“Es gibt keinen Kampf, der nur ein Thema betrifft, denn wir leben nicht nur für ein Thema.” Diese Worte von der US-amerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde bringen das Wesen der Intersektionalität gut auf den Punkt.
Der Begriff und das Konzept der Intersektionalität beeinflussen die Arbeit von Aktivist*innen und politischen Entscheidungsträger*innen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, gleichermaßen.
Dennoch wird Intersektionalität oft missverstanden. Selbst in progressiven Kreisen, die intersektionales Denken vertreten, wird das Wort immer wieder als vage Beschreibung für die einfache Tatsache verwendet, dass jemand Mitglied von mehr als einer sozialen Gruppe ist, deren Stimme es verdient, gehört zu werden.
Was ist Intersektionalität?
Intersektionalität ist, kurz gesagt, ein Rahmen für das Verständnis von Unterdrückung.
Der ursprünglich von der amerikanischen Anwältin, Wissenschaftlerin und Aktivistin Kimberlé Crenshaw geprägte Begriff hat seine Wurzeln im Aktivismus. Das Konzept der “ineinandergreifenden” Unterdrückungssysteme wurde vom Combahee River Collective, einem 1974 in Boston gegründeten schwarz-lesbischen Kollektiv für soziale Gerechtigkeit, häufig verwendet.
Auf Grundlage dieser einzigartigen Kämpfe und Erfahrungen definierte Crenshaw den Begriff im Zusammenhang mit Antidiskriminierungsgesetzen weiter. Denn diese berücksichtigten ihrer Meinung nach die Erfahrungen schwarzer Frauen, die in einer Vielzahl von Kontexten mit Diskriminierung und Ausgrenzung konfrontiert sind, nur unzureichend. Damals, so argumentierte sie, berücksichtigten die bestehenden Gesetze nur Geschlecht und Herkunft, nicht aber die Art und Weise, wie die Erfahrungen schwarzer Frauen durch Sexismus und Rassismus noch verstärkt wird. Stattdessen, so Crenshaw, sollte Unterdrückung nicht getrennt, sondern voneinander abhängig analysiert werden. “Intersektionalität” wurde als Idee geboren, dass Individuen Unterdrückung unterschiedlich erleben, je nachdem, wo sie in Bezug auf soziale Marker stehen.
Um zu veranschaulichen, was das bedeutet, zeichnet Crenshaw das Bild sich kreuzender Straßen: “Die Straße des Rassismus kreuzt sich mit den Straßen des Kolonialismus und des Patriarchats, und an den Kreuzungen kommt es zu ‘Zusammenstößen’”, schreibt sie. “Wo sich die Straßen kreuzen, gibt es doppelte, dreifache, mehrfache und vielschichtige Unterdrückung.”
Nehmen wir als Beispiel das Lohngefälle. In den USA verdienen Frauen 83 Cent für jeden US-Dollar, den ein Mann verdient. Diese Zahl ändert sich jedoch schnell, wenn man zusätzliche Identitäten berücksichtigt: Schwarze Frauen verdienen nur 64 Cent für jeden US-Dollar, den ein weißer Mann verdient. Würden wir dies ausschließlich als ein geschlechtsspezifisches Problem betrachten, würden wir uns nicht damit befassen, wie die Hautfarbe diese Ungleichheit vergrößert. Würden wir das Lohngefälle nur durch die Brille der Herkunft betrachten, würde uns entgehen, wie das Geschlecht die Unterdrückung der schwarzen Frauen beeinflusst.
Aus diesem Grund ist die Intersektionalität ein so nützlicher Rahmen. Denn sie macht deutlich, dass Diskriminierung und Ausgrenzung nicht eindimensional sind und nicht durch die Konzentration auf ein einziges Thema gelöst werden können. Stattdessen kann Intersektionalität uns helfen zu verstehen, wie die Erfahrung von Armut geschlechtsspezifisch und rassistisch geprägt ist und wie sie sich in verschiedenen sozialen Kontexten unterscheidet. Dieser Ansatz ist entscheidend für das Verständnis der Ungleichheiten, mit denen verschiedene Gruppen konfrontiert sind – und damit auch für die Frage, wie diese überwunden werden können: Indem die Komplexität der Identitäten und Unterdrückungsmuster berücksichtigt wird, mit denen Einzelne in einer bestimmten Gesellschaft konfrontiert sind.
