Gefürchtet, weit verbreitet, bekämpft und fast eliminiert: Dank internationaler Bemühungen stellt Polio, oder auch Kinderlähmung genannt, heutzutage nicht mehr die große Bedrohung dar, wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Die endgültige Ausrottung der Krankheit steht kurz bevor. Damit wäre Polio die zweite Infektionskrankheit, die die Weltgemeinschaft erfolgreich überwunden hätte.
Diese positive Entwicklung ist jedoch alles andere als selbstverständlich. Polio kostete weltweit bereits tausenden Menschen das Leben und kann zu lebenslangen Lähmungen und Behinderungen führen. In Deutschland kam es zuletzt 1961 zu einer Polio-Epidemie, bei der sich über 4.600 Menschen mit dem Virus infizierten. Nun erschwert dieCoronavirus-Pandemie die Eliminierung von Polio zusätzlich.
Gemeinsam gegen Polio und das Coronavirus
Das betrifft vor allem Pakistan und Afghanistan. In beiden Ländern kommt Polio noch endemisch vor, nun haben sie zudem mit Ausbrüchen von COVID-19 zu kämpfen. Deshalb hilft die “Globale Initiative zur Ausrottung von Polio“ (GPEI) in den nächsten sechs Monaten überall dort, wo sie gegen Polio aktiv ist, auch bei der Bekämpfung des Coronavirus.
Dafür hat sich die GPEI bereit erklärt, ihr Gesundheitspersonal, weitere Ressourcen und Testkapazitäten zur Verfügung zu stellen. In Pakistan hat die GPEI etwa bereits 6.260 Gesundheitsfachkräfte, die gegen Polio im Einsatz sind, zusätzlich im Umgang mit COVID-19 geschult. In Afghanistan nutzen die Mitarbeiter*innen der GPEI vor Ort Routinebesuche in lokalen Gesundheitseinrichtungen, um COVID-19-Fälle zu überprüfen und zu melden. Und in Nigeria nutzt die GPEI ihre jahrzehntelange Erfahrung und Infrastruktur bei der Eliminierung von Polio, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Insgesamt ist die GPEI derzeit in 13 Ländern weltweit aktiv.
Die Gründung der GPEI
1988 kamen bei der Weltgesundheitsversammlung Regierungen und Gesundheitsorganisationen aus der ganzen Welt zusammen – ihre gemeinsame Mission: Polio ein für alle Mal zu bekämpfen. Daraufhin wurde im selben Jahr die “Globale Initiative zur Ausrottung von Polio“ (GPEI) ins Leben gerufen. Zu dieser Zeit gab es weltweit jedes Jahr noch etwa 350.000 Poliofälle.
GPEI ist eine öffentlich-private Partnerschaft, die von nationalen Regierungen in Unterstützung mit den fünf Hauptpartnern – der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Rotary International, den US-amerikanischen Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention (CDC), dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und der Bill & Melinda Gates Stiftung – geleitet wird.
Dieser Zusammenschluss internationaler Regierungen und Organisationen setzte sich damals das Ziel, Polio bis 2000 auszurotten. Obwohl dieses Ziel knapp verfehlt wurde, konnte die GPEI seit ihrer Gründung großartige Erfolge verzeichnen.
99,9 Prozent aller Poliofälle weltweit konnten dank der Arbeit der GPEI seit 1988 eliminiert werden. Während die Infektionskrankheit heute nur noch in Afghanistan und Pakistan vorkommt, stehtNigeria kurz davor, als poliofrei erklärt werden. Seit 2016 wurden in dem Land keine Polio-Infektionen mehr registriert. Um als poliofrei zu gelten, dürfen innerhalb von vier Jahren keine neuen Krankheitsfälle auftreten. Nigeria ist damit auf dem besten Weg, dieses Ziel bis Mitte 2020 zu erreichen.
