Stell dir vor, du sitzt in einem kleinen Raum mit Glaswänden fest. Es gibt keine Tür, durch die du hinaus kannst, die Wände sind viel zu hoch. Du kannst nicht über sie drüber klettern. Du hast es schon mehrmals versucht. Jedes Mal, wenn du wieder auf den Boden gefallen bist, hast du ein Gefühl der Niederlage verspürt. Dafür, wie du in den Raum gekommen bist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hat dich jemand da reingesteckt, den du nicht kanntest, oder du wurdest dort geboren und hattest nie die Möglichkeit, diesen Raum zu verlassen. Doch eigentlich spielt es keine Rolle, wie du dort hineingeraten bist; das Wichtigste ist jetzt, dass du da raus musst.
Und warum? Weil die Ressourcen, die du zum Überleben brauchst – Nahrung, Wasser, Zugang zu medizinischer Versorgung – zur Neige gehen. Zudem werden die Bedingungen in diesem Raum von Tag zu Tag unerträglicher. Wenn du durch das Glas blickst, erkennst du Dutzende von Menschen, die draußen sind. Sie alle reden auf dich ein, erklären dir, dass sie dich unbedingt da rausholen wollen. Doch ihre Bemühungen sind nur symbolischer Natur. Denn sie geben dir nicht die Mittel und Möglichkeiten, die du brauchst, um dich selbst zu befreien.
Der Raum steht für den Zustand der Armut, die Glaswände sind die systemischen Barrieren, die die Menschen in diesem Raum halten.
Das klingt frustrierend, nicht wahr? Und doch ist es für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt Realität. Deshalb setzt sich Global Citizen dafür ein, dass diese Glaswände, diese systemischen Barrieren, die Menschen in Armut halten, abgebaut werden.
Wie sehen die systemischen Barrieren in der Realität aus? Es gibt eine ganze Reihe von ihnen, aber da die Pandemie große Ungleichheiten zwischen reichen und armen Ländern aufgedeckt hat, liegt der Fokus darauf, einen nachhaltigen Zugang zur Gesundheitsversorgung und finanzielle Gerechtigkeit zu schaffen. Denn so können sich die einkommensschwachen Länder von der Pandemie erholen und ihre Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgen.
Warum müssen wir JETZT systemische Barrieren durchbrechen?
Die Antwort ist einfach: Millionen von Menschen wurden in die Armut gedrängt und sind darin gefangen. Die Welt ist Zeuge einer schockierenden Zunahme der Ungleichheit, vor allem wegen der COVID-19-Pandemie und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen.
“COVID-19 hat gezeigt, wie ungerecht und ungleich unsere Welt ist, insbesondere bei der Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu lebensrettenden Impfstoffen und der Finanzierung, um Menschen durch eine Wirtschaftskrise zu helfen", erklärt Jonah Kanter, Politikreferent für COVID-19 bei Global Citizen.
“Reiche Länder hatten Vorrang, während ärmere Länder warten mussten oder keine Unterstützung bekamen", fährt er fort. "Diese Ungleichheiten waren bereits vor der Pandemie in das globale Gesundheits- und Finanzsystem eingebettet und müssen beseitigt werden, um extreme Armut zu beenden.”
Es ist kein Geheimnis, dass die COVID-19-Pandemie fast 100 Millionen Menschen in die Armut getrieben hat. Armut bedeutet, dass sie nun mit weniger als zwei US-Dollar (rund 1,89 Euro) am Tag auskommen müssen.
Die weltweite finanzielle Ungleichheit hat sich angesichts der Pandemie ziemlich verstärkt; die Reichen wurden noch reicher, und diejenigen, die in Armut leben (oder in sie hineingedrängt wurden), mussten mitansehen, wie ihr Einkommen und ihr Vermögen immer weniger wurden. Hinzu kommt, dass die Armut weltweit, aber auch der Wohlstand der reichsten Menschen und Länder der Welt zugenommen hat.
