Tausende Menschen, die verzweifelt um Hilfe bitten und versuchen, aus ihrem geliebten Heimatland, ihrem Zuhause zu fliehen – genau das sind die erschütternden Bilder die uns momentan aus Afghanistan erreichen. Zum ersten Mal seit ihrem Sturz im Jahr 2001 haben die Taliban die Herrschaft des Landes an sich gerissen.
Nachdem sich die internationalen Streitkräfte aus Afghanistan zurückgezogen hatten und die USA im Mai 2021 offiziell mit ihrem Abzug begannen, übernahmen die Taliban die Macht. Seitdem hat die militante Gruppe das Land Stadt um Stadt erobert und schließlich am 15. August Kabul besetzt. Die afghanische Führung rund um Präsident Ashraf Ghani floh aus dem Land und hinterließ Millionen von Afghan*innen, die nun Asyl suchen.
Es dauerte nicht lange, bis sich die Menschenrechts- und Bildungsaktivistin Malala Yousafzai in den sozialen Medien dazu zu Wort meldete. Die junge Frau weiß nur zu gut, was eine Besetzung durch die Taliban für Frauen und Mädchen bedeuten könnte.
“Wir sehen ganz schockiert zu, wie die Taliban die Kontrolle in Afghanistan übernehmen”, schrieb sie auf Twitter. “Ich mache mir große Sorgen um die Frauen, Minderheiten und Befürworter*innen von Menschenrechten. Globale, regionale und lokale Entscheidungsträger*innen müssen zu einem sofortigen Waffenstillstand aufrufen, dringend humanitäre Hilfe leisten und Flüchtende sowie Zivilist*innen schützen”, erklärt sie.
We watch in complete shock as Taliban takes control of Afghanistan. I am deeply worried about women, minorities and human rights advocates. Global, regional and local powers must call for an immediate ceasefire, provide urgent humanitarian aid and protect refugees and civilians.
— Malala (@Malala) August 15, 2021
Bereits 1996 übernahmen die Taliban erstmals die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul. Damals setzten sie ihre Auslegung des islamischen Rechts durch und führten strenge Vorschriften ein, die die Menschenrechte stark einschränkten. Auch wenn sie nun nicht müde werden zu betonen, dass sie an einer integrativen Regierung, einer friedlichen Machtübernahme und der Frauenrechten interessiert seien, gibt es viele, die begründete Zweifel an dem Wahrheitsgehalt dieser Beteuerungen hegen.
Schon jetzt gibt es Berichte über restriktive neue Regelungen und eine insgesamt bedrohliche Entwicklung. Die militante Gruppe soll vielerorts Frauen gezwungen haben, ihre Arbeit aufzugeben. Andere Quellen berichten von Zwangsehen mit “verdienten Kämpfern” aus den Reihen der Taliban. Das wirft die Frage auf, inwiefern die Taliban ihre Zusagen einhalten können und umfangreiche Rechte für Frauen aufrechterhalten wollen.
Bevor sie 2001 von der Herrschaft über das Land verdrängt wurden, hatten die Taliban menschenverachtende Gesetze erlassen. Frauen mussten ihr Gesicht und ihren gesamten Körper bedecken, sie durften nicht arbeiten, Mädchen nicht zur Schule gehen, und wenn eine Frau ihr Haus verlassen musste, musste sie sich von einem männlichen Verwandten begleiten lassen.
Zwei Jahrzehnte schien es, als ob diese martialischen Zustände der Vergangenheit angehören würden – ermöglicht durch viel Arbeit, mutige Einsätze von Menschenrechtsaktivist*innen und den Kampf der Frauen selbst. Diese Errungenschaften könnten durch die jüngste Herrschaft der Taliban vollständig zunichte gemacht werden.
Bereits heute ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt. Die UN geht davon aus, dass nach der Übernahme durch die Taliban knapp 18,4 Millionen Afghan*innen – die Hälfte der Bevölkerung – humanitäre Hilfe benötigen werden. Das Welternährungsprogramm warnt, dass es bereits im September zu einem Engpass der Nahrungsmittel kommen wird. Dennoch hat die Bundesregierung die Entwicklungszusammenarbeit vor Ort vorerst eingestellt, aus Angst, dass die Gelder in die Hände der Taliban fließen und um Verhandlungsmasse gegenüber eben jenen zu behalten.
Entwicklungsorganisationen sehen dies mit Besorgnis, denn viele wollen ihre Arbeit im Land fortsetzen. Deshalb hat Deutschland die finanzielle Soforthilfe von 100 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro aufgestockt. Zusätzlich haben sich über 250 Städte und Kommunen zusammengeschlossen und sind bereit, fliehende Afghan*innen aufzunehmen.
Auch auf persönlicher Ebene können wir uns jetzt zusammentun, um die Rechte all derer zu schützen, die sich in Afghanistan in einer Krise befinden. Hier haben wir einige Möglichkeiten gesammelt, mit denen du helfen kannst.
