Von Geburt an hat Jayne Waithera sich von der Masse abgehoben. Ihre helle, mit Sommersprossen überzogene Haut und ihr platinblondes Haar hat seit jeher die Blicke der überwiegend dunkelhäutigen Menschen um sie herum auf sich gezogen. Nicht mal ihre Eltern sahen ihr ähnlich, zu Hause, in Kenia.

Jayne wurde mit Albinismus geboren, eine angeborene genetische Veränderung der Biosynthese von Pigmenten im Körper, was die Haut, Haare und auch Augen betrifft. Heißt: der Körper produziert kaum oder gar kein Melanin (was quasi einem Farbstoff gleichkommt). Menschen mit Albinismus haben oftmals eine sehr helle Haut, wodurch sie stark anfällig für Sonnenbrand und Hautkrebs sind. Auch die Haare sind sehr hell, mitunter fast weiß und die Augenfarbe hellt so stark auf, dass einige Menschen mit Albinismus zu einer rosa Augenfarbe neigen.

Und auch wenn Albinismus recht selten ist, so kann man es überall auf der Welt antreffen. Allerdings: für Menschen mit Albinismus in Kenia und einigen weiteren ostafrikanischen Ländern bringt diese Veränderung eine tödliche Last mit sich. Denn in diesen Ländern herrscht der gefährliche alteingesessene Aberglaube, dass diese Menschen 'verflucht' sind. Menschen mit Albinismus werden seit jeher verfolgt und sogar getötet, viele sehen sich tagtäglicher Diskriminierung, Armut und sozialer Isolation ausgesetzt.

Jayne Waithera hat sich all dem widersetzt. Sie hat beschlossen, sich weder zu verstecken noch das Leben einer Ausgestoßenen zu führen, sondern aktiv gegen diese Vorurteile und Irrglauben anzugehen. Sie hat beschlossen, nicht aufzugeben.
Und das ist es, was Jayne Waithera wirklich ausmacht. Nicht ihre helle Haut oder ihre Äußerlichkeiten, sondern ihre innere Einstellung, ihr Wille und ihr Ziel, sich gegen Intoleranz aufzulehnen und sich einzusetzen - und das nicht nur für sich selbst, sondern für all die Menschen mit Albinismus weltweit. Und mit gerade mal 29 Jahren hat Jayne Waithera bereits einiges geschafft, um dieses Ziel zu erreichen.

Jayne ist Mitbegründerin der Organisation 'Positive Exposure Kenya', die sich aktiv für Menschen mit Albinismus einsetzt und sich zum Ziel gesetzt hat, Aufklärungsarbeit zu leisten, um die weit verbreitete Einstellung gegenüber Albinismus ein für alle mal zu verändern. Außerdem ist Jayne eine der Protagonistinnen in der von Rick Guidotti inspirierten Dokumentation 'On Beauty', in der wahre innere und äußere Schönheit an Vorbildern wie Jayne und vielen weiteren Protagnisten portraitiert wird.

Jaynes großartige und wichtige Arbeit wurde zudem erst kürzlich mit dem angesehenen 'Mandela Washington Fellowship for Young African Leaders' ausgezeichnet, der inspirierende afrikanische Persönlichkeiten für ihre Errungenschaften auszeichnet. Als Teil dieser Ehrung fliegt Jayne diese Woche nach Washington, wo sie unter anderem auf Präsident Obama treffen wird. 

Hier ist der offizielle Trailer zur Dokumentation 'On Beauty', gefolgt von einem Interview mit Jayne Waithera sowohl über den Film als auch ihre Arbeit, wie sie zur Fürsprecherin für Menschen mit Albinismus wurde und was sie sich von dem Treffen mit Präsident Obama erhofft. 


Interview mit Jayne Waithera

(AnmerkungJaynes Antworten wurden stellenweise zusammengefasst. Das Interview hat im Jahr 2015 stattgefunden.) 

Hans Glick: Wie kamst du zu diesem Film? 

