Bereits ein Jahr nach dem ersten in Deutschland gemeldeten COVID-19-Fall wurde der erste Impfstoff gegen das potentiell tödliche Virus zugelassen – er stammt vom Unternehmen Pfizer-BioNTech. Diese beispiellos schnelle Impfstoffentwicklung ist ein großer Erfolg für die globale Gesundheit. Weltweit haben Menschen erleichtert aufgeatmet.
Doch die Entwicklung und Zulassung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist nur der erste Schritt im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Damit bald die Mehrheit der Weltbevölkerung immun gegen das Coronavirus ist, ist es nötig, genügend Impfdosen zu produzieren und diese fair und effizient zu verteilen.
Genau in diesem Schritt setzt die Idee der Impfgerechtigkeit an. Sie dreht sich um die Frage, wie wir dafür sorgen können, dass der Impfstoff auf faire und gerechte Weise an die verschiedenen Bevölkerungsgruppen verteilt wird. Auch muss geklärt werden, wie Menschen unabhängig von ihren Ressourcen und ihrer Herkunft möglichst schnell eine Impfung erhalten können, sofern sie diese wollen.
Millionen Menschen gehen bislang leer aus, weil ihre Länder noch keine oder nicht ausreichend Impfstoffdosen erhalten haben. Erst ein Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen sind geimpft.
“Wir sind uns alle einig, dass jeder ein Recht auf Gesundheit hat, unabhängig von seinem sozioökonomischen Status, seiner Herkunft und seinem Pass“, sagt Dr. Yvonne Commodore-Mensah, Assistenzprofessorin an der John Hopkins School of Nursing and Public Health gegenüber Global Citizen. “Aber da es Ungleichheit bei wirtschaftlichen Ressourcen gibt, gibt es auch Ungleichheit beim Zugang zu Impfstoffen.“
Die Konsequenzen des Impf-Nationalismus
Welweit wurden fast fünf Milliarden COVID-19-Impfstoffe verimpft (Stand: 19.8.), davon jedoch nur 0,3 Prozent an Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen. Mehr als 80 Prozent der Impfdosen gingen bis jetzt an Länder wie Deutschland, die USA und Großbritannien, die mit ihrer Impstrategie zuerst die eigene Bevölkerung schützen und danach Dosen abgeben will.
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat vor einer Mentalität des Impfstoff-Nationalismus gewarnt. Drängen Länder darauf, als erste Zugang zu bekommen, grenze das stark an “katastrophalem moralischem Versagen“.
Doch die ungleiche Verteilung des COVID-19-Impfstoffs auf globaler Ebene ist nicht nur eine Frage der Moral oder Ethik. Denn da sich das Virus über Ländergrenzen hinweg verbreitet, wird die Pandemie erst dann keine Bedrohung mehr für die internationale Gemeinschaft darstellen, wenn sie überall auf der Welt besiegt ist. Und dies wird erst möglich sein, wenn sich alle Menschen überall vor COVID-19 schützen können.
“Impfstoff-Nationalismus hilft dem Virus nur, sich zu verbreiten“, sagt Dr. Angela K. Shen, Gastwissenschaftlerin am Vaccine Education Center am Children's Hospital of Philadelphia. “Damit ein Impfstoff funktioniert, muss ein Großteil der Gesellschaft geschützt sein – und dieser Schutz entsteht, indem man alle Menschen impft. Man muss also den Zugang für alle öffnen, denn nur so ist ein kollektiver Schutz möglich.“
Insbesondere beim Auftreten von Mutationen wie der Delta-Variante, gilt: Je mehr Menschen ungeimpft bleiben, desto größer und potenziell schwerwiegender ist das kollektive Risiko.