1. Für humanitäre Hilfe spenden
Viele Organisationen sehen sich gezwungen, ihre Mitarbeiter*innen aus dem Land zu holen. Sie setzen sich für den Schutz von Menschen in Gefahr ein, verschaffen ihnen Zugang zu medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln und Unterkünften. Es ist jedoch ungewiss, wie lange das noch möglich ist. Die humanitären Hilfsorganisationen benötigen vor allem eins: finanzielle Mittel. Diese Organisationen kannst du unterstützen:
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) setzt sich dafür ein, dass Menschen, die aus Afghanistan fliehen, in angrenzenden und benachbarten Ländern Zuflucht finden. Das UNHCR hat die Bedürfnisse der Flüchtenden beobachtet und die Nachbarländer aufgefordert, die Grenzen für die Asylsuchenden offen zu halten.
Diese Organisation steht in direktem Kontakt mit den Bürger*innen vor Ort, um Wege zu finden, die Nothilfe in Afghanistan zu unterstützen. Sie hat zu dringender Hilfe im Land aufgerufen. Dabei hat sich die deutsche Organisation verpflichtet, den Bedürftigen zu helfen, ganz gleich, wie sich die Lage entwickeln wird. "Die Situation ändert sich ständig, deshalb können wir noch nicht vorhersagen, wie wir unsere Projekte fortsetzen werden, aber wir sind entschlossen, unsere Bemühungen fortzusetzen.”
Der afghanische Zweig von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières) hat sich verpflichtet, den Bedürftigen mit medizinischer Hilfe zu helfen und erklärte in den sozialen Medien: "Wir stellen weiterhin die dringend benötigte medizinische Versorgung in Afghanistan sicher."
Diese Organisation ist zwar aktuell nicht mehr in Afghanistan tätig, hat aber bereits Tausende von afghanischen Frauen und Familien in ihre Obhut genommen. Diese versucht sie nach wie vor zu unterstützen. "Wir evakuieren die Zentren, pausieren den Betrieb und bewerten ständig die Risiken", teilte die Organisation in den sozialen Medien mit. "Wir arbeiten Tag und Nacht, um den Tausenden von Frauen, Kindern, Familien und Mitarbeiter*innen, die von uns betreut werden, eine sichere Unterkunft, Ressourcen und Hilfe zu bieten."
2. Medien von Frauen und weibliche Reporterinnen unterstützen
Journalistinnen in Afghanistan stehen in Gefahr, nicht nur weil sie arbeiten, sondern auch weil sie in der Medienbranche tätig sind, die von den Taliban besonders stark bedroht wird.
"In den letzten 24 Stunden hat sich unser Leben grundlegend verändert, wir sind an unsere Häuser gefesselt, und der Tod bedroht uns jeden Moment", sagt eine Journalistin im Gespräch mit dem Guardian. "In erster Linie mache ich mir Sorgen um mich selbst, denn ich bin eine Frau und außerdem eine Journalistin", so eine andere.
Frauen in den Medien und Journalistinnen, die ihre Identität verbergen müssen, benötigen Schutz. Du kannst beispielsweise Rukshana Media und Sahar Speaks folgen, beides Organisationen, die von afghanischen Journalistinnen geleitet werden.
3. Petitionen unterschreiben
Gemeinsam mit der Organisation Visions for Children haben wir eine Petition ins Leben gerufen, die die deutsche Regierung zum Handeln auffordert. Durch den Truppenabzug und die Fehleinschätzung der Gefahrenlage vor Ort hat die Bundesregierung zu dieser Krise beigetragen. Genau deshalb steht Deutschland in der Verantwortung zu handeln. Unabhängige NGOs im Land müssen unterstützt werden, um die humanitäre Katastrophe zu stoppen. Lass uns gemeinsam Druck machen:
Wir unterstützen die Petition der Organisation Sea-Eye e.V., in der die Bundesregierung und Europäische Union aufgerufen werden, Verantwortung zu übernehmen und sichere Fluchtwege zu ermöglichen. Hier kannst auch du deinen Namen drunter setzen:
4. Auf den sozialen Medien Bewusstsein schaffen
Halte die Diskussion am Leben, damit der Kampf für die Menschenrechte in Afghanistan nicht in Vergessenheit gerät. Du kannst in deinen sozialen Medien den Hashtags #Afghanistan #HelpAfghanistan #AfghanLivesMatter folgen. Zudem kannst du dir Accounts anschauen, um dich über die Situation zu informieren, unter anderem omar.haidari, theafghan, middleeastmatters.
5. Mehr über die Krise lernen
Um das Ausmaß der Übernahme und die Auswirkungen auf das Land zu verstehen, ist es wichtig, sich auch über die Geschichte des Landes zu informieren.
Wer die Taliban sind und wie sie die Macht übernommen haben, kannst du im Deutschlandfunk oder bei Planet Wissen nachlesen. Für Kinder eignet sich logo! von ZDF.
Und ganz wichtig:
Nimm dir auch Pausen, wenn du sie brauchst! Die Situation in Afghanistan ist sehr beunruhigend, doch du solltest auch auf dich selbst achten. Nur, wenn es dir gut geht, kannst du auch etwas für die Afghan*innen tun, die jetzt unsere Hilfe benötigen.