Obwohl es seit über einem Jahr zahlreiche Impfstoffe gibt, breitet sich das Coronavirus weiter aus. Inzwischen wurde in wohlhabenden Ländern ein Großteil der Bevölkerung geimpft, während die Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen in einer unfairen Position stehen. Denn sie sollen die Impfquoten nun aufholen, werden dabei aber weder von den wohlhabenden Ländern, den Pharmaunternehmen noch von der globalen Wirtschaft unterstützt.
Das Horten von Impfstoffen durch reiche Länder und die Weigerung von Pharmaunternehmen, ihr geistiges Eigentum und ihre Technologie mit einkommensschwachen Ländern zu teilen, damit auch sie unabhängig Impfstoffe herstellen können, sind zwei der größten Hindernisse für den Zugang zu Impfstoffen.
Dabei ist gerade die Unabhängigkeit bei der Herstellung für diese Länder wichtig. Denn sie garantiert eine Selbstversorgung und macht die Länder unabhängig von Spenden aus reicheren Regionen. Der Zugang zu diesem Wissen und der Technologie würde ihnen helfen, die Auswirkungen von COVID-19 zu begrenzen und besser auf künftige Gesundheitsbedrohungen vorbereitet zu sein.
Wenn es um das Beenden der aktuellen Pandemie geht, besteht ein großes Problem für Länder mit niedrigem Einkommen darin, Impfstoffe in die Gegenden zu liefern, die sie am dringendsten benötigen. Transport und die Lagerung von COVID-19-Impfstoffen erfordern bestimmte Infrastrukturen, zu denen einige einkommensschwache Länder keinen Zugang haben. Die Impfstoffdosen müssen von den nationalen Flughäfen in abgelegene oder weit entfernte Regionen transportiert werden. Das ist kein leichtes Unterfangen.
Initiativen kümmern sich darum, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Eine davon ist die Global VAX-Initiative von USAID, der US-amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, die Impfstoffkampagnen, mobile Einrichtungen und Kühlkettenlager unterstützt. Mehr darüber kannst du hier lesen. Zudem hat die internationale Impfstoffinitiative COVAX die Unterstützung bei der Lieferung von Impfstoffen im Blick.
Wer ist am stärksten von systemischen Barrieren betroffen und warum?
Wenn die Pandemie nicht überall auf der Welt besiegt wird, wird das Virus nicht nur weiterhin Menschen töten, sondern es wird sich auch immer wieder ausbreiten und mutieren. Damit setzt es uns alle der Gefahr von potenziell tödlichen und infektiösen Varianten aus, gegen die unsere derzeitigen Impfstoffe möglicherweise nicht wirken.
Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass die durch die Pandemie verursachte Wirtschaftskrise zusätzlich 97 Millionen Menschen in die extreme Armut getrieben hat. Davon sind vor allem Menschen im Globalen Süden betroffen – also Länder und Bevölkerungsgruppen, die ohnehin schon sehr stark unter den Auswirkungen der Pandemie leiden und sich nur schwer davon erholen können.
Die Pandemie hat die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren ausgelöst. Unternehmen mussten geschlossen und Arbeitsplätze gestrichen werden. Millionen von Menschen weltweit verloren ihr Einkommen oder verdienten weniger. Da die Länder zusätzlich noch die Pandemie bekämpfen mussten, reichte das Geld in Ländern mit niedrigen Einkommen nicht aus. Viele mussten Kredite aufnehmen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass für 60 Prozent der Länder mit niedrigem Einkommen ein hohes Risiko besteht, infolge der Auswirkungen der Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten.
Wir sind uns alle einig, dass wir der COVID-19-Pandemie überdrüssig sind, aber die am stärksten gefährdeten Länder der Welt sehen sich nach wie vor mit COVID-19 als großer Bedrohung konfrontiert. Sie können dieser Bedrohung nicht angemessen begegnen, weil es ihnen an Ressourcen und Mitteln fehlt, um ihre Gesundheitssysteme zu unterstützen und sich wirtschaftlich vollständig zu erholen.
