Am 13. Oktober wurde ich in den sozialen Medien auf einen Klimaprotest in London aufmerksam gemacht: Zwei Aktivistinnen hatten offenbar Tomatensuppe auf ein Gemälde von Vincent Van Gogh in der National Gallery gekippt.

Zuallererst: Dem Gemälde ist absolut nichts passiert – und das wussten die beiden Aktivistinnen auch.

Aber zurück zur eigentlichen Aktion.

Ziemlich cool, dachte ich, denn das ist doch etwas, was die Leute dazu bringt, über die politische Natur der Klimakrise nachzudenken, während sie sonst in ihrem Alltag feststecken. Doch bald sollte ich lernen, dass das eine untypische Reaktion war.

In den nächsten Stunden und Tagen habe ich durch unzählige Posts und Memes gescrollt, in denen die Aktion als hohle Performance verspottet wurde, die der Klimabewegung nicht nur nicht geholfen, sondern sie sogar zurückgeworfen habe (argumentiert wurde immer in die Richtung: Vincent van Gogh selbst bohrt keine Löcher in den Boden oder reibt Robben mit Öl ein, warum sollte man also ihn angreifen? Ach, und tot ist er übrigens auch schon ein paar hundert Jahre.)

Was bei dieser Argumentation vergessen wird:
Die Aktion war letztlich erfolgreich!

Die unzähligen Posts, Memes und Newsartikel zeigen, dass durch diesen lokalen “Akt zivilen Ungehorsams” weltweit das Bewusstsein für die Klimaschutzkampagne gegen fossile Brennstoffe geschärft wurde. Und wenn man noch etwas genauer hinsieht, erkennt man, dass das Ganze zudem eine gut geplante Kritik war.

Die beiden Aktivistinnen – Phoebe Plummer, 21 und Anna Holland, 20 – arbeiten für die Organisation Just Stop Oil, die ein einfaches Ziel verfolgt: die britische Regierung dazu zu bringen, keine neuen Öl- und Gasinfrastrukturen zuzulassen. 

Just Stop Oil setzt dabei auf eine Vielzahl von Taktiken, um Druck auf die Regierung auszuüben. Denn diese hat in den letzten Monaten die Vergabe von Öl- und Gaslizenzen noch beschleunigt, obwohl sie sich dazu verpflichtet hat, 2030 das Netto-Null-Emissionsziel zu erreichen. Laut der Internationalen Energieagentur ist es dafür zwingend notwendig, eben keine neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe mehr zu genehmigen. Verständlich also, dass so manche*r Klimaaktivist*in auf die Idee kommen könnte, sich auch nicht länger an die Spielregeln zu halten. 

Dazu passt, dass die Aktion von Donnerstag nicht die erste dieser Art war. Allerdings hat sie bisher eindeutig die meiste Aufmerksamkeit erregt (und die heftigste Reaktion).  

"Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?" fragte Plummer unmittelbar nach dem Stunt, wie aus einem Video hervorgeht, das die Aktion aufzeichnet. "Ist es mehr wert als Essen? Mehr wert als Gerechtigkeit? Geht es euch mehr um den Schutz eines Gemäldes oder um den Schutz unserer Umwelt und der Menschen?" 

Plummer fuhr fort: "Die Krise der Lebenshaltungskosten ist Teil der Krise der Ölkosten. Brennstoff ist für Millionen von frierenden, hungrigen Familien nicht erschwinglich – sie können sich nicht einmal eine Dose Suppe leisten. Gleichzeitig fallen Ernten aus. Millionen von Menschen sterben in Monsunregen, Waldbränden und schweren Dürreperioden. Wir können uns kein neues Öl und Gas leisten. Es wird uns alles nehmen, was wir kennen und lieben. Wir werden zurückblicken und all das betrauern, was wir verloren haben, wenn wir nicht sofort handeln."

Damit brachte die Aktivistin den Ernst und die Dringlichkeit der Klimakrise ziemlich gut auf den Punkt. 

Den besorgten Kunstliebhaber*innen weltweit sei noch gesagt:
Die "Sonnenblumen" wurden nicht beschädigt, die Glasvitrine schützte das Gemälde. Inzwischen wurde sie gereinigt und das Bild wurde schon wenige Tage später wieder ausgestellt. Mehr noch, wahrscheinlich werden jetzt mehr Menschen als je zuvor das Gemälde sehen wollen und sein Wert von 84,1 Millionen US-Dollar wird wohl noch weiter in die Höhe schießen. 