3 wichtige Fakten, die du über Intersektionalität wissen solltest
- Intersektionalität heißt, dass mehrere Identitäten zusammenwirken und einzigartige Unterdrückungsmuster schaffen.
- Der Begriff wurde ursprünglich von der amerikanischen Wissenschaftlerin und Anwältin Kimberle Crenshaw geprägt, die sich von den schwarzen feministischen Bewegungen in den USA inspirieren ließ und verdeutlicht, wie Herkunft und Ethnizität, Geschlecht, Klasse und andere Faktoren miteinander verknüpft sind.
- Wenn es um die Bekämpfung extremer Armut geht, bedeutet Intersektionalität, dass diese Faktoren verschiedene Probleme von gesundheitlicher Ungleichheit bis hin zur Klimakrise fördern.
In welchem Zusammenhang steht sie mit den Global Goals und extremer Armut?
Extreme Armut – und die Faktoren, die sie verschärfen – sind tief in den sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen verwurzelt, die unsere Welt prägen.
Die Global Goals der Vereinten Nationen (UN) bilden einen Rahmen zum Beenden extremer Armut bis 2030. Um sie zu erreichen, muss jedoch besonders darauf geachtet werden, wie bestimmte Gruppen aufgrund einer Reihe von sozialen Faktoren unverhältnismäßig stark von Ungerechtigkeit betroffen sind. Werden sie nicht aus einer Vielzahl von Blickwinkeln betrachtet, könnte das die Erreichung der Global Goals gefährden und die Ungleichheiten in einem globalen Teufelskreis der Armut aufrechterhalten.
Bei der Betrachtung von Problemen auf globaler Ebene kann uns die Intersektionalität helfen zu verstehen, wie eng diese Herausforderungen miteinander verbunden sind.
Umweltrassismus ist ein Paradebeispiel dafür. Laut einer aktuellen Studie der Environmental Justice and Health Alliance for Chemical Policy Reform leben Schwarze in den USA mit 75 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in der Nähe von Umweltzonen und in der Nähe von Chemieanlagen als der Rest der Bevölkerung. Das wiederum setzt ganze Gemeinschaften Chemikalien aus, die mit Krebs, Geburtsfehlern und chronischen Krankheiten in Verbindung gebracht werden und einen Kreislauf schlechter Gesundheits- und Lebensbedingungen in Gang setzen. Weltweit verläuft der Trend nach demselben Muster, wobei einkommensschwache und gefährdete Bevölkerungsgruppen die Hauptlast der Klimakrise tragen.
Kinderheirat ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Geschlecht, Alter und Gesundheit mit Armut zusammenhängen. Mädchen sind besonders gefährdet, zwangsverheiratet zu werden. Schätzungsweise 40 Prozent der jungen Frauen in Ländern mit geringem Einkommen werden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, was eine ernsthafte Bedrohung für ihre volle wirtschaftliche Teilhabe und ihren Zugang zur reproduktiven Gesundheitsversorgung darstellt.
Die Liste ließe sich fortsetzen, aber die Erkenntnis bliebe dieselbe: Armut ist ein komplexes Problem, und obwohl die Global Goals ein Schritt in die richtige Richtung zu ihrer Beseitigung sind, kann sie nicht durch die isolierten Ansätze von Aktivismus zu einem einzigen Thema beseitigt werden. Es bedarf eines intersektionellen Ansatzes, der versteht, wie soziale Faktoren wie Klasse, Geschlecht, Herkunft und Ethnizität zusammenkommen, um die Lebensqualität der Menschen zu beeinflussen, um uns voranzubringen.
Was kannst du tun?
Du kannst in deinem Alltag beginnen, indem du dir bewusst machst, wie deine eigene Identität und dein mögliches Privileg die Art und Weise beeinflussen, wie du die Welt erlebst. Du kannst denjenigen, die sich am Scheideweg von multipler Unterdrückung und verschärfter Marginalisierung befinden, Raum geben, um ihre Geschichten zu erzählen.
Um eine integrativere und gerechtere Welt zu schaffen, kannst du auch Initiativen unterstützen, die sich mit einem intersektionellen Ansatz gegen Diskriminierung einsetzen. Diese Liste von Organisationen, die von schwarzen Frauen geführt werden, ist ein guter Anfang dafür.