Höher, schneller, weiter. Das Motto, das weite Teile unsere Gesellschaft prägt, gilt oft auch für den Urlaub. Raus aus dem Alltag, ab ans andere Ende der Welt – und zwar so schnell wie möglich. Dass es mit dem Flugzeug in den Urlaub geht, ist schon lange nicht mehr die Ausnahme, sondern eher die Regel.
Zwar wissen einige wohl schon, dass das Fliegen schlecht fürs Klima ist. Doch wie stark es ins Gewicht fällt, ist womöglich eine böse Überraschung. Hier ein kleiner Vergleich: Wenn du ein Jahr lang keine Lebensmittel mehr wegschmeißt, dich nur noch vegan ernährst und ein Jahr kein Auto mehr fährst, sparst du immer noch weniger CO2 ein, als wenn du auf einen Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Los Angeles verzichtest.*
Dennoch schrecken viele davor zurück, auf dem Landweg in den Sommerurlaub zu fahren. Die erhoffte Erholung, so glauben wohl viele, finden wir erst ganz weit weg. Dabei kann auch der Weg ans Ziel schon Teil des Urlaubs sein – und gleichzeitig die Umwelt schonen.
Dieses Kredo prägt der Freiburger Verein Terran e.V., der vor gut einem Jahr gegründet wurde. Der Verein will für das Thema sensibilisieren und dem klimafreundlichen, abenteuerlichen und achtsamen “Reisen ohne Flugzeug” einen Namen geben: terran.
Mit Anselm Pahnke haben wir darüber gesprochen, was wir eigentlich verpassen, wenn wir uns in Rekordzeit von einem Ort an einen ganz anderen “beamen”. Anselm sollte es wissen: Denn er ist allein mit dem Fahrrad drei Jahre lang durch Afrika, Asien und Australien gefahren. Der Dokumentarfilm “Anderswo. Allein in Afrika” begleitet ihn auf seiner Reise. Außerdem ist der Mitglied des Vereins terran und begeisterter Terraner.
Mit eurem Verein wollt ihr ein neues Wort für klimaschonendes Reisen ohne Flugzeug etablieren – ”terran”. Warum braucht es ein eigenes Wort?
Wir benutzen Worte wie “vegetarisch” oder “vegan”. Doch für das Reisen ohne Flugzeug gab es lange kein Wort. Deshalb musste man Umschreibungen oder Verneinungen wählen wie “ich fliege nicht”, was meiner Erfahrung nach oft negativ konnotiert ist. Ganz extrem ist es mit dem Begriff Flugscham - der impliziert: Fühl dich schlecht dafür, dass du fliegst. Wir wollten stattdessen einen bejahenden Begriff kreieren, der für nachhaltiges und bewusstes Unterwegssein steht. Wir wollen terranes Reisen feiern – und unser Klima schonen.
Ab wann darf man sich denn Terraner*in nennen?
Terran kann auch punktuell gedacht werden: Ein terraner Urlaub, ein terranes Jahr, eine terrane Konferenz, zu der alle Besucher*innen klimafreundlich und ohne Flugzeug anreisen. Ich persönlich bin im März 2019 zuletzt geflogen – für eine Fernsehsendung nach Gran Canaria. Das hat mich richtig angekotzt, für einen fünfminütigen Auftritt saß ich zwölf Stunden im Flieger.
Mit den gängigen Jobs und Urlaubstagen könnten viele niemals Europa verlassen, wenn sie “terran” reisen wollen. Denkt ihr auch darüber nach, wie sich das Arbeitsleben ändern sollte, damit das terrane Leben “massentauglich” ist?
Es ist nicht unser primäres Ziel, neue Arbeitsmodelle zu schaffen. Wir haben uns in erster Linie auf die Fahnen geschrieben, den Begriff “terran” zu prägen, einen Trend zu setzen und für das Thema zu sensibilisieren.
Dennoch würde ich Veränderungen in der Arbeitswelt begrüßen, die terranes Reisen leichter machen. Ins Flugzeug zu steigen und für zwei Wochen nach Bangkok zu fliegen, ist für viele normal geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Urlaub so aussehen kann. Ich finde jedoch, dass die Reisezeit zum Reiseziel passen sollte. Zwei Wochen sind für Thailand einfach nicht genug. Eine Lösung wäre, so etwas wie Sabbatjahre in mehr Berufen und Betrieben zu etablieren. Dann hätten Menschen die Chance, einen anderen Teil der Welt kennenzulernen, ohne hektisch hin- und zurückfliegen zu müssen.
Viele Urlauber*innen wollen so schnell es geht raus aus dem Alltag, rein in eine ganz andere Welt. Was übersehen wir dabei?
Wenn wir ein Ziel im Kopf haben, wollen wir da so schnell wie möglich hin. Doch wenn man ganz schnell irgendwo landet, ist man auch ganz schnell überfordert. Man wird konfrontiert mit einem ganz anderen Klima, einer ganz neuen Kultur. Bei mir hat es fünf Monate gedauert, bis ich mich in Afrika wohlzufühlen begann. Wenn man vor der Haustür reist, verkürzt sich diese Umgewöhnungszeit natürlich. Und auch das Unterwegssein an sich, hält oft viele schöne Abenteuer und Geschichten bereit.
Vor der Pandemie vermuteten Expert*innen, dass die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs in den nächsten Jahren rasant steigen würden, da bisher nur ein kleiner Bruchteil der Weltbevölkerung überhaupt fliegt. Glaubst du, wir haben durch die Corona-Pandemie gelernt, klimafreundlicher zu leben?
Viele Unternehmen und Geschäftszweige sind derzeit gezwungen, umzudenken – allen voran die Flugbranche. Von Innovationen und Konsumverzicht profitiert oft auch unser Klima. Und die momentane “Auszeit” tut unserem Planeten augenscheinlich gut.
Bei all dem schwer Verdaulichen, das die Pandemie mit sich gebracht hat, hat sie uns also auch gezeigt, dass vieles anders möglich ist. Ich persönlich genieße zudem mehr als zuvor die kleinen Dinge, die Nähe zur Natur, das Produzieren statt Konsumieren. Ich fürchte dennoch, dass es nach dem Ende der Pandemie eine Trotzreaktion geben könnte und viele erstmal in ferne Länder reisen wollen. Aber ich hoffe, dass die Erkenntnis bleibt, dass ein Urlaub “vor der Haustür” nicht Verzicht bedeuten muss.
*Die Emissionen der Flugreise sind gerundet und stammen von atmosfair.de. Die Pro-Kopf Emissionsangaben aus Ländern beziehen sich auf das Jahr 2015 und stammen von der Europäischen Kommission (2019).