Jayne Waithera: Vor allem über den Mode-Fotografen Rick, den ich 2009 in Indien kennenlernte. Wir trafen uns im Rahmen einer Fortbildung für junge Entrepreneurs für den sozialen Sektor, wo uns beigebracht wurde, welche Methoden wir in unseren Heimatländern anwenden können, um soziale Projekte und Vorhaben zu etablieren, die soziale und ökonomische Lücken in unserer Gesellschaft angehen wollen.

Ich war bereits stark mit dem Thema Albinismus involviert und zu dieser Zeit wurde in den Medien viel über Morde in Afrika an Menschen mit Albinismus berichtet. Ich kam mit Rick ins Gespräch und wir merkten schnell, dass wir mit der gleichen Leidenschaft arbeiteten. Sein Ziel war ebenfalls, die Einstellung der Menschen gegenüber Albinismus zu ändern. Also blieben wir in Kontakt. Und als die Idee mit dem Film reifte, hatte Rick glaube ich schon geplant, mich in Kenia zu besuchen. So sind wir also alle in Kenia zusammen gekommen.  

HG: Die Dokumentation lief auch in den amerikanischen Kinos. Welche Auswirkungen erhoffst du dir von diesem Film? 

JW: Ich denke der Film als visuelles Medium ist ein machtvolles Instrument, denn der Kontext des Films ist ein globales Thema. Er ist nicht rein amerikanisch oder rein afrikanisch bezogen. Und es geht auch nicht nur ausschließlich um Albinismus oder irgendwelche anderen Begebenheiten wie zum Beispiel das Weber Syndrom oder so. Es geht um Menschen und Menschlichkeit, und es geht darum, Einstellungen zu verändern, wie wir Menschen begegnen, gegenüberstehen und behandeln.

HG: Du bist ein großartiger Fürsprecher für Menschen mit Albinismus, unter anderem auch im Rahmen deiner Arbeit mit der Organisation Positive Exposure Kenya. Was hat dich dazu inspiriert?

JW: Warum ich tue was ich tue, ist eine sehr persönliche Sache. Ich bin mit Albinismus geboren, meine Mutter hat mich verlassen, als ich noch ein Kleinkind war. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen und hab lange gedacht, dass sie meine Mutter wäre. 
Und meine Großmutter hatte keine Ahnung was Albinismus ist. Ich meine, selbst heute, 29 Jahre später, versuche ich immer noch ihr zu erklären, was genau Albinismus ist! Sie hat mich liebevoll groß gezogen, keine Frage, aber ohne jegliche Ahnung über das was ich bin.

Ich erinnere ich daran wie ich zur Schule gegangen bin und nie irgendetwas mitgeschrieben habe und dann hinterher Ärger dafür bekam. Aber die Sache war, dass ich nichts sehen konnte und mir nie jemand erklärt hat, warum das so ist. Ich glaube während meiner gesamten Kindheit konnte sich niemand erklären, nicht mal meine Großmutter, warum ich nichts sehen kann. Ich meine, du öffnest deine Augen und alle gehen davon aus, dass du was siehst. Aber die meisten Menschen mit Albinismus haben ein sehr schlechtes Sehvermögen, das man selbst mit einer Brille nicht unbedingt ausgleichen kann. Und das war nur eines der Probleme, mit denen ich mich während meiner Schulzeit konfrontiert sah.

Aus kultureller Sicht wird Albinismus außerdem als etwas Schlechtes angesehen, selbst innerhalb der eigenen Familie. Viele wollen daher nichts mir dir oder mit der Familie, die dieses Kind mit Albinismus großziehen, zu tun haben. Das ist für mich auch ein Hauptgrund [für meine Motivation]. In der Vergangenheit habe ich viele Eltern [von Kindern mit Albinismus] und Menschen getroffen, die zum sehr großen Teil ähnliche Geschichten durchlebt hatten. Die wurden entweder von ihrer Großmutter oder aber von nur einem Elternteil großgezogen, hatten mit ähnlicher Ablehnung zu kämpfen und mit einem Mangel an Informationen innerhalb ihrer Gemeinde. Wenn meine Mutter damals ein Netzwerk gefunden hätte oder eine Gruppe, in der sie Unterstützung gefunden hätte, dann hätte sie vielleicht für mich da sein können oder zumindest zu mir zurückkehren und nach mir sehen können.

