Dr. Agatha Aboe erinnert sich noch an einen bestimmten Tag vor beinahe zwei Jahrzehnten, als sie zum ersten Mal Gemeinden in der nördlichen Region von Ghana besuchte, in denen das Trachom endemisch ist. Dabei handelt es sich um eine Augenkrankheit, die weltweit die häufigste Ursache für Blindheit ist.
“Die Kinder konnten nicht spielen. Selbst der Schulbesuch war für sie ein Problem. Ihre Augen waren rot. Sie hatten Schmerzen”, erklärt sie Global Citizen. Aboe arbeitet in der ghanaischen Hauptstadt Accra als Augenärztin.
Frauen sind bis zu viermal häufiger als Männer von der Augenkrankheit betroffen. Sie haben Probleme bei alltäglichen Aufgaben wie etwa dem Kochen im Sonnenlicht oder dem Gang zum Markt, sind lichtempfindlich und haben starke Schmerzen.
Wiederholte Infektionen mit dem Trachom können über die Jahre dazu führen, dass sich das Augenlid nach innen dreht. Dabei reiben die Wimpern an der Augenoberfläche, was sehr schmerzhaft ist und zu dauerhaften Schäden führen kann. Wird die Krankheit nicht behandelt, kann sie zu einer Sehbehinderung oder sogar zu einer Erblindung führen.
“Ich dachte: ‘Das ist falsch. In der heutigen Zeit sollte niemand mehr an einem Trachom erblinden’”, sagt Aboe. “Als ich in die Trachom-Gebiete reiste, wollte ich alles in meiner Macht stehende tun und andere Menschen mit ins Boot holen, um mit ihnen gemeinsam dazu beizutragen, diese Krankheit in Ghana auszurotten.”
Aboe arbeitete damals für eine internationale gemeinnützige Organisation. Zusammen mit dem ghanaischen Gesundheitsministerium und anderen Organisationen beschloss sie, sich der Aufgabe zu stellen und das Trachom auszurotten.
Dr Agatha Aboe (left) and David Agyemang, Program Manager, Sightsavers (middle) and Emmanuel Asiedu (right) look through patients records book at the Tinkong Clinic during a monitoring program at Akropong, Eastern, Ghana on June 28, 2021.
Dr Agatha Aboe (left) and David Agyemang, Program Manager, Sightsavers (middle) and Emmanuel Asiedu (right) look through patients records book at the Tinkong Clinic during a monitoring program at Akropong, Eastern, Ghana on June 28, 2021.
Das Team führte zunächst eine Grundlagenerhebung durch, um herauszufinden, wie stark die Krankheit in Ghana verbreitet war. Nur so fand sie heraus, wo die größten Baustellen liegen.
“Wir erkannten, dass wir zu den Menschen nach Hause gehen mussten, um alle zu erreichen und niemanden zurückzulassen”, sagt Aboe.
Im Jahr 2002 begann das Team deshalb, Menschen mit Trichiasis trachomatosa, wie das fortgeschrittene Stadium der Krankheit heißt, zu operieren. Durch die OP werden bei Menschen, bei denen die Wimpern bereits an der Hornhaut der Augen reiben, die Wimpern wieder nach außen gedreht.
Die Gesundheitsteams gingen zudem von Haustür zu Haustür. Sie verabreichen den Menschen massenhaft Zithromax, ein Antibiotikum, das die Infektion behandelt und ihre Ausbreitung eindämmt.
Je nachdem, wie stark verbreitet die Infektion in einer Gegend ist, machen sie das jedes Jahr – über einen Zeitraum von einem bis zu fünf Jahren.
Aboe zufolge bekamen eine Million Ghanaer eine Trachom-Behandlung, einige davon mehrfach, weil sie sich erneut infizierten.
“Wenn man nur ein Sandkorn im Auge hat, ist das schon sehr, sehr unangenehm. Können Sie sich vorstellen, eine ganze Wimper im Auge zu haben?” fragt Aboe.
“Bei den Menschen mit Trachom sind viele ihrer Wimpern, manchmal zwölf Stück oder sogar mehr, gebogen und reiben an der Hornhaut… Das sind unerträgliche Schmerzen”, fügt sie hinzu.
Aboe und andere Gesundheitsdienstleister arbeiten daran, Mythen über das Trachom aus der Welt zu schaffen. Sie klären darüber auf, dass die Infektion durch den direkten Kontakt zwischen Schleimhäuten der Augen oder Nasen von infizierten Personen, aber auch durch das gemeinsame Benutzen von Kleidung oder durch Fliegen übertragen wird.
“Viele Frauen, mit denen ich sprach, sagten: ‘Meine Mutter hatte diese Krankheit, und meine Großmutter hatte sie auch.’ Sie denken, dass diese Krankheit in der Familie vorkommt und sie sich automatisch anstecken werden”, sagt sie.
Deshalb erstellen Medienpartner*innen Aufklärungsmaterialien über das Trachom in verschiedenen Sprachen. Aboe hilft dabei, Fokusgruppendiskussionen zu veranstalten und die Menschen darüber zu informieren, wie eine verbesserte Körperhygiene dazu beitragen kann, die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.
Im Jahr 2017 waren die Trachom-Infektionen in Ghana so niedrig, dass das Land eine Arbeitsgruppe zusammengestellt hat, um es der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorzulegen. 2018 erklärte die WHO, dass das Trachom in Ghana kein öffentliches Gesundheitsproblem mehr ist.
Aboe, die bei der Vorlage bei der WHO federführend war, will anderen Ländern helfen, Strategien zu entwickeln, sodass diese das ebenfalls schaffen.
“Was wir in Ghana erreicht haben, können wir auch anderswo schaffen”, sagt sie.
Dr Agatha Aboe (middle) and health workers at the Tinkong Clinic during a monitoring program at Akropong, Eastern, Ghana on June 28, 2021. Photo by Nipah Dennis.
Dr Agatha Aboe (middle) and health workers at the Tinkong Clinic during a monitoring program at Akropong, Eastern, Ghana on June 28, 2021. Photo by Nipah Dennis.
Inzwischen arbeitet Aboe bei der NGO Sightsavers. Dort unterstützt sie 24 Länder in Afrika und Asien, die das Trachom als Erblindungskrankheit ausrotten wollen. Weltweit sind 1,9 Millionen Menschen infolge der Krankheit erblindet.
Aboe ist auch wieder in Gemeinden zurückgekehrt, die sie bei ihrer ersten Reise in die nördlichen Regionen von Ghana besucht hat. Sie sagt, dass sich die Bekämpfung des Trachoms stark verändert habe und führt das auf ihre Arbeit zurück.
“Die Kinder können lernen, ihre Augen sind klar, sie können lesen”, sagt sie. “Das macht mich glücklich.”
Die Serie “The Last Milers” stellt Menschen vor, die mit vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) arbeiten. Indem sie sich für einen gleichberechtigten Zugang zu Präventionsmaßnahmen, Behandlungsmethoden und Informationen einsetzen, unterstützen diese Menschen die Bekämpfung von NTDs in verschiedenen Bereichen.
Diese Serie wurde mit Unterstützung durch die Bill and Melinda Gates Stiftung ermöglicht. Jeder der Beiträge ist redaktionell unabhängig erstellt worden.