Namibia war schon immer ein Teil ihres Lebens. Bereits als Kind begleitete Lena Palm ihre Mutter auf zahlreichen Forschungsreisen durch das Land, dem sie heute ihr Leben widmet. Nach dem Abitur kehrt sie für sechs Monate zurück und hilft als Freiwillige in einem Kinderheim in Katutura, einem ehemaligen Township der Stadt Windhoek in Namibia, aus. In dieser Zeit lernt sie viel über Rassismus, Armut und Hoffnung.
Zurück in Deutschland verspürt sie vor allem eines: Tatendrang. Der Kontrast ihres eigenen Lebens zu den Lebensumständen der Kinder in Namibia ruft bei ihr das Bedürfnis hervor, mehr zu helfen. Dann tut sie im Februar 2015 als Anfang-20-Jährige etwas, dass nicht viele Menschen tun: Sie gründet eine eigene Hilfsorganisation. In ihrem Familien- und Freundeskreis in Namibia findet Lena Palm die Unterstützung, die sie braucht, um Wadadee Cares ins Leben zu rufen.
Seitdem betreibt und unterstützt sie mit Volontär*innen aus der ganzen Welt und lokalen Mitarbeiter*innen in Katutura verschiedene Projekte, darunter Vorschulen, Kinderheime, Nachmittagsbetreuungen, Kindergärten und Suppenküchen. All diese Initiativen kommen nicht nur den Erwachsenen in der Gemeinde zugute, sondern vor allem den Kindern. Kinder, die sonst oft kein Dach über dem Kopf, nicht genug zu essen hätten oder keine Schule besuchen könnten. Um bedürftige Kinder zu versorgen, arbeitet Wadadee Cares mit lokalen Partnerorganisationen zusammen.
Für ihr Engagement wurde Lena Palm im Dezember 2019 mit dem Ehrenpreis der “Ein Herz für Kinder“-Spendengala ausgezeichnet. Damals konnte sie ebenso wie der Rest der Welt nicht wissen, dass sich ihre Arbeit in Katutura grundsätzlich verändern wird. Hier spricht sie mit uns über ihre Motivation, die Auswirkungen der Coronakrise vor Ort und über das Leben, das sie sich für ihre Kinder wünscht.
Wadadee stammt aus der Sprache der Damara – einer namibischen Bevölkerungsgruppe –
und bedeutet so viel wie "It's everybody's" oder "Es ist für alle". Historisch gesehen hat Katutura bis heute einen sehr negativen Ruf, weil hier die südafrikanische Apartheidspolitik Einzug erhielt. Dagegen möchten wir etwas tun, damit die Kinder und Jugendlichen, die dort aufwachsen, trotz ihrer Herkunft den Mut und die Möglichkeiten haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, um etwas zu verändern.
Jeder kann etwas tun, um die Lebenssituation der vielen bedürftigen Kinder Namibias zu ändern. Egal welche Sprache du sprichst, egal welche Hautfarbe du hast und egal ob du arm oder reich bist – bei uns sind alle willkommen und können sich unserer Mission anschließen.
Ich denke, dass Bildung das höchste Gut in unserer Gesellschaft ist und bei den Kleinsten anfängt! In Namibia besteht zwar Schulpflicht, aber es gibt nicht genügend Schulplätze für alle Kinder in Katutura. Daher haben viele der Kinder nicht die Möglichkeit zur Schule zu gehen, besonders dann nicht, wenn sie kein Englisch sprechen.
Hier kommen die privaten Initiativen ins Spiel, mit denen wir zusammenarbeiten und die einen Großteil aller Kinder in Katutura auf die Schule vorbereiten, sie in Englisch unterrichten und sichergehen, dass sie einen Schulplatz erhalten. Ohne diese Kindergärten und Vorschulen wäre vielen Kindern der Zugang zu Bildung gänzlich verwehrt. Ohne Bildung kann kein Kind weit kommen. Was dann droht, ist der verheerende Kreislauf von Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Krankheit.
Von Hunger und Sprachbarrieren über Mittellosigkeit bis hin zu Krankheit, Rassismus und Gewalt ist da eigentlich alles dabei. Ich glaube die größte Hürde für viele Kinder hier ist die Annahme, dass sie es sowieso nicht schaffen können, der Armut zu entfliehen. In der Gesellschaft wird oft das Bild vermittelt, dass in Katutura zu leben etwas Schlechtes ist und man daher keine Chance auf Bildung und einen guten Job hat. Wir möchten daher den Kindern, aber auch den älteren Generationen zeigen, dass es okay ist aus Katutura zu kommen und dass man sogar stolz darauf sein kann.
Traumatische Erlebnisse in der Kindheit wie Gewalt und Vergewaltigung spielen aber natürlich auch eine große Rolle. Was nützt es einem jungen Mädchen, auf eine gute Schule zu gehen und die beste Ausbildung zu erhalten, wenn sie von einer Vergewaltigung so traumatisiert ist, und dadurch nicht dazu in der Lage sein wird, ein normales Leben zu führen? Besonders im vergangenen Jahr haben wir uns diesem Thema näher gewidmet und versuchen durch enge Zusammenarbeit mit Psycholog*innen und Therapeut*innen unsere Kinder ganzheitlich zu fördern und dabei auch die mentale Gesundheit nicht zu vergessen.
