Die Welt ist nicht auf dem Weg, die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu erreichen. Viel eher könnte es bis zum Jahr 2322 dauern.
Ja, richtig gelesen. Laut einem Bericht von UN Women, der im September 2022 veröffentlicht wurde, könnte es fast 300 Jahre dauern, bis die vollständige Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist, wenn das derzeitige Tempo beibehalten wird (sprich: es geht viiiiel zu langsam voran).
Die Pandemie, Kriege und Konflikte, die Klimakrise und ein harter Gegenschlag gegen die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Rechte von Frauen verschlechtern die Aussichten für die Gleichstellung weiter. Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor verbreitet; globale Gesundheits-, Klima- und humanitäre Krisen haben das Gewaltrisiko weiter erhöht, vor allem für die am meisten gefährdeten Frauen und Mädchen.
Etwa in Afghanistan und den USA wurden Frauen und Mädchen Rechte entzogen, die ihre Mütter und Großmütter einst hatten – das heißt: in manchen Ländern machen wir keine Fortschritte beim Thema Gleichberechtigung, sondern Rückschritte.
In Afghanistan haben die Taliban jungen Frauen den Besuch von weiterführenden Schulen und Universitäten verboten und die Welt damit weiter von der Erreichung des Global Goals 5 zur Gleichstellung der Geschlechter entfernt. Im Iran stehen Frauen und Mädchen im Mittelpunkt eines landesweiten Aufstands, der nicht nur ein Ende der Kopftuchpflicht, sondern auch der Islamischen Republik selbst fordert. In den USA hat der Oberste Gerichtshof das Grundsatzurteil Roe v. Wade aufgehoben, das das Recht auf Abtreibung in den USA geschützt hatte. Seitdem haben mindestens 13 Bundesstaaten Abtreibung verboten, was bedeutet, dass Amerikaner*innen in diesen Staaten mit regressiven Anti-Abtreibungsgesetzen jetzt weniger Menschenrechte besitzen als in autoritären Regimen wie Saudi-Arabien.
Hier sind 13 schockierende Fakten darüber, wie es heute um die Geschlechterungleichheit weltweit steht.
1. Nicht ein einziges Land auf der Welt hat die Gleichstellung der Geschlechter bisher erreicht
Auf globaler Ebene sind seit der Unterzeichnung der Global Goals im Jahr 2015 kaum Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter zu verzeichnen.
Ein Drittel der Länder hat seitdem keine Fortschritte gemacht. In 18 Ländern hat sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verschlechtert. Am drastischsten sind die Rückschritte in Venezuela, Afghanistan, Algerien, Belarus, Kuwait und Ecuador.
Die Schlusslichter in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter im Jahr 2022 waren Sudan, Jemen, Afghanistan und Tschad.
Prozentual die meisten Kinderbräute gibt es in Niger (76 Prozent), in der Zentralafrikanischen Republik (61 Prozent), im Tschad (61 Prozent), Mosambik (53 Prozent), Mali (54), Burkina Faso (52), dem Südsudan ( 52 Prozent) und Bangladesch (51 Prozent).
Neben Zwangsheiraten weist der Südsudan auch eine der höchsten Raten bei Müttersterblichkeit auf.
Im Tschad führt die Kinderheirat bei Mädchen dazu, dass ihre Bildung drastisch eingeschränkt wird und das Land eine der höchsten Raten an Frühgeburten hat. Jemenitische Frauen dürfen ohne die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds weder heiraten noch medizinische Versorgung in Anspruch nehmen und haben nicht das gleiche Recht auf Scheidung oder Sorgerecht für ihre Kinder. Das Rechtssystem enthält nur wenige Bestimmungen zum Schutz von Frauen, die häusliche und sexuelle Gewalt erfahren. Dadurch erhöht sich auch die Gefahr, dass Frauen Opfer von sogenannten Ehrenmorden werden.
2. Mehr als 380 Millionen Frauen und Mädchen leben in extremer Armut
Mehr Mädchen und Frauen als die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten müssen weltweit mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen. Noch schlimmer ist der Blick in die Zukunft: Wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, werden im Jahr 2030 in Afrika südlich der Sahara mehr Frauen und Mädchen in extremer Armut leben als heute. Das ist nicht die Richtung, in die sich die Welt entwickeln sollte.
Die Mehrheit der ärmeren Menschen in der Welt sind nämlich Frauen. Warum? Weil Frauen nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer, die Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu machen, zu arbeiten oder Eigentum zu besitzen.
3. Mehr als 1,2 Milliarden Frauen und Kinder leben an Orten, an denen sie keinen Zugang zu sicheren Abtreibungen haben
Der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ist ein zentraler Bestandteil derreproduktiven Gesundheit und reproduktiven Rechte (SRGR) – ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der Gleichstellung der Geschlechter und der Überwindung extremer Armut.