Was muss geschehen, um systemische Barrieren zu durchbrechen?
Global Citizen fordert Regierungen, Pharmaunternehmen und den privaten Sektor auf, ihre Unterstützung für die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt zu verstärken und ihren Teil dazu beizutragen, diese Mauern einzureißen und die systemischen Barrieren zu durchbrechen, die Menschen weiterhin in Armut halten.
Das bedeutet zunächst, die Produktionskapazitäten für Impfstoffe überall auf der Welt zu priorisieren. Pharmakonzerne müssen ihr geistiges Eigentum weitergeben und wichtige Technologien transferieren. Ein Paradebeispiel dafür, wie das in der Praxis aussehen kann, ist das mRNA-Technologietransfer-Zentrum, das derzeit in Südafrika eingerichtet wird.
Außerdem müssen die wohlhabenden Länder die Gesundheitssysteme der ärmeren Regionen mit erheblich mehr Geld unterstützen. Nur so können Tests, Impfstoffe und Behandlungen die Menschen schnellstmöglich erreichen.
Zweitens müssen wir uns auf die Erholung von COVID-19 und die Stabilisierung der Volkswirtschaften der Länder konzentrieren, die durch die Pandemie noch tiefer in Armut gerutscht sind.
Global Citizen appelliert deshalb an die reichen Nationen, bestehende Zusagen zur Unterstützung einzuhalten und die offiziellen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zu erhöhen. Nicht nur COVID-19, sondern auch Konflikte und die Klimakrise werden dazu führen, dass einkommensschwache Länder noch mehr Gelder brauchen werden, um den extremen Hunger und andere Gesundheitsgefahren bekämpfen zu können.
Die Stabilisierung der Volkswirtschaften erfordert auch die Umverteilung von Sonderziehungsrechten (SZR), um denjenigen zu helfen, die sie am dringendsten benötigen. SZR sind im Wesentlichen eine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zugewiesene Finanzreserve, die zwischen Ländern im Austausch gegen Liquidität oder Bargeld gehandelt werden kann.
Im Zuge einer historischen Entscheidung hat der IWF 650 Milliarden US-Dollar (rund 615 Milliarden Euro) an SZR für den Wiederaufbau nach der Pandemie bereitgestellt. Allerdings haben die reichen Länder am meisten von der SZR-Zuteilung profitiert, wohingegen die einkommensschwachen Länder am wenigsten erhalten haben. Aus diesem Grund fordert Global Citizen die Umverteilung von mindestens 100 Milliarden US-Dollar (94,66 Milliarden US-Dollar) an SZR, um die von der Pandemie am stärksten betroffenen Volkswirtschaften zu stabilisieren.
Global Citizen setzt sich auch für neue und nachhaltige Wege zur Finanzierung der globalen Gesundheitsversorgung ein, die denjenigen zugute kommen, die sie am meisten benötigen. Dazu gehört auch, dass beim G20-Gipfel im November bei der Prüfung globaler Steuerreformen die Bedürfnisse und Rechte des Globalen Südens priorisiert werden müssen.
Was können wir alle tun, um zu helfen?
Du kannst dich der Kampagne “Extreme Armut beenden – JETZT und ÜBERALL” anschließen. Werde mit uns aktiv, indem du die Staats- und Regierungschef*innen der Welt aufforderst, der Impfgechtigkeit jetzt Priorität einzuräumen. Alles, was du tun musst, ist ein kurzes Video aufzunehmen und deine Botschaft hier mit den Staats- und Regierungschef*innen zu teilen.
Du kannst die Pharmaunternehmen auch direkt auffordern, das mRNA-Technologietransfer-Zentrum, das in Südafrika eingerichtet wird, zu unterstützen, indem du hier aktiv wirst.
Schließe dich der Kampagne “Extreme Armut beenden – JETZT und ÜBERALL” an, indem du dich als Global Citizen anmeldest (entweder hier oder indem du die Global Citizen App herunterlädst).