Die Namibische Regierung hat frühzeitige Interventionen beschlossen: Schulen, Kindergärten, Vorschulen und Krippen bleiben seit dem 14. März 2020 bis voraussichtlich Anfang Juli geschlossen. Für Kinderheime wurde veranlasst, dass die Kinder soziale Kontakte außerhalb ihrer Einrichtung unterlassen müssen. Diese Regelungen haben wir selbstverständlich aufgrund unserer Verantwortung gegenüber unserer Kinder, unseren Mitarbeiter*innen und Projektpartnern mit großer Sorgfalt umgesetzt. Ihre Sicherheit und Gesundheit liegt uns sehr am Herzen und hat oberste Priorität. Die namibische Regierung reagierte damit sehr offensiv und schnell und konnte damit seither eine weitere Ausbreitung verlangsamen.
Ein großes Problem ist allerdings zudem der Wegfall des Tourismus: Wadadee Cares kooperiert mit lokalen Partnern im Tourismus als einkommensgenerierende Maßnahme. Gemeinsam wollen wir nachhaltigen Tourismus als Chance für Arbeitsplätze in Katutura und ein geregeltes Einkommen für unsere Mission nutzen. Dadurch, dass sämtlicher internationaler Tourismus vollkommen eingestellt wurde, ist auch unsere Perspektive und Existenz in Gefahr.
Das geht natürlich nicht nur uns so: 950.000 Menschen in Namibia sind arbeitslos, dies entspricht mehr als der Hälfte der arbeitsfähigen namibischen Bevölkerung. Entsprechend groß ist die wirtschaftliche Not. Besonders der Tourismus ist für Namibia ein unersetzbarer Wirtschaftssektor, der einen großen Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz in Namibia leistet. Diese Schäden werden noch lange spürbar sein.
Vom 28. März 2020 bis zum 05. Mai 2020 lebten wir in Namibia im Lockdown. Im Zuge dessen hat die Deutsche Botschaft in Namibia und das Auswärtige Amt eine Rückholaktion für alle in Namibia gestrandeten Tourist*innen eingeleitet. Dabei haben uns dann aus Sicherheitsgründen auch all unsere Volontär*innen verlassen.
Zudem mussten durch den Lockdown unsere Partnerprojekte vorübergehend komplett schließen oder konnten nur beschränkt arbeiten. Daher haben deutlich weniger Kinder eine tägliche warme Mahlzeit erhalten, die schulische Unterstützung ist gänzlich weggefallen. Die meisten Schulen haben wie auch in Deutschland ein Home Schooling-Programm ins Leben gerufen. Jedoch haben die meisten Familien weder einen Internetanschluss, noch die dafür benötigten Geräte, um ihre Kinder von zu Hause aus zu unterrichten. Viele Kinder sind daher vom Zugang zu Bildung komplett ausgeschlossen gewesen.
Wir versuchen die Familien durch die Ausgabe von Essenspaketen und Schulmaterialien zu unterstützen, jedoch ist dies für uns ohne freiwillige Helfer*innen zur Zeit eine logistische Herausforderung. Auch unsere Partnerprojekte, darunter besonders viele privat initiierte Kindergärten, die teilweise in den Vorgärten von Familien eingerichtet wurden, versuchen wir finanziell zu stützen.
In unserem selbst betriebenen Kinderheim wird wie empfohlen eine präventive Quarantäne und Kontaktbeschränkung durchgeführt, um die besonders gefährdeten Kinder zu schützen. Unsere Kinder versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Wir alle hoffen bald wieder in unseren Alltag zurückkehren zu können.
Darüber hinaus verteilen wir in allen anderen Projekten Atemschutzmasken, Seife und Desinfektionsmittel. In einem Kindergarten, der bis vor wenigen Wochen kaum Zugang zu sauberem Wasser hatte, konnten wir ein Waschbecken zum hygienischen Händewaschen am Eingang des Grundstücks bauen.
Die Kinder, die täglich in einer Suppenküche versorgt werden, dürfen nur noch mit ihren Brotdosen kommen, um sich ihr Mittagessen mit nach Hause zu nehmen oder erhalten Essenspakete für sich und ihre Familien, um so den täglichen Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren.
Ich wünsche für die Zukunft unserer Kids, dass sie genau wie meine jüngeren Geschwister in Deutschland die Freiheit haben, selbst wählen zu können, wie sie leben möchten – und dass ihnen dabei alle Möglichkeiten offen stehen und ihre Hautfarbe und Herkunft keine Rolle spielen.
Ich kann jedem mit einer Vision, nur raten, einfach anzufangen, es einfach zu machen – und selbst wenn es "nur" im Kleinen ist, so ist es doch vielleicht der Anfang von etwas Großem.