Dennoch sind Abtreibungen in mehreren Ländern nach wie vor illegal oder eingeschränkt. Laut UN Women leben mehr als 1,2 Milliarden Frauen und Mädchen im reproduktiven Alter (15-49) in Ländern und Gebieten, in denen der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt ist und 102 Millionen leben an Orten, an denen Schwangerschaftsabbrüche gänzlich verboten sind.
Unsichere Schwangerschaftsabbrüche sind eine der häufigsten, aber vermeidbaren Ursachen für Müttersterblichkeit. Schätzungsweise 25 Millionen unsichere Schwangerschaftsabbrüche finden jedes Jahr statt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 13,2 Prozent der Müttersterblichkeit die Folge von unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen.
Ungeplante Schwangerschaften können Frauen und Mädchen auch daran hindern, ihre Ausbildung und ihre berufliche Laufbahn fortzusetzen, was sich wiederum auf ihr Einkommen auswirkt.
4. 12 Millionen Mädchen werden jedes Jahr verheiratet
Kinderheirat ist die formelle (oder informelle) Heirat eines Kindes unter 18 Jahren. Meistens handelt es sich um die Heirat eines jungen Mädchens mit einem älteren Jungen oder Mann.
Kinderheirat ist in vielen Teilen der Welt immer noch weit verbreitet und wird durch humanitäre Krisen noch verschärft: sei es bei Konflikten, Pandemien oder der Klimakrise – Mädchen aus den ärmsten Haushalten in ländlichen Regionen leiden am meisten darunter.
Einem UN-Bericht zufolge wurde im Jahr 2021 fast jede fünfte Frau im Alter von 20 bis 24 Jahren vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet.
Mädchen in Bangladesch, auch aus wohlhabenden Familien, werden schon als Kinder zu Ehen gezwungen. Syrische Flüchtlingsmädchen werden verheiratet, bevor sie volljährig sind. Amerikanische Mädchen aus christlichen Familien werden Opfer von Kinderheirat. Und Mädchen, die in Myanmar in Armut leben, werden mit älteren Männern in China verheiratet.
Damit Kinderehen bis 2030 Geschichte sind, müssten die Fortschritte 17-mal schneller sein als in den letzten zehn Jahren.
5. Alle 11 Minuten wird eine Frau von einem Familienmitglied getötet
Von der Ermordung von Sarah Everard in Großbritannien durch einen Polizeibeamten bis hin zu einer 19-Jährigen, die in Indien in Brand gesteckt wurde, nachdem sie die Annäherungsversuche ihres Angreifers zurückgewiesen hatte – Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist in der ganzen Welt allgegenwärtig.
Aber nicht nur durch die Gewalt durch Fremde sind Frauen und Mädchen in Gefahr, sondern vor allem durch diejenigen, die ihnen am nächsten stehen: Weltweit waren im Jahr 2021 mehr als jede zehnte Frau und jedes zehnte Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren sexueller und/oder körperlicher Gewalt durch einen Lebensgefährten, Mann, Affäre oder anderen Partner ausgesetzt.
6. Es gibt mehr Frauen und Mädchen, die gewaltsam vertriebene wurden, als je zuvor
Rund 44 Millionen Frauen und Mädchen wurden bis Ende 2021 durch Klimakrise, Krieg, Konflikte oder Menschenrechtsverletzungen vertrieben – ein Rekordwert.
Für Frauen ist die Vertreibung erst der Anfang vieler Probleme. Sie verlieren oft ihr Vermögen, ihre Lebensgrundlage und den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Außerdem sind sie einem größeren Risiko von Gewalt, Menschenhandel und sexuellem Missbrauch ausgesetzt.
7. 130 Millionen Kinder weltweit besuchen keine Schule
Rund um die Welt kommen Mädchen zu kurz, wenn es um Bildung geht. Ein Drittel der ärmsten Mädchen der Welt zwischen 10 und 18 Jahren hat noch nie eine Schule besucht, und in ländlichen Gebieten besuchen 61 Prozent der Mädchen keine weiterführende Schule.
Auch die COVID-19-Pandemie führte bei Mädchen zu mehr Lernverlusten als bei Jungen. Für sie hat sich dadurch das Risiko für Kinderarbeit, geschlechtsspezifischer Gewalt, Frühverheiratung und Schwangerschaft zusätzlich stärker erhöht.
