Seaspiracy hat Wellen geschlagen. Die Netflix-Doku, die im März veröffentlicht wurde, zeigt die verheerenden Folgen des industriellen Fischfangs auf unsere Meere.
Inzwischen steht sie jedoch bei Nichtregierungsorganisationen und Expert*innen in der Kritik. Die Vorwürfe: Die Verwendung veralteter Fakten sowie die Form der Interviews, bei denen den interviewten Personen die Worte quasi in den Mund gelegten würden.
Der 27-jährige Umweltschützer Ali Tabrizi aus Kent, der den Film gedreht hat, erforscht die Rolle der kommerziellen Fischerei im Bezug zum weltweiten Fischsterben. Sein Fazit: Er fordert ein Ende der Fischereisubventionen und die Einrichtung von Fangverbotszonen, um ein Drittel der Ozeane bis 2030 zu schützen sowie, dass Menschen sich für eine mehrheitlich pflanzliche Ernährung entscheiden.
Der Film gibt nicht nur Antworten – sondern hinterlässt auch Fragen. Wie soll nachhaltige Fischerei aussehen? Wenn die Fischerei stark reduziert wird, was würde mit den Gemeinden passieren, die von dieser Arbeit abhängig sind?
Doch was Seaspiracy ohne Frage gelungen ist: Bewusstsein für die Überfischung schaffen. Die Doku hat eine kritische Diskussion über die wahren Kosten des Konsums von Fisch und Meeresfrüchten ausgelöst. Sie beleuchtet Vorwürfe moderner Sklaverei und zeigt das Risiko auf, mit dem die Überfischung unsere Klimakrise beschleunigt.
Bei all der Kritik lohnt es sich, die schockierendsten Statistiken noch einmal auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
1. Haie töten zwölf Menschen pro Jahr. Menschen töten 11.000 bis 30.000 Haie pro Stunde.
Der Mythos, dass Haie generell gefährlich für Menschen sind, hält sich hartnäckig. In Wirklichkeit ist es aber genau andersherum.
Allein durch Beifang werden jährlich bis zu 50 Millionen Haie getötet, was bedeutet, dass sie bei der Jagd auf andere Fische versehentlich aus dem Meer gefischt werden. Die Dokumentation erklärt, dass das Ökosystem des Ozeans ohne Haie und die anderen Fische, die an der Spitze der Nahrungskette stehen, nicht überlebensfähig wäre. Deshalb ist es durchaus besorgniserregend, dass 100 Millionen Haie pro Jahr getötet werden.
Unser Urteil:Wahr
2. Fischernetze machen 46 Prozent des Plastiks im großen Pazifischen Müllteppich aus.
Der Große Pazifische Müllteppich ist dreimal so groß wie Frankreich und weist eine hohe Konzentration an Plastik auf. Er befindet sich zwischen Hawaii und Kalifornien und ist mit allen Arten von Plastik gefüllt — insbesondere den Überresten der Fischerei.
Die Behauptung über Fischernetze in diesem Bereich sind jedoch umstritten. Die von 2018 zitierte Studie bezog sich auf schwimmendes Plastik und berücksichtigte nicht Mikroplastik, die winzigen sinkenden Partikel, die meist für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Da diese in der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden, ist nicht klar, welchen Anteil sie insgesamt in diesem Bereich ausmachen. Für den Ozean als Ganzes ergab eine Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace von 2019, dass Fischernetze wahrscheinlich zehn Prozent des Plastikmülls ausmachen.
Es war eine Diskussion, die es in das britische BBC Radio 4 Programm schaffte, wobei die Statistik von dem Klimaaktivisten und Seaspiracy-Mitarbeiter George Monbiot erläutert wurde.
Unser Urteil:Teilweise wahr — Fischernetze machen 46 Prozent des schwimmenden und sichtbaren Plastikmülls aus.
3. Plastikstrohhalme sind kein nennenswertes Problem für die Weltmeere.
Plastikstrohhalme machen nur 0,03 Prozent des Plastikmülls in den Meeren aus, heißt es in der Doku.
Laut BBC beruht diese Aussage auf zwei Studien, auf deren Basis eine Berechnung angestellt wurde. Wie genau die Schätzungen sind, können wir nicht beurteilen. Was allerdings stimmt: Die meisten halten Plastikstrohhalme für ein deutlich größeres Problem, als es tatsächlich ist. Die Überfischung der Meere ist hingegen eine weitaus ernstere Bedrohung für die Ozeane – das Bewusstsein dafür ist allerdings noch viel zu gering.
Unser Urteil:Wahr
4. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Ozeane bis 2048 leer sein.
Das ist wahrscheinlich die umstrittenste Aussage des Films.
Boris Worm, der die Studie 2006 verfasst hatte, auf der diese Behauptung basiert, hat sich inzwischen geäußert: Die Forschungsergebnisse seien veraltet und sollten nicht genutzt werden, um heute Schlussfolgerungen zu ziehen. Einige schlussfolgerten daraus, dass die Behauptung der “leeren Meere” damit falsch sei. Das ist allerdings nicht das, was der Professor sagen wollte. Vielmehr hat er darauf verwiesen, dass es neuer Studien bedarf, um Hypothesen anzustellen.
“Wir sind keine Wissenschaftler*innen und haben es auch nicht behauptet”, war Tabrizis Antwort. “Doch trotz einiger Verwirrungen über diese spezifische Aussage, ist der Gesamtzustand der Fischerei katastrophal.”
Unser Urteil: Kein belegbarer Fakt
5. Die Fischereiindustrie erhält jährlich 35 Milliarden US-Dollar (rund 29,08 Milliarden Euro) Subventionen.
35 Milliarden!? Klingt schon viel. Doch um die Dramatik noch deutlicher zu machen, wird in der Doku eine weitere “Tatsache” herangezogen: Es bräuchte nur 20 Milliarden US-Dollar (rund 16,62 Milliarden Euro) pro Jahr, um den Welthunger zu beenden. Klingt paradox – und das ist es vielleicht auch. Dennoch muss aber beides getrennt voneinander betrachtet werden.
Die meisten Subventionen für die Fischerei kommen aus den USA, der EU, Korea, Japan und China und beliefen sich laut einer Studie im Jahr 2018 auf 35,4 Milliarden US-Dollar (rund 29,41 Milliarden Euro). Laut den Vereinten Nationen (UN) wird für jedes fünf US-Dollar teure exportierte Fischprodukt ein US-Dollar subventioniert.
Und was den Welthunger angeht, ist es wichtig zu wissen, dass diese Behauptung von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) aus dem Jahr 2008 stammt. Auch wenn Schätzungen stark schwanken, gehen aktualisierte Forschungen der FAO und anderer im Jahr 2020 davon aus, dass die Zahl näher bei 33 Milliarden US-Dollar (rund 27,41 Milliarden Euro) pro Jahr liegt — was immer noch weniger ist, als die Subventionen für die Fischereiindustrie. Auch wenn sich Subventionen nicht 1:1 übertragen lassen, um den Welthunger mit einem Fingerschnippen zu beenden, darf man schon die Frage aufwerfen, ob die Gelder nicht nachhaltiger eingesetzt werden könnten.
Unser Urteil:Wahr
Trotz der Ergebnisse dieses Fact-Checks ist eindeutig, dass unsere Ozeane im Plastikmüll ersticken und wir jetzt handeln müssen, um unseren Planeten zu retten. Fordere hier die Staats- und Regierungschef*innen dazu auf, sich aktiv gegen die Klimakrise einzusetzen.