Für mich geht es also vor allem um die Erfahrungen, die ich erlebt habe und die mich anspornen, dass andere nicht mehr durch die gleichen Situationen gehen müssen. Denn wir wissen es definitiv besser, wir können nicht tatenlos dabei zusehen wie weiterhin grausame Dinge geschehen. 

HG: Wie geht deine Organisation darin vor, um die Einstellung der Menschen gegenüber Albinismus zu verändern? 

JW: Zum einen haben wir ein Programm, mit welchem wir in die Gemeinden gehen. Wir halten Fotoausstellungen, geben öffentliche Seminare und suchen den Dialog mit den Menschen. Im Grunde genommen wollen wir sicher gehen, dass die Informationen, die über Albinismus existieren, auch echte und richtige Informationen sind, und keine Halbwahrheiten, Irr- und Aberglauben, die in Gemeinden kursieren. Denn ich erinnere mich, als ich klein war, war ich das einzige Kind mit Albinismus in meinem Dorf. Und ich erinnere mich noch gut an all die Blicke die ich bekam. Ich erinnere mich noch sehr gut. Und das sind keine schönen Erinnerungen. Aber wir alle sind Teil einer Gemeinde und daher liegt es an uns, diese Gemeinden aufzuklären.

Ich sehe unsere Arbeit daher als Gewinn für beide Seiten, sowohl für die Gemeinden als auch für Menschen mit Albinismus. Denn gesetzt dem Fall jemand bekommt ein Kind mit Albinismus, können wir jetzt zumindest darauf hoffen, dass niemand sich komplett allein gelassen fühlt. Unsere Mütter damals hatten keine Anlaufstelle. Sie wussten nicht, was zu tun ist und an wen sie sich wenden könnten, es gab keinerlei Informationen. Das ist daher unser Hauptanliegen.

Darüber hinaus arbeite ich aber auch an einer wirtschaftlichen Stärkung. Ziel hier sind vor allem Eltern von Kindern mit Albinismus und Frauen mit Albinismus. Ich meine, mit Blick auf den kenianischen Armutsindex stellt man fest, dass viele von uns einen wirtschaftlich sehr schwachen Hintergrund haben. Ohne eine entsprechende Stärkung gibt es da kaum Auswege. Ich meine, unser gesamtes Leben lang brauchen wir zum Beispiel starke Sonnencreme und regelmäßige Augenkontrollen. Da viele von uns allerdings schon Schwierigkeiten haben, täglich eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu kriegen, fällt so etwas wie Sonnencreme dann nicht mehr unter Prioritäten.

HG: Wirtschaftliche Stärkung klingt nach einem sehr guten Schwerpunkt. Wie genau sieht diese Unterstützung deinerseits aus? 

JW: Vor allem gebe ich Seminare zum Thema Finanz-Management und Unternehmensführung. Und das jeder Euro zählt, so dass ein Bewusstsein dafür entsteht, wie man monatlich Geld zur Seite legen kann. Und von dem Ersparten fließt dann ein Teil in gemeinsame Projekte. Derzeit zum Beispiel engagieren wir uns für ein Gewächshaus-Projekt. Hierfür hat jeder Teilnehmer vorab monatlich zwei bis drei Dollar gespart. Und dann wurde auch viel improvisiert, gemeinsam die Struktur aufgebaut und ich unterstütze dann lediglich zwischendurch, in dem ich Samen kaufe oder technische Hilfe anbiete. Aber die Teilnehmer machen den Großteil der Arbeit und von den Erträgen durch den Verkauf kaufen Sie sich etwas, was sie alle gemeinsam nutzen können. Sonnencreme zum Beispiel. So sind sie nicht auf Spenden angewiesen, sondern können sich ihre eigene Sonnencreme kaufen. 

