Die Weltgemeinschaft ist sich einig: Bis 2030 soll die Welt besser werden. Extreme Armut und Hunger sollen beendet, Geschlechtergleichheit und Gesundheitssysteme weltweit vorangebracht werden. Auch Trinkwasser und eine Toilette sollen allen Menschen zur Verfügung stehen.
Um all das zu erreichen, haben sich die 193 Mitgliedsstaaten der UN darauf geeinigt, 17 nachhaltige Entwicklungsziele festzulegen – auf Englisch Sustainable Development Goals, kurz SDGs genannt. Jeder dieser Mitgliedstaaten muss einen Beitrag leisten, um diese Ziele zu erreichen – ganz gleich, ob Industriestaat oder Entwicklungsland.
Der aktuelle Sustainable Development Report 2020 zeigt, dass die Weltgemeinschaft zwischen 2015 und 2019 erhebliche Fortschritte bei den SDGs gemacht hat. Dennoch ist kein Land auf dem Weg, bis 2030 alle 17 Ziele zu erreichen.
Die Corona-Pandemie ist eine zusätzliche Bedrohung für die Erreichung der Ziele, wie der Bericht zeigt. Herausgegeben wird dieser seit vier Jahren von US-Ökonom Jeffrey Sachs, unterstützt von unabhängigen Expert*innen des von ihm geführten Sustainable Development Solutions Network und der Bertelsmann Stiftung.
Die Ziele für nachhaltige Entwicklung seien wichtiger als je zuvor, betont Sachs in der Pressemitteilung. “Ihre Grundprinzipien sind soziale Inklusion, universeller Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und globale Zusammenarbeit. Diese Prinzipien sind die Wegweiser für den Kampf gegen Covid-19 sowie für die Erholung nach der Pandemie, denen die Welt folgen sollte, um die Wirtschaftskrise zu überwinden” so Sachs weiter.
Infolge der Pandemie wird die Zahl der Menschen, die in Armut leben, zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder steigen. Vor allem Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, bekommen die Auswirkungen zu spüren. Vor allem in Entwicklungsländern sind viele Arbeiter*innen nicht angestellt und haben keinerlei Sicherheiten. Sie verkaufen auf der Straße Wasser oder Nahrung, arbeiten als Tagelöhner auf den Feldern oder fahren mit einem kleinen “Bus” durch die Straßen und bringen Menschen von A nach B. Durch die Lockdown-Maßnahmen wurde ihnen von einen Tag auf den anderen ihre Existenzgrundlage entzogen. Die Einkünfte der Arbeiter*innen im informellen Sektor sind bereits im ersten Monat der Krise um 60 Prozent gesunken, berichtet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Insgesamt, so schätzt ILO, sind 1,6 Milliarden Arbeiter*innen im informellen Sektor betroffen.
Nach ersten, von der UN University veröffentlichten Schätzungen könnte allein die Zahl der Menschen, die in extremer Armut, also von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag leben, infolge der weltwirtschaftlichen Rezession um 85 bis 420 Millionen steigen.
Im globalen Ranking des Reports belegte Deutschland Platz fünf und verbessert sich damit um einen Platz im Vergleich zum Vorjahr. Die Spitzenreiter des Reports sind Dänemark, Schweden, Finnland und Frankreich.
Die Länder werden daran gemessen, welche Fortschritte sie bei der Erreichung der 17 Ziele machen. Die Auswertung erfolgt nach einer Art Prozentpunkte-System von 0 bis 100. Deutschland wird derzeit mit 80,77 von 100 Punkten bewertet.
Besonders positive Entwicklungen zeigt Deutschland bei sechs der 17 Ziele auf. Auf gutem Wege ist Deutschland demnach bei den folgenden Zielen:
Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie
Ziel 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur
Ziel 15: Leben an Land
Ziel 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
Ziel 17: Globale Partnerschaften zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung
Wie schon im vergangenen Jahr weist Deutschland große Defizite bei den folgenden drei Zielen auf:
Ziel 12: Nachhaltiger Konsum und Produktion
Ziel 13:Klimaschutz und Anpassung
Ziel 14: Leben unter Wasser
Insgesamt urteilt der Bericht, dass Deutschland bei acht der 17 Ziele noch immer vor “großen oder signifikanten Herausforderungen” steht und mehr Anstrengungen unternehmen muss, um diese Ziele zu erreichen.
“Deutsche Nachhaltigkeitspolitik muss diese Herausforderungen stärker adressieren und jetzt die notwendigen politischen Maßnahmen einleiten“, sagt Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge, Ko-Vorsitzende von SDSN Germany.
Der Jahresbericht zeigt, dass Deutschland deutlich mehr tun muss, um den Klimaschutz nachhaltig und langfristig zu verfolgen. Dennoch könnte die Corona-Pandemie Deutschland dazu verhelfen, das Klimaziel für 2020 ganz überraschend doch noch zu erreichen.
Denn die Entwicklung der Treibhausgasemissionen hängt stark von der Wirtschaft ab. Der Rückgang und die Schließungen ganzer Wirtschaftszweige im Frühjahr 2020 hatte hier einen enorm positiven Einfluss: Die globalen CO2-Emissionen aus fossiler Verbrennung werden 2020 um acht Prozent unter dem Wert des Vorjahres liegen, so die Internationale Energieagentur (IEA). Für Deutschland wird prognostiziert, dass die CO2-Emissionen 2020 um 50 Millionen Tonnen sinken.
Doch abgesehen vom Klimaschutz, der durch den wirtschaftlichen Rückgang kurzfristig gestärkt wird, bedroht die Corona-Pandemie die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 enorm. Nun bedarf es noch mehr Anstrengungen der einzelnen Länder.
Im vergangenen Jahr sagte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung: “Den historischen Versprechen sind kaum Taten gefolgt. Wir müssen die UN-Ziele mit Leben füllen und in konkrete Maßnahmen überführen. Armut und ungleiche Bildungschancen verschwinden nicht durch Lippenbekenntnisse, sondern nur durch Taten.” Diese Worte haben auch in diesem Jahr nicht an Gültigkeit verloren.