“Ich denke, dass jeder [bei GPEI] sein Bestes beiträgt“, sagte Sona Bari, leitende Kommunikationsmanagerin bei der WHO und Sprecherin von GPEI, gegenüber Global Citizen. “Die WHO könnte das nicht alleine schaffen, eine Regierung für sich könnte das nicht schaffen [und] eine Stiftung allein könnte das [auch] nicht schaffen.“
18 Millionen Menschen können heute dank der GPEI laufen
Dank der Arbeit der GPEI können heute 18 Millionen Menschen laufen und ein ungehindertes Leben führen, so Bari. Dieser Erfolg liegt, so Bari weiter, in der Fähigkeit der Initiative begründet, Kooperationen auszubauen und auf Veränderungen zu reagieren.
Das sah zu Beginn noch anders aus – anfangs folgte die GPEI noch einem festgelegten Aktionsplan. Doch nach einiger Zeit gelang es der Initiative, die eigenen Strategien an die Entwicklungen des Polio-Virus anzupassen und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der betroffenen Länder zu reagieren, so Bari.
In Nigeria beispielsweise kamen in den 1950er Jahren in vielen Gemeinden Zweifel gegenüber Impfungen auf, sodass die Impfaktionen unterbrochen werden mussten. Die GPEI reagierte umgehend.
“Es reicht nicht, Impfungen zur Verfügung zu stellen; was man zusätzlich braucht, ist die Sozialwissenschaft, sowie die Verhaltens- und Politikwissenschaft, um Menschen dabei zu helfen, zu verstehen, warum Impfungen so wichtig sind, warum sie sicher sind und warum man Impfstoffen vertrauen kann, und diese [Umstände] änderten das Programm [der GPEI] in Nigeria“, erklärt Bari.
#Pakistan ist neben #Afghanistan und #Nigeria eines der letzten Länder weltweit, in denen #Polio nicht ausgerottet ist. Dennoch werden #Impfteams immer wieder attackiert. Dabei sind #Schutzimpfungen gegen #Polio für diese Kinder lebenswichtig. #EndPolio@RotaryDE@gavi#GPEIpic.twitter.com/Bz81zEHZi0
— Global Citizen (@GlblCtznDe) July 4, 2019
Dank der Bemühungen, Gemeinden in Nigeria zu erreichen und aufzuklären, konnten die Impfaktionen wieder aufgenommen werden. Seitdem hat das Land keine Infektion mit wilden Polio-Viren in den vergangenen drei Jahren verzeichnet. Dieser Erfolg ist das Resultat starker, nachhaltiger medizinischer Interventionen, sowie von Kooperationen mit den Gemeinden und angesehener Akteur*innen vor Ort, fügt Bari hinzu.
2018 wurden insgesamt 33 Poliofälle in Pakistan and Afghanistan gemeldet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nur noch einen Erregerstamm wilder Polio-Viren gibt, ist groß – was bedeutet, dass die Ausrottung von Polio in greifbarer Nähe ist.
Damit dieses Ziel endlich Wirklichkeit werden kann, muss sichergestellt werden, dass Kinder auf der ganzen Welt weiterhin mit den lebenswichtigen Impfstoffen versorgt werden können.
“Die größte Herausforderung ist es, genügend Kinder in Pakistan und Afghanistan zu erreichen, vor allem jene, deren Familien nicht sesshaft sind und jene, die durch Konflikte und unsichere Umstände schwer zugänglich bleiben”, sagt Bari.
Dank der bis zu 20 Millionen Freiwilligen, Investitionen in Höhe von 14 Milliarden US-Dollar und der Beteiligung von 200 Ländern weltweit, kann die GPEI jedes Jahr über 400 Millionen Kinder impfen und über 70 Länder überwachen.
Dieser Einsatz ist im Kampf gegen Polio entscheidend. Denn sobald man die Krankheit unbeobachtet lassen würde, könnten sich bis zu 200.000 Menschen innerhalb von zehn Jahren neu infizieren.
Genau deshalb ist die Förderung von GPEI so wichtig. “Aber sie [diese Investitionen] sind auch dazu da – und das sollten wir nicht vergessen – den Rest der Welt poliofrei zu halten“, sagt Bari. “[Es liegt in unserer Verantwortung] nicht nur dafür zu sorgen, eine poliofreie Welt zu schaffen, sondern auch, dass es dabei bleibt.“