HG: Du hast vor Kurzem die Mandela Fellowship for Young African Leaders Auszeichnung erhalten. Wie hast du diese Auszeichnung empfunden und was erhoffst du dir davon? 

JW: Es war durchaus eine Konkurrenzsache und es ging um so viele junge afrikanische Menschen, die in ihrer Rolle Vorbilder sind und etwas Gutes für ihre Gemeinden erreichen wollen. Daher hab ich es erst nicht glauben wollen, als ich davon erfuhr. Aber nachdem ich von der Botschaft interviewt wurde, hatte ich plötzlich das starke Gefühl, etwas zu repräsentieren, das vor mir noch niemand so wirklich repräsentiert hat. Daher war es für mich eine große Ehre, das Thema Albinismus auch unter anderen afrikanischen Vorbildern anzuregen. Ich bin sehr dafür, das alles als eine Art Plattform zu nutzen, so dass das Thema auch von anderen in deren Gemeinden getragen wird und Menschen dort für Albinismus sensibilisiert werden. 

HG: Wenn ich richtig informiert bin, triffst du als Preisträgerin auch Präsident Obama. Was wirst du ihm sagen?  

JW: Ich glaube, das wird zwiespältig. Jeder weiß, was mit Menschen mit Albinismus in Afrika passiert. Und ich glaube nicht, dass unsere derzeitigen Regierungschefs zu Hause diesem Thema Priorität geben oder aber die Dringlichkeit sehen. Und das gilt auch für Länder wie Kenia. Menschen mit Albinismus werden immer noch umgebracht, der letzte Mord ist nicht mal ein Monat her. Ich glaube, mich würde daher interessieren was seine Meinung zu all dem ist, was mit den Menschen mit Albinismus in Afrika passiert. Und dann würde ich wissen wollen, was er innerhalb seiner eigenen Regierung tun wird um die Situation zu verbessern. Ich meine, wenn ein Land wie Amerika Sanktionen gegenüber Kenia verhängen würde, das würde schon eine enorme Signalwirkung haben.

HG: Für dich geht dieses Thema nicht nur Kenianer oder Menschen mit Albinismus an. Warum sollte jeder Mensch weltweit sich dafür interessieren und was kann man tun, um das Thema zu unterstützen? 

JW: Albinismus als solches ist in Afrika die gleiche wie in Europa oder in den USA oder sonst wo auf der Welt: schlichtweg ein Mangel an Melanin. Das ist die biologische Erklärung. Aber wenn es um Kultur geht, glaube ich nicht, dass es auch nur ein Land gibt, das frei von sozialer Diskriminierung oder Stigmatisierung ist. Ich meine, noch ist mir kein Mensch mit Albinismus begegnet, der die Meinung vertrat, er fühlt sich zu 100% gesellschaftlich akzeptiert. Es ist also ein globales Problem und es geht wie ich finde darum, dass wir alle verschieden sind und wie wir alle versuchen, irgendwie dazuzugehören und verstanden zu werden. Ich finde, das ist etwas, woran sich jeder beteiligen kann, überall.

Ich persönlich habe für mich beschlossen, dass ich am besten helfen kann, in dem ich als Botschafter fungiere, in dem ich eine positive Einstellung ausstrahle und die Öffentlichkeit über Albinismus aufkläre. Diese Einstellung und diese Aufklärung gebe ich weiter, Mensch für Mensch, das ist mein Ziel. 


Für mehr Informationen über Jayne und ihre Arbeit geht es hier zur Facebook Seite ihrer Organisation Positive Exposure Kenya. 

Editorial

Gerechtigkeit fordern

Schluss mit Aberglauben! Diese Kenianerin klärt die Welt über Albinismus auf

Ein Beitrag von Hans Glick