Anfang 1985 war Sharbat Gula lediglich eine von unzähligen Flüchtlingen aus Afghanistan, die in einem Flüchtlingscamp in Pakistan Zuflucht gefunden hatten. In besagtem Camp allerdings traf Sharbat auf den Fotografen Steve McCurry, oder besser gesagt: er traf auf sie, und es enstand eines der berühmtesten Fotos aus dem letzten Jahrhundert.

Noch im gleichen Jahr landete McCurrys “Afghan Girl” auf der Titelseite der Juni-Ausgabe der bekannten Zeitschrift National Geographic. Die Zeitschrift wollte die Welt an den brutalen Krieg in Afghanistan und die vielen Menschen erinnern, die vor diesem Krieg geflohen sind.

Und Sharbat Gulas Foto ging um die Welt. Vor allem ihre stechend grünen Augen schienen die Menschheit in ihren Bann zu ziehen und Tausende interessierten sich für das Schicksal des Mädchens.

Aber das ihr entgegengebrachte Mitgefühl ebbte ebenso schnell wieder ab wie es gekommen war. So wie es auch bei Alan Kurdi und Omran Daqneesh passierte. Digitales Mitgefühl aus der Ferne scheint nicht lange anzuhalten.

Heute, mehr als 30 Jahre nach Entstehung des Fotos, geht es Sharbat nicht wirklich besser als damals. Ganz im Gegenteil.

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Denn vor Kurzem wurde Sharbat in Pakistan gefangen genommen, weil sie gefälschte Ausweispapiere bei sich trug. Jetzt soll sie für 14 Jahre ins Gefängnis.

Image: Pakistan Federal Investigation Agency

Für Flüchtlinge, die in Pakistan leben, kann es sehr schwierig sein, Ausweispapiere zu bekommen. Aus diesem Grund hat Sharbat - wie Millionen andere in ihrer Situation auch - versucht, den bürokratischen Akt ein wenig zu beschleunigen. Sie wollte damit niemandem weh tun oder hintergehen. Sie wollte nur endlich, nach 30 langen Jahren, etwas an ihrer Situation tun und unter besseren Umständen in einem anderen Land leben.

Zur Zeit hat Pakistan den Kampf gegen die Taliban aus Afghanistan intensiviert. Vor ein paar Jahren war vor allem Westpakistan noch ein sicherer Zufluchtsort für die Taliban und genau dagegen will das Land jetzt vorgehen. Pakistan setzt daher alles daran, sämtliche gefälschten Ausweispapiere aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei gehen ihnen aber nicht nur Taliban ins Netz, sondern auch friedliche Familien, die lediglich versuchen, ein neues Leben in Sicherheit anzufangen.

Sharbat hat den Großteil ihres Lebens damit verbracht, eine sichere Heimat für sich und ihre Kinder zu finden, die es einmal besser haben sollen als sie. Der Fotograf Steve McCurry hatte 2002 versucht, Sharbat ausfindig zu machen. Doch er kannte ihren Namen nicht - 1985 war Sharbat nur das Mädchen mit den wahnsinnig grünen Augen.

Nachdem Steve McCurry Sharbat endlich ausfindig machen konnte, erfuhr er von ihr, wie sie als Mutter alles daran setze, ihren Töchtern eine Schulbildung zu ermöglichen .

Diesen Wunsch teilen Millionen von Mütter auf der ganzen Welt mit Sharbat, vor allem die, die wie Sharbat, die Schule viel zu früh verlassen mussten.

Allein in diesem Augenblick können Millionen Kinder nicht zur Schule gehen, weil sie mit ihren Familien vor dem Regime in ihrem Land flüchten müssen und in einem Lager leben, in der es kaum oder gar keine Bildungsmöglichkeiten gibt. Die Jahre, die diese Kinder in der Schule verpassen, sind nicht nur unzählig, sondern für ihre Ausbildung auch oft fatal.

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Bei der ersten persönlichen Begegnung der beiden nach über 30 Jahren, fiel McCurry auf, wie die Gesichtszügen des afghanischen Mädchens an Energie verloren hatten. In Sharbats Blick allerdings lag immer noch Entschlossenheit.

Nachdem McCurry von Sharbats Haft erfuhr, setzt er nun alles daran, ihr zu helfen. In einem Statement heißt es: „[Sharbat] hat in ihrem bisherigen Leben nur Leid erfahren. Wir sind der festen Überzeugung, dass Sharbats Verhaftung falsch ist und gegen die Menschenrechte verstößt.”

Ob die weltweite Aufmerksamkeit, die Sharbat nun zum zweiten Mal in ihrem Leben erfährt, ihr dieses mal helfen wird, bleibt fraglich. Die pakistanischen Behörden haben über ein Jahr lang Beweise gegen sie gesammelt - gegen eine Frau und Mutter, die selbst als Kind gezwungen wurde, ihr Heimatland zu verlassen und nur versucht, für sich und ihre Familie einen Ort zu finden, an dem sie friedlich leben können.

Doch leider zählt das persönliche Schicksal, das ein jeder Mensch mit sich trägt, wenig bis garnicht. Nicht nur in Pakistan. Überall auf der Welt bringen Regierungen erheblich viel Zeit und Mühe auf, um Menschen in Not wieder aus dem Land zu weisen.

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In den USA zum Beispiel ist es ganz normal, ankommende Flüchtlinge aus Mittel- und Südamerika in Gewahrsam zu nehmen, sie in verwahrlosten Lagern unterzubringen und sie dann ohne jegliche Anhörung zu deportieren.

Obwohl Europa gerade der größten Flüchtlingswelle seit dem zweiten Weltkrieg gegenübersteht und einige Länder vieles versuchen, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen, lehnen es viele andere Regierungen hingegen ab, den Flüchtlingen ein langfristiges Zuhause zu bieten

Und auch das ist leider kein seltenes Bild: In Kenia könnte das weltgrößte Flüchtlingscamp Dadaab bald geschlossen werden. Hier haben viele somalische Staatsbürger versucht, Zuflucht zu finden. Was mit ihnen nach einer Schließung passieren würde? Ungewiss.

Die Welt ist derzeit Schauplatz einer großen Flüchtlingskrise. Und natürlich ist es eine Herausforderung, dem gerecht zu werden. Aber man darf dabei einfach nicht vergessen, dass das Wort 'Flüchtling' nur ein Wort ist, und sich dahinter immer ein Mensch und sein persönliches Schicksal befindet. Und dass es diesen Menschen besser geht, dafür lohnt es sich, sich den Herausforderungen zu stellen.   

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Gerechtigkeit fordern

Das ist aus dem Flüchtlingsmädchen mit den stechend grünen Augen geworden

Ein Beitrag von Joe McCarthy