Ein gerechter Zugang zum COVID-19-Impfstoff für alle
Um zu verhindern, dass die Kaufkraft eines Landes die Impfstoffverteilung dominiert, wurde die COVID-19 Vaccine Global Access Facility (COVAX) gegründet. Als Teil von “Access to COVID-19 Tools Accelerator” (ACT-A), der einzigen globalen Initiative zur Beendigung der COVID-19-Pandemie für alle Menschen, ist es die Aufgabe von COVAX, Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen beim Impfen gegen das Coronavirus zu helfen.
Die WHO, die Impfallianz Gavi und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) leiten die globale COVID-19-Impfstrategie. Bis Ende 2021 sollen zwei Milliarden Impfdosen gesichert werden. Für 92 Länder, die sich die lebenswichtigen Impfstoffe nicht selbst leisten können, soll ein gerechter Zugang ermöglicht werden. Bis zum 17. August hat COVAX mehr als 206 Milliarden Dosen ausgeliefert.
Neben der gerechten Verteilung auf globaler Ebene gibt es innerhalb der einzelnen Länder noch das Problem des ungleichen Zugangs zu Impfdosen. Genauso wie Länder mit hohen Einkommen Impfstoffe horten können, haben wohlhabende Menschen durch ihre Ressourcen einen besseren Zugang zu Impfstoffen.
Aus diesem Grund haben sich viele Länder für eine mehrstufige Impfstrategie entschieden. Das bedeutet, dass vorrangig Menschen geimpft werden, deren Risiko für schwere oder tödliche Verläufe höher ist – oder die Kontakt zu solchen Risikopatienten haben. Beispiele sind etwa Menschen mit Vorerkrankungen, ältere Menschen, Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens oder Menschen aus systemrelevanten Berufen.
Doch ein solch faires mehrstufiges Verfahren reicht nicht immer aus, um strukturellen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Etwa sind für die Lagerung der Pfizer-Impfstoffe sehr kalte Gefrierschränke nötig, über die Krankenhäuser und Kliniken in ärmeren und ländlichen Gegenden oft nicht verfügen. Die Versorgung mit Impfungen in solchen Regionen ist demnach begrenzt.
Niemand ist sicher, bis wir alle sicher sind
Das COVID-19 Vaccine Equity Project (CVEP) zielt darauf ab, diese eher lokal begrenzten Hürden in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen zu überwinden. Es unterstützt dabei, einen Überblick über die Impfungen, das Liefermanagement und das Engagement innerhalb der Gemeinden zu behalten.
“COVAX und Gavi konzentrieren sich auf Gerechtigkeit, wenn es darum geht, Impfstoffe in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu bringen – und das ist keine einfache Aufgabe“, sagt Jennifer Siler, Vize-Präsidentin des Global Community Engagement des Sabin Vaccine Institute gegenüber Global Citizen. “Aber wenn man die Impfstoffe erst einmal in diese Länder gebracht hat, stellt sich die Frage, wie sie zu den Menschen gelangen, die sie wirklich brauchen, und wie man innerhalb der Bevölkerungsgruppen Prioritäten beim Impfen setzt.“
Das CVEP-Team hat zusätzlich mit diesen Problemen zu kämpfen: Misstrauen und Fehlinformationen in Bezug auf COVID-19-Impfstoffe zu beseitigen, die Gesundheitseinrichtungen auf die Impfungen ohne Personalaufstockung vorzubereiten und mehr Verständnis für die Lage auf lokaler Ebene zu schaffen.
Mit bereits mehreren zugelassenen COVID-19-Impfstoffen und vielen weiteren in der Entwicklung ist die internationale Gemeinschaft auf dem besten Weg, sich vom Jahr 2020 zu erholen – einem Jahr der Isolation und des Verlusts.
Aber inmitten des Eifers, die Ziellinie endlich zu erreichen, darf nicht vergessen werden: Niemand ist sicher, bis wir alle sicher sind. Schließe dich der Bewegung für Impfgerechtigkeit an und werde hier aktiv, damit COVID-19 für alle, überall, besiegt wird.