Ich bin der Meinung, dass die Welt der bildenden Kunst oft für die Exzesse steht, die die Klimakrise anheizen. Einige Kritiker*innen argumentieren, dass moderne Kunstsammlungen den Ultrareichen eine Möglichkeit bieten, ihr Geld zu parken, Steuern zu hinterziehen und in einigen Fällen die umstrittenen Mittel verschleiern zu können, mit denen sie ihren Reichtum erlangen. Yachten, Privatjets und Villen (die den CO2-Fußabdruck dieser Käufer*innen in die Höhe treiben) sind oft mit gerahmten Repliken hochgelobter Werke von Lieblingen der Kunstwelt ausgestattet.

Die Entscheidung der Aktivistinnen, einen Künstler mit großer Bekanntheit zu wählen, war entsprechend ein kluger Weg, um ihre Botschaft zu verbreiten. Die "Sonnenblumen" waren öffentlich zugänglich, anders als etwa die  Luxusyacht eines Öl-Milliardärs, und damit als Forum für demokratische Meinungsverschiedenheiten nutzbar.

Plummer und Holland bewegten sich mit entschlossener Effizienz, brachen die Dosen auf, bespritzten den Schutzschild der Leinwand und trugen dann Kleber auf ihre Hände auf, damit sie sich an der Wand klebten, um zu verhindern, dass die Sicherheitskräfte sie sofort wegzerrten. Dann sprach Plummer mit Wut, Verzweiflung und Entschlossenheit und klagte den Status quo an, der uns alle auf eine Umweltkatastrophe zusteuert.

Im vergangenen Sommer erlebte das Vereinigte Königreich eine verheerende Hitzewelle, die mehr als 1.000 Menschen das Leben kostete. Aktuell treiben die Klimaauswirkungen und die Kriege um fossile Brennstoffe die Lebensmittelpreise und die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Ohne sinnvolle Maßnahmen der Regierungen zur Linderung der Armut und zur Umstellung auf erneuerbare Energien werden sich diese Krisen verschärfen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die britische Regierung unter Boris Johnson und Liz Truss auf die Genehmigung fossiler Brennstoffe und Steuersenkungen für Wohlhabende konzentriert hat.

Obwohl wir seit mehr als einem Jahrhundert wissen, dass fossile Brennstoffe die Klimakrise verursachen, steigen die Treibhausgasemissionen weiter an und jede ernsthafte Bemühung um eine gerechte Energiewende ist bisher im Keim erstickt worden. Und selbst jetzt, wo die Auswirkungen der Klimakrise immer deutlicher spürbar werden, nimmt die Exploration und Förderung fossiler Brennstoffe weiter zu. 

Entsprechend dringlich wollen die Aktivist*innen von Just Stop Oil die Regierungen zwingen, sofort Maßnahmen zu ergreifen, um die Klima- und Biodiversitätskrise einzudämmen und Communities zu schützen. 

"Ich denke, wir müssen den Punkt erreichen, an dem es schockierend ist, dass unsere Regierung mehr fossile Brennstoffe vorschlägt", sagte Emma Brown, eine Organisatorin von Just Stop Oil, in einem Interview. "Wir müssen den Punkt erreichen, an dem das so schockierend ist wie ein Stück Suppe auf einem Glas."

Seit Jahrzehnten setzen Umweltaktivist*innen ihren Körper aufs Spiel, um Ölpipelines zu blockieren, umweltschädliche Aktivitäten zu stoppen oder Industrieanlagen zu sabotieren. Sie sind auf die Straße gegangen, haben Konferenzen gestört, an endlose Türen geklopft und sich sogar selbst angezündet. Die Verhaftung in einem Museum reiht sich also ein in eine lange Galerie an verschiedensten Protestformen – manche objektiv noch deutlich krasser – die Aufmerksamkeit für dieses sehr berechtigte und sehr reale Problem gewinnen.

War die Aktion also erfolgreich?
Sie hat mehr Aufmerksamkeit auf Just Stop Oil gelenkt. Und das kurz vor der  COP27, der Klimakonferenz der Vereinten Nationen im November. 

Stell dir vor, du würdest eine Person, die schlafwandelt, mit kaltem Wasser übergießen. Die Person wird wachgerüttelt und ist vielleicht zunächst wütend über das Eindringen. Aber mit etwas Glück nimmt sie sich eine Sekunde Zeit, um sich zu sammeln und bemerkt dann, wie nah sie an der Klippe stand und Gefahr lief, in die Tiefe zu stürzen.   

Opinion

Umwelt schützen

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Ein Beitrag von Joe McCarthy