Nach dem Mord an dem Schwarzen US-Amerikaner George Floyd in Minneapolis, Minnesota, kam es zu weltweiten Protesten. In den USA wehrten sich die Anhänger*innen der Black Lives Matter Bewegung vor allem gegen die rassistische Polizeigewalt und systemische Ungleichheit.
Als die Protestwelle von Black Lives Matter Deutschland erreichte, wurde vielerorts von Solidarität gesprochen – Solidarität mit den Schwarzen Opfern des noch immer weit verbreiteten Rassismus-Problems in den USA. Dass struktureller Rassismus und Polizeigewalt auch ein deutsches Problem darstellen, wollten viele Menschen in Deutschland nicht wahrhaben. Dies könnte darin begründet sein, dass Rassismus in Deutschland oft einen anderen Namen trägt: Nämlich Rechtstextremismus und rechte Gewalt. Dabei sind all dies Formen von Gewalttaten, die sich gegen ethnische und religiöse Minderheiten, politische Gegner*innen oder Vertreter*innen des Staates richten. Rechtstextremismus ist Rassismus.
Rassismus: Ein deutsches Problem
Ein im Juli veröffentlichter Bericht zu Rechtstextremismus und rechter Gewalt zeigt, dass Deutschland im Europa-Vergleich einen traurigen Spitzenplatz einnimmt. Die Trendstudie wurde von der ZEIT und dem Center for Research on Extremism (C-REX) an der Universität Oslo durchgeführt. Demnach nehmen Straftaten mit rechten und rassistischen Motiven in Deutschland nicht nur zu – Deutschland weist sogar die häufigsten Vorfälle schwerer rechter Gewalt auf, auch unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl.
Täter rechter Gewalt sind in Deutschland oft Einzeltäter
Laut Bericht sind 2019 rund die Hälfte solcher Straftaten – vor allem mit tödlichem Ausgang – in Deutschland von Einzeltätern verübt worden. Dies unterscheide sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie etwa Spanien und Italien, wo hohe Gewalttaten mit rechtsextremen Hintergrund häufiger von organisierten Gruppen angeleitet wurden. Die bedeute allerdings nicht, dass diese Einzeltäter ihre Anschläge frei von äußeren Einflüssen planten, ganz im Gegenteil: Viele ließen sich von früheren Attentätern leiten oder “inspirieren”. Zudem hinterließen einige von ihnen sogenannte Bekenntnisschreiben, die oft auf rechtsextreme und rassistische Tatmotive hinweisen.
Das deutsche Phänomen der Einzeltäter bedeutet zudem nicht, dass es sich bei diesen Gewalttaten um Einzelfälle handelt. Während es im vergangenen Jahr in vielen westeuropäischen Ländern keine oder wenige Fälle schwerer rechter Gewalt gab, wurden in Deutschland 35 solcher Gewalttaten registriert. Seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 töteten deutsche Rechtsextremisten mindestens 121 Menschen. Im europaweiten Vergleich ist das die Höchstzahl.
Rechte Gewalt in Deutschland besteht nicht erst seit Hanau
Die Chronologie rechter Gewalt in Deutschland zeigt: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit existieren nicht erst seit dem für viele Menschen traumatisierenden Anschlag in Hanau im Februar diesen Jahres. Sie sind tief in der Geschichte des Landes verwurzelt und richten sich derzeit laut Trendstudie besonders gegen ethnische Minderheiten und Einwanderer. Blickt man auf die Vorfälle rechter Gewalt in den vergangenen Jahren, fällt zudem auf, dass sie immer öfter auf Menschen abzielen, die sich politisch links positionieren.
Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 ist das jüngste Beispiel für diese alarmierende Entwicklung. Der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Täter läuft in diesen Tagen am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main. Beide kommen aus der rechtsextremistischen Szene und sprachen sich in der Vergangenheit bereits im Internet gegen die Flüchtlingspolitik Lübkes aus. Dieser Mordanschlag reiht sich in eine lange Liste von Gewaltausbrüchen in Deutschland ein, darunter die deutschlandweite Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds NSU und das Aufkommen von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte während der “Flüchtlingskrise” 2015.
Polizeigewalt in Deutschland
Die Debatte um rechtsextremistische Gewalt bei der deutschen Polizei hat nicht nur durch die landesweiten Black Lives Matter-Proteste an Fahrt aufgenommen, sondern auch durch das Aufkommen der sogenannten “NSU 2.0”- Drohnachrichten. Seit 2018 erhielten über 28 verschiedene Personen und Institutionen in Deutschland Drohschreiben mit dem Absender “NSU 2.0”, darunter die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und andere Anwält*innen von Opfern im NSU-Prozess. Nun wurden zwei Verdächtige festgenommen: Der ehemalige Polizist Hermann S. aus Landshut, Bayern, und seine Frau. Der Hauptverdächtige war Berichten zufolge in der rechten Szene vernetzt, zudem Sportschütze und im Besitz mehrerer Waffen. Auf seinem eigenen Blog äußerte er sich rassistisch, es wurden mehrere Verfahren wegen Volksverhetzung, Beleidigung, sowie Verstößen gegen das Datenschutzgesetz gegen Hermann S. eingeleitet. Alle Verfahren wurden eingestellt.
Doch auch dieser Fall eines ehemaligen Polizisten, der mutmaßlich seine eigene Position missbrauchte, um sich vertrauliche Kontaktdaten für das Versenden von rassistischen Drohnachrichten zu beschaffen, ist in Deutschland kein Einzelfall. Das wachsende Problem rechtsextremistischer Netzwerke bei der deutschen Polizeierkannte nun auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er richtete kürzlich eine neue Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Vorfälle im öffentlichen Dienst ein.
Ob diese Maßnahmen Wirkung zeigen, bleibt abzuwarten. Bis dahin ist ein erster wichtiger Schritt zur Gegenwehr rechtsextremistischer Vorfälle in Deutschland die Erkenntnis, dass Deutschland ein Problem mit strukturellem Rassismus und rechter Gewalt hat.