Dennoch ist die Bildung von Mädchen für praktisch jeden Aspekt der Überwindung extremer Armut von entscheidender Bedeutung. Wenn Mädchen eine qualitativ hochwertige Bildung erhalten, profitieren alle Bereiche ihres Lebens und die Gesellschaft, in der sie leben, davon. Wenn Mädchen zur Schule gehen, unterstützt dies das Wirtschaftswachstum, fördert den Frieden und trägt zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Frauen, die eine Sekundarschulbildung abschließen, erzielen ein höheres Einkommen. Jedes zusätzliche Schuljahr steigert das Einkommen eines Mädchens als Erwachsene um bis zu 20 Prozent.
8. Frauen leisten weltweit Milliarden unbezahlter Stunden für Kinderbetreuung
Das bisschen Abwasch macht sich von allein – oder etwa doch nicht? Nicht nur, aber vor allem Frauen und Mädchen, die in Armut leben, werden durch die Kinderbetreuung und Hausarbeit von Schule, Ausbildung oder Beruf ferngehalten und haben dadurch auf dem Arbeitsmarkt nicht die gleichen Chancen wie Männer.
Dieses Phänomen wird auch als unbezahlte Betreuungs- oder Care-Arbeit bezeichnet. Unerkannt und unterbewertet fällt diese unsichtbare Arbeit größtenteils Müttern bzw. Frauen im Allgemeinen zu.
Die Pandemie hat dieses Phänomen, wie die meisten Dinge, noch verschlimmert. Im Jahr 2020 führten Schließungen von Schulen, Vorschulen und Kindertagesstätten zu schätzungsweise 512 Milliarden zusätzlichen Stunden unbezahlter Kinderbetreuung und Hausarbeit für Frauen weltweit. Das sind über 57.000 Jahrzehnte unbezahlter Arbeit.
9. Fast eine von drei Frauen weltweit war 2021 von Ernährungsunsicherheit betroffen
Die Welt erlebt nach vielen Jahren des Fortschritts nun wieder eine wachsende Hungerkrise. Das ist die verheerende Folge von Konflikten, Klimakrise und andemie – und nicht zuletzt auch dem Krieg in der Ukraine, der nun Millionen Menschen in eine Hungersnot stürzen könnte.
Frauen sind häufiger von Ernährungsunsicherheit betroffen als Männer, und die Kluft zwischen den Geschlechtern wird immer größer. Im Jahr 2021 war weltweit fast eine von drei Frauen von mäßiger oder schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen – und es wird nur noch schlimmer werden, wenn nicht sofort etwas unternommen wird.
10. Es könnte weitere 286 Jahre dauern, bis diskriminierende Gesetze gegen Frauen und Mädchen abgeschafft werden
Gesetze, die die Gleichstellung der Geschlechter verankern (z. B. gleiche Bezahlung von Männern und Frauen für gleiche Arbeit), die Diskriminierung von Frauen verbieten und gleiche Rechte garantieren, sind entscheidend. In vielen Ländern gibt es jedoch noch erhebliche Lücken, und beim derzeitigen Tempo kann es bis zu 286 Jahre dauern, bis diese rechtlichen Rahmenbedingungen gesichert sind.
11. Nur eine von drei Manager*innen oder Vorgesetzten ist eine Frau
Die gläserne Decke hält sich weiterhin hartnäckig, und das wird auch noch eine Weile so bleiben – 140 Jahre, um genau zu sein, bis die Frauen bei dem derzeitigen Tempo des Wandels die Parität erreichen, so der UN-Bericht.
12. Nur 26,4 Prozent der Parlamentssitze sind von Frauen besetzt
Im Juli 2022 hatten Frauen weltweit etwas mehr als ein Viertel der Parlamentssitze inne. In 23 Ländern hatten sie weniger als 10 Prozent der Sitze inne.
Daran wird sich so schnell nichts ändern, denn eine Gleichstellung zwischen den Geschlechtern wird hier frühestens für das Jahr 2062 erwartet.
13. Frauen verdienen nur 77 Cent für jeden Dollar, den Männer verdienen
Auch wenn sich das globale Geschlechtergefälle beim Einkommen zwischen 2021 und 2022 leicht verringert hat, verdienen Frauen im Laufe ihres Arbeitslebens noch immer deutlich weniger Geld als Männer.
Schuld daran sind unter anderem geschlechtsspezifische Lohnunterschiede, ungleiche Karriereverläufe und geschlechtsspezifische Unterschiede bei finanziellem Wissen. So liegt das sogenannte Gender Wealth Gap bei elf Prozent, bei fachspezifische und technischen Berufen verdreifacht es sich auf fast auf 31 Prozent, und bei leitenden Führungspositionen und auf Managerlevel klafft die Lücke um ganze 38 Prozent, so das Weltwirtschaftsforum.