen Fragen zu stellen. Angst, etwas falsches zu sagen. Angst, aufgrund meiner Herkunft und meiner Hautfarbe nicht das Recht zu haben, etwas zu diesem oder jenem Aspekt zu sagen. Es ist die Angst unbedacht zu sein, naiv zu wirken, eine Perspektive nicht zu sehen, die ich sehen müsste.
Nicht erst jetzt, sondern schon häufig stellte ich mir die Frage: Was soll und darf ich dazu sagen?
Als junge Frau, die privilegiert und wohlbehütet in Deutschland aufgewachsen ist, weiß ich nicht, was es heißt, von Rassismus betroffen zu sein. Auch wenn mein Vater als Kind mit seinen Bruder, meiner Oma und meinem Opa aus dem Iran nach Deutschland kam, sehen mich die meisten als “Weiße”. Mein Migrationshintergrund spielt selten eine Rolle.
Black Lives Matter
Was ich über Rassismus weiß, basiert auf Artikeln, Büchern und Interviews, die ich gelesen habe. Auf Gesprächen mit ghanaischen Freunden, mit Bekannten und Freund*innen, die in Deutschland leben und syrische, brasilianische, nigerianische und senegalesische Wurzeln haben. Sie alle haben Rassismus und Diskriminierung erfahren. Ich habe ihnen zugehört, Fragen gestellt und versucht, von ihnen zu lernen.
Ich habe mir Geschichten darüber anhören müssen, wie Menschen die Straßenseite wechseln, wenn sie meinen Freunden begegnen. Wie Menschen sich in der Bahn wegsetzen, wenn sie Platz nahmen. Ich habe erlebt, wie es ist, mit ihnen im schicken Hamburg-Eppendorf beim Kaffeetrinken angestarrt zu werden, vor Clubs auf der Reeperbahn und in Bars in der Sternschanze abgewiesen zu werden. Ich habe Türsteher und Barbesitzer beschimpft. Ich war traurig und wütend. Ich war enttäuscht und verletzt.
Diese Erfahrungen ließen mich erkennen, dass meine Angst und mein lückenhaftes Wissen über Rassismus mich nicht davon abhalten dürfen, über Rassismus zu sprechen und zu schreiben – so gut ich eben kann.
George Floyd: Rassismus und Polizeigewalt in den USA
Eine Woche ist es her, dass der Afroamerikaner George Floyd von einem weißen Polizisten ermordet wurde. “Please, please, please, I can’t breathe”, fleht Floyd als er am Boden lag – ”Bitte, bitte bitte, ich kann nicht atmen.” In einem Video einer Passantin ist dokumentiert, wie ein weißer Beamter ihm minutenlang das Knie auf den Hals presst. Drei Kollegen des Polizisten waren die ganze Zeit dabei – sehen zu, schlendern umher, unternehmen nichts.
Das Geschehen ist kein Einzelfall. Insgesamt gab es 2019 nur 27 Tage, an denen kein US-Bürger durch die Polizei getötet wurde, berichtet DIE ZEIT. Das Datenprojekt Mapping Police Violence zählte insgesamt 1.099 Tötungsfälle: Davon waren 24 Prozent Schwarze, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Eine Studie aus 2019 zeigt: Eine der häufigsten Todesursachen für junge schwarze Männer in den USA ist es, von der Polizei getötet zu werden – einer von 1.000 kann damit rechnen. Das ist ein 2,5-fach höheres Risiko als bei weißen US-Bürgern.
Ein Moment der Solidarität – und Anlass für eine Debatte
Die Situation in den USA ist nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar, denn zum Glück gibt es hier weniger Polizeigewalt und weniger Gewalt gegen Schwarze. Doch nicht erst seit dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau bei dem zehn Menschen ermordet wurden, wissen wir: Auch in Deutschland gibt es Rassismus, Racial Profiling, Hetze, Hass und Gewalt basierend auf rassistischem Gedankengut. Menschen werden bedroht, angefeindet und ermordet.
Der Mord an George Floyd fordert einen Moment der Solidarität mit dem Opfer, mit dessen Familie, mit allen People of Color. Dieses Geschehen fordert viele Konsequenzen in den USA – aber es sollte auch Anlass dafür sein, das Thema Rassismus in Deutschland aufzugreifen.
Was können wir tun?
In diesen Tagen stellt sich für mich einmal mehr die Frage: Was ist richtig und was falsch? Was sollen “wir” als “Weiße”, “nicht Betroffene” jetzt tun? Was wird von mir erwartet – und mindestens genauso wichtig: Was erwarte ich eigentlich von mir?
Für mich lautet die Antwort: Hinhören. Zuhören. Lernen. Sich informieren. Den Dialog suchen. Haltung zeigen.
Wir können uns auf Blogs und auf Social Media darüber informieren, was wir als “Weiße” tun können. Wir können Bücher über Alltagsrassismus lesen. Wir können mit unseren Freund*innen darüber sprechen. Und wir müssen uns unsere Privilegien bewusst werden.
Wir sind Teil der Gesellschaft, in der es Rassismus gibt – und damit auch Teil des Problems und Teil der Lösung. Wir müssen uns unserer aktiven und passiven Handlungen bewusst sein. Wir müssen uns austauschen, bei Freund*innen und Bekannten nachfragen, uns informieren. Wir müssen akzeptieren, nicht alles zu wissen. Wir müssen aushalten, kritisiert zu werden, korrigiert zu werden und lernen, um Verzeihung zu bitten, wenn wir Fehler machen. Aber wir dürfen nicht schweigen. Rassismus ist ein Problem, was uns alle angeht.