Die Impfstoffe gegen COVID-19 geben uns Hoffnung, die Pandemie zu bekämpfen und zur Normalität zurückzukehren. Doch das gelingt nur, wenn sie allen Menschen, ganz gleich in welchem Land, zugänglich gemacht werden. Denn in unserer global vernetzten Welt brauchen wir nicht nur die Herdenimmunität in unserem Land, sondern weltweit.
Die meisten Pharmafirmen haben sich jedoch das Recht vorbehalten, die Preise für ihre Impfstoffe selbst festzulegen – oft auf einem extrem hohen Niveau. Das erschwert es einkommensschwachen Ländern, die Kosten der lebensrettenden Impfungen zu zahlen und ausreichend Impfungen zu bestellen.
Wissenschaftler*innen und medizinische Expert*innenen haben die globale Pharmaindustrie aufgefordert, den Impfstoff zu einem erschwinglichen Preis anzubieten und das Menschenleben über den Profit zu stellen. Doch bisher sind die meisten Pharmaunternehmen dieser Aufforderung nicht nachgekommen.
Um einkommensschwachen Ländern trotzdem zeitnah Impfungen zur Verfügung zu stellen, wurde die COVAX-Initiative ins Leben gerufen, eine Einkaufsgemeinschaft für Impfstoffe, an der sich mehr als 190 Nationen und Territorien beteiligen. Geleitet wird COVAX von der Impfallianz Gavi, der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Geldgeber sind unter anderem die USA, die EU und insbesondere auch Deutschland. In Ghana und der Elfenbeinküste starteten nun mit insgesamt 1,1 Millionen Impfdosen die ersten Impfaktionen. Doch neben logistischen Fragen, die geklärt werden müssen, scheitert die ausreichende Versorgung vor allem am Geld: Laut COVAX fehlen 22 Milliarden US-Dollar.
Global Citizen sprach mit Dr. Samira Guennif, einer französischen Wirtschaftswissenschaftlerin, die sich auf pharmazeutische Patente und den Zugang zu Medikamenten und Gesundheitsversorgung in einkommensschwachen Ländern spezialisiert hat. Mit ihr sprachen wir darüber, warum ein fairer Preis für Impfungen so entscheidend ist, um die Pandemie zu beenden.
Global Citizen: Wie werden die Impfstoffpreise festgelegt?
Samira Guennif: Es gibt ein paar entscheidende Elemente, die den Preis bestimmen, bevor ein Produkt auf den Markt kommt. Der Preis ist ein kompliziertes Konstrukt, der maßgeblich von den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, der Produktwirksamkeit und dem Verkaufsvolumen abhängig ist. Es geht dabei auch um Verhandlungen zwischen öffentlichen Behörden, Arzneimittelbehörden und Unternehmen - aber normalerweise finden diese Verhandlungen in einem Kontext statt, in dem der Informationsaustausch asymmetrisch ist. Obwohl das Produkt von einer öffentlichen Behörde reguliert wird, finden die Verhandlungen derzeit in einem Kontext statt, in dem die Firmen eine enorme Verhandlungsmacht haben. Und diese Situation kann zu höheren Preisen führen.
Die großen Pharmakonzerne wurden von einigen dazu aufgefordert, die mit den Impfstoffen verbundenen geistigen Eigentumsrechte öffentlich zu teilen, um den zu helfen, die Pandemie so schnell wie möglich zu beenden. Wie hängt ein Patent mit den Kosten eines Impfstoffs zusammen?
Sobald eine Firma ein Patent erhält, wird dieses Unternehmen für 20 Jahre das einzige sein, das das Produkt produzieren und vermarkten darf. Dadurch entsteht ein Monopol, was bedeutet, dass die Preise unweigerlich steigen.
Dies ist ein ziemlich wichtiges Thema im Zusammenhang mit der Pandemie. Denn wenn die Länder in der Lage sind, Impfstoffpatente zu vermeiden, könnte die Produktion gesteigert und hohe Preise vermieden werden. Mit anderen Worten: Diese Frage ist nicht so ‘individuell’, wie sie scheint.
Wie sehe ein fairer Preis aus?
Es ist definitiv kein globaler Preis. Eine Firma sollte nicht entscheiden dürfen: "Der Preis ist dieser Preis und der wird für den Norden und für den Süden festgelegt." Wir brauchen stattdessen eine differenzierte Preisgestaltung. Die Industrieländer würden akzeptieren, einen höheren Preis zu zahlen als die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Wie würde ein niedriger Preis für Impfstoffe einkommensschwachen Ländern helfen?
Wir wissen, dass Gesundheit entscheidend für die Entwicklung ist – besonders für einkommensschwache Länder... Es ist sehr wichtig, dass Länder mit hohem Einkommen in [globale] Gesundheit investieren, um die Entwicklung [von einkommensschwachen Ländern] zu gewährleisten. Wir sind mit dafür verantwortlich, dass [diese Länder] die aufgestellten Global Goals der Vereinten Nationen – [und insbesondere Ziel 4] für Gesundheit und Wohlbefinden – erreichen.
Wie können wir Anreize für Pharmaunternehmen schaffen, damit sie Impfstoffe zu einem erschwinglichen Preis anbieten?
Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit auf globaler Ebene, weil einige Länder viele Impfdosen kaufen und andere eine stärkere Produktionskapazität haben. Das wird so hingenommen: Wir haben für die Entwicklung dieses Produkts bezahlt, und wir können nicht zulassen, dass dies geschieht. Ich denke auch an die einkommensschwachen Länder, die keine Möglichkeit haben werden, [ohne] diese Art von Produkt zu überleben - außer [mit etwas Hilfe der wohlhabenderen Länder].
Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit leicht angepasst.