Von Shadi Khan Saif

KABUL, 16. August (Thomson Reuters Foundation) – Die Nachrichten und Bilder aus Afghanistan haben uns in den letzten Tagen tief erschüttert. Während die Taliban über das Land hinwegfegen, tauchen bereits erste Berichte auf, wonach Frauen in neu eroberten Gebieten gezwungen werden, Kämpfer zu heiraten, zu Hause zu bleiben und öffentlich ausgepeitscht werden.

Die Taliban haben nur etwas mehr als eine Woche benötigt, um die Kontrolle über das Land zu übernehmen, nachdem die Regierungstruppen, die jahrelang von den USA, Deutschland und anderen Ländern für Milliarden von Dollar ausgebildet und ausgerüstet wurden, im ganzen Land förmlich auseinander fielen.

Eine Rückkehr der Taliban-Herrschaft wie in den Jahren 1996-2001 wird erwartet, auch wenn Vertreter der radikalen islamistischen Gruppierung anderes versprechen. Frauen durften nicht arbeiten, Mädchen nicht zur Schule gehen. Sie mussten ihr Gesicht verhüllen und außerhalb ihrer Häuser von einem männlichen Verwandten begleitet werden. 

Fawzia Koofi ist eine der wenigen Frauen, die an Friedensverhandlungen zwischen den USA, der nun geflohenen afghanischen Regierung und den Taliban beteiligt war. Letztes Jahr wurde ihr von den Taliban in den Arm geschossen. Der Thomson Reuters Foundation erzählt sie, was vor Ort geschieht und wie sie die Zukunft der Frauenrechte in Afghanistan sieht.

Was geschieht in den von den Taliban kontrollierten Gebieten?

In einigen Provinzen sind die Städte bis auf einige wenige Geschäfte komplett geschlossen. In anderen dürfen Frauen nicht ohne einen männlichen Begleiter rausgehen. Mich erreichen auch Berichte über Frauen und Mädchen, die zur Heirat gezwungen werden.

Die Taliban-Kämpfer verhalten sich im Gegensatz zu ihren politischen Offizieren leider genauso wie zu ihrer Zeit an der Macht.

Um vier Uhr morgens erhalte ich Anrufe von Frauen aus Provinzen, die in die Hände der Taliban gefallen sind, die mir schwierige Fragen über das weitere Vorgehen stellen oder um eine Verlegung an einen sicheren Ort bitten.

Wir fordern die internationale Gemeinschaft dazu auf, zu helfen, sie in sicherere Gebiete zu bringen oder ihnen ein gewisses Maß an Schutz zu gewähren.

Haben die Taliban nicht versprochen, das Recht der Frauen auf Arbeit und Bildung im Einklang mit dem Islam zu respektieren?

Ihre Führung hat dies in unseren Verhandlungen behauptet und wiederholt immer wieder dieselben Dinge, aber in der Praxis wissen wir, dass es anders aussieht. Es werden viele Menschen getötet.

Wenn sie wirklich glauben, dass sie nicht mehr dieselben Taliban wie vor 20 Jahren sein werden, dann müssen sie das auch beweisen.

Ihr politisches Büro gibt Erklärungen ab, die keinen Sinn ergeben. Sie stehen in keinem Zusammenhang mit der Situation vor Ort.

Zum Beispiel wurden in Herat die Häuser der weiblichen Parlamentsabgeordneten durchsucht und ihre Autos beschlagnahmt (als die Taliban am Donnerstag die Kontrolle übernahmen).

Was muss getan werden, um die Rechte der Frauen in Afghanistan zu schützen?

Es müssen nicht nur die Rechte der Frauen geschützt werden, sondern die Rechte aller. Wir befinden uns in einer sehr chaotischen Situation in Afghanistan. Wegen des Krieges gibt es keine Rechenschaftspflicht. Menschen werden getötet, ohne dass die Mörder zur Rechenschaft gezogen werden – es gibt außergerichtliche Tötungen, Prozesse ohne Gerichte.

Wir drängen auf einen sofortigen Waffenstillstand, gefolgt von einer politischen Lösung, denn eine militärische ist nicht der richtige Weg.

Selbst wenn die Taliban Kabul kontrollieren, was kommt dann? Glauben sie wirklich, dass das Stabilität bringen wird? Natürlich nicht.

Was halten Sie vom Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan?

Die Welt sollte sich schämen. Schämen für das, was die Länder getan haben, denn nicht nur das afghanische Volk wird leiden, sondern auch sie selbst werden es früher oder später tun.

Jetzt müssen sie ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, um sicherzustellen, dass der Friedensprozess zu einem Ergebnis führt.

Wenn die internationale Gemeinschaft wirklich will, kann sie alles ändern. Erinnern Sie sich an das Jahr 2001? Sie sind hergekommen und nach ein paar Monaten war alles in Ordnung.

Wie sehen Sie die Zukunft der afghanischen Frauen?

Frauen tun noch immer ihr Bestes. In den Medien Afghanistans sind sie nach wie vor präsent. Sie versuchen, darüber zu sprechen, was mit ihnen und ihren Gemeinschaften geschieht.

Wir bleiben weiterhin optimistisch, aber natürlich ist es sehr schwierig. An vielen Orten ist es lebensbedrohlich. Nicht nur für mich, sondern für alle.

Ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der Tausende von Menschen ihre Dörfer und Gemeinden verlassen und nach Kabul kommen. Ich war gestern in einigen dieser (Vertriebenen-)Lager und die Menschen haben mir erzählt, dass ihre Häuser zerstört und die Rechte der Frauen ernsthaft verletzt wurden.

Viele vertriebene Schwangere mussten auf dem Weg nach Kabul ohne medizinische Hilfe Kinder entbinden. Es herrscht eine völlige Gesetzlosigkeit, ein Machtvakuum. Das habe ich noch nie erlebt.

Diese militärischen Extremistengruppen haben keine Angst vor Supermächten oder B52 oder B56 (US-amerikanischen Bombern). Sie haben Angst vor Frauen.

Aber wir werden unseren Kampf fortsetzen. Doch es wird immer schwieriger für die Verteidiger*innen von Frauenrechten.

Dieses Interview wurde gekürzt und bearbeitet und am 16. August aktualisiert, um die Kontrolle der Taliban über Kabul mit einzubeziehen

(Ein Beitrag von Annie Banerji @anniebanerji; Überarbeitet von Katy Migiro; Bitte die 'Thomson Reuters Foundation' als Quelle angeben, wenn dieser Artikel zitiert / geteilt wird. Die Thomson Reuters Foundation liefert Beiträge über humanitäre Hilfe, Frauenrechte, Menschenhandel, Klimawandel und vieles mehr auf http://